Die Rolle kennt Gotthold Schwarz schon bestens: Stellvertreter des Thomaskantors. Immer dann, wenn das Flaggschiff des Leipziger Thomanerchores einmal ausfällt, springt der heute 61-Jährige ein und dirigiert den Knabenchor. So geschehen 1992, 1999, 2002/03 und 2011 zuletzt. Und jetzt muss - oder besser: darf - er wieder ran: Thomaskantor Georg Christoph Biller ist krank und wird auch zum Bachfest nicht zur Verfügung stehen.

Mit gesundheitlichen Problemen hat der 1992 zum Thomaskantor Berufene schon seit geraumer Weile zu kämpfen. Doch wenn er sich aus gesundheitlichen Gründen abmeldete, war der Zeitraum bis zu seiner Rückkehr stets überschaubar, erklärt Dr. Stefan Altner, Geschäftsführer des Thomanerchores. Nur 2014 ist es ein bisschen anders. Erstmals abmelden musste sich Georg Christoph Biller im Februar. “Wir haben dann von Monat zu Monat geplant”, erzählt Altner. Bis März sprang Prof. Michael Gläser aus München ein und feierte ein inniges Comeback beim Thomanerchor, wo er selbst einmal als Sänger seine Ausbildung erhielt. Doch als Hochschullehrer hat er Verpflichtungen, musste zur Prüfungszeit zurückkehren nach Bayern. An seiner Stelle sprang Gotthold Schwarz ein, der seit 1979 als Stimmbildner beim Thomanerchor tätig ist und “den Thomaskantor und sein Anliegen in- und auswendig kennt”, wie Altner erzählt.

Er kennt auch den Chor. Und es ist ihm gelungen, die Arbeit mit den jungen Sängern “ganz unaufgeregt” fortzuführen. Und Arbeit ist es. Denn die Konzerte der Thomaner sind einzigartig. Wenn Neueinstudierungen auf dem Programm stehen, beginnen die ersten Schritte der Erarbeitung am Montag, nimmt das Ganze am Mittwoch Gestalt an und erst am Freitag hört man, dass “es doch wieder gelungen ist”, staunt auch Altner immer noch über die mittlerweile erarbeitete Professionalität des Chores. An der natürlich Biller als “Leitwolf” einen gehörigen Anteil hat. Es hat den Stil des Chores geprägt in den letzten Jahren. Und darauf kann jeder, der mit den Jungen arbeitet, aufbauen. Mit Titus Heidemann und den Chorpräfekten stehen die professionellen Mitarbeiter auch direkt im Chor zur Verfügung.

Es steckt soviel Biller in diesem Chor, “dass er auch zum Bachfest dabei sein wird, auch wenn er nicht körperlich präsent ist”, sagt Altner.

Nur eins wird nicht zu schaffen sein: Das Riesenpensum abzuarbeiten, dass sich Biller für dieses Jahr vorgenommen hat. Immerhin in Hinsicht auf das Bachfest ein ganz besonderes, denn in diesem Jahr soll ja der 300. Geburtstag des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel gefeiert werden. Deswegen steht das Bachfest diesmal auch unter dem Motto “Die wahre Art”. Das bezieht sich auf C. P. E. Bach und dessen “Wahre Art, Klavier zu spielen”. Auch wenn er niemals eine Klavierschule schreiben wollte – sein Werk wurde für die zeitgenössische Musik genauso prägend wie das seines Vaters. Auch in Sachen Klavierspiel.Seit Anfang Mai ist jetzt klar, dass der krankheitsbedingte Ausfall von Georg Christoph Biller diesmal deutlich länger dauern wird. “Er befindet sich in einer Klinik und auch die Ärzte können noch nicht sagen, woran er jetzt ist”, berichtet Altner. Seinen Dienst als Thomaskantor antreten kann Biller frühestens zum neuen Schuljahresbeginn 2014/2015. Bis zum Schuljahresende im Juli wird also Gotthold Schwarz seine Aufgaben übernehmen.

So weit das geht. Denn einige Projekte sind so dann doch nicht umsetzbar. Das betrifft auch das Bachfest. “Ich bin froh, dass alle Auftritte des Thomanerchores im Bachfest einschließlich der Gottesdienste mit vorsichtigen programmatischen Änderungen stattfinden können”, sagt Dr. Dettloff Schwerdtfeger, Intendant des Bachfestes Leipzig.

Natürlich betrifft es das Eröffnungskonzert am 13. Juni, das mit dem “Magnificat D-Dur, BWV 243” von Johann Sebastian Bach und dem “Magnificat, Wq 215” seines Sohnes Carl Philipp Emanuel sowieso schon zwei Glanzstücke zu bieten hat. Sie sollten im Konzert ursprünglich mit dem “Sanctus D-Dur, BWV 232III” von Johann Sebastian Bach zu hören sein. “Aber das ist unter diesen Umständen nicht zu schaffen”, sagt Altner. Immerhin arbeitet der Thomanerchor für dieses Konzert mit dem Tafelmusik Baroque Orchestra, Mitgliedern des Leipziger Barockorchesters und sechs Solisten zusammen. Wer Karten bestellt hat, weiß, was für ein großes Konzert ihn da erwartet. Denn neben den beiden “Magnificats” werden auch noch “Meine Seele erhebt den Herren, BWV 733” von Johann Sebastian und “Heilig, Wq 217 (BR-CPEB F 77)” von Carl Philipp Emanuel zu hören sein.

Vorsichtig umgebaut werden musste auch das Programm, das die Thomaner am 15. Juni bei ihrem ersten Freiluft-Gottesdienst auf dem Markt singen werden. Aber sie werden singen. Neben Johann Sebastian Bachs “Magnificat” auch noch “Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf”.

Etwas deutlicher werden die notwendigen Umstellungen am 18. Juni beim Konzert in der Thomaskirche, wo ursprünglich die beiden neuen Kompositionen “De Angelis” von Volker Bräutigam und “Gebet des Zoroaster” von Siegfried Thiele zu hören sein sollten. Aber gerade zeitgenössische Musik braucht eine besonders gelungene Darbietung, um eine Chance beim Publikum zu haben, meint Dettloff Schwerdtfeger und wünscht sich, das Georg Christoph Biller beide Projekte selbst wird umsetzen können. Nur halt zum Bachfest nicht. Das Konzert am 18. Juni wird also den Bach-Freunden, die nach Leipzig kommen, deutlich entgegen kommen und neben Telemanns “Donner-Ode” die beiden Bachkompositionen “Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen” und “Wir müssen durch viel Trübsal” bieten.

Weniger eine inhaltliche als eine organisatorische Änderung gibt es noch am 22. Juni im Gottesdienst in der Thomaskirche. Im “Höchsterwünschten Freudenfest” sollten ursprünglich die Thomaner auch die Soli übernehmen. Doch um dem Chor auch hier die Last zu nehmen, werden professionelle Sänger die Solistenparts übernehmen.

Tatsächlich ausfallen wird nur eine Veranstaltung, bei der Georg Christoph Biller tatsächlich unersätzlich ist: Das für den 20. Juni geplante “CHANSONettes mit Bach”.

In gewisser Weise wird das Bachfest 2014 also im Zeichen des abwesenden Thomaskantors Christoph Geoerg Biller stehen, im Herzen widmet es Stefan Altner sowieso dem Abwesenden. Und die Thomaner werden es eh tun, wenn sie die ausstehenden Konzertreisen nach Schwäbisch Gmünd und Wurzen antreten.

Der Kartenverkauf für das Bachfest jedenfalls läuft gut, sagt Dettloff Schwerdtfeger. Er rechnet mit 65.000 bis 70.000 Besuchern – wie in den Vorjahren.

Die Veranstaltungen zum Bachfest: www.bachfestleipzig.de/de/bachfest/veranstaltungskalender

Der Thomanerchor: www.leipzig-online.de/thomanerchor

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