Am 2. März war eine bekannte Pop-Kapelle in Leipzig. Kettcar heißt sie und veröffentlichte kürzlich ein Studioalbum. Das war die Gelegenheit, den Bassisten von Kettcar im Haus Auensee ans Diktiergerät zu zerren und ihn über "Zwischen den Runden" erzählen zu lassen. Reimer Bustorff zeigte sich auskunftsfreudig.

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Album “Zwischen den Runden”. Wann entscheidet ihr, dass die Zeit reif für ein neues Werk ist?

Da Markus Wiebusch (Sänger von Kettcar, Anm. d. Red.) und ich nebenbei noch unser Label “Grandhotel van Cleef” an der Backe haben, ergibt sich der Zeitpunkt oft von selbst. Thees Uhlmann wollte seine Soloplatte herausbringen und da haben wir auf einen vernünftigen Abstand der Veröffentlichungen gewartet. Wir versuchen in dieser die Arbeit beim Label zu entzerren, da sonst der Aufwand zu hoch ist. Außerdem bekommt man irgendwann das Gefühl, dass es wieder soweit ist und die Leute die Band eventuell vergessen. Man merkt es auch am Portemonnaie und beim Label, da Kettcar eine wichtige Säule ist.

Zwischendurch seid ihr auch noch mit einem Streichorchester unterwegs gewesen. Hat euch diese Zusammenarbeit beeinflusst?

Sicherlich, aber nicht bewusst, da wir uns nicht hingesetzt und über vermehrten Streicher-Einsatz nachgedacht haben. Wir haben einfach gemerkt, dass selbst die verzerrten Songs von uns in ruhigerem Gewand gut funktionieren und haben dies schließlich umgesetzt.

Markus Wiebusch war immer der Songschreiber bei Kettcar. Dieses Mal hast du fünf Titel beigesteuert. War das eine bewusste Entscheidung?

Es war auch eher Zufall. Markus hat sich dieses Mal ein wenig zurückgenommen. Bei mir lief es ganz gut und bei mir hatte sich viel geändert. Mein Kind wurde geboren und ich hatte mich so ins Leben eingegroovt. Das Schreiben war ein Ventil und ein Grund für mich, mich aus dieser Rolle als Familienvater zu lösen.Man bemerkt beim Hören der Lieder kaum einen Unterschied zwischen euren Arbeiten. Steht Ihr euch zu nahe?

Wir kennen uns schon seit den 90ern, sprechen inzwischen eine Sprache, sehen uns im Proberaum und eben auch im Büro. Ich bin auch eher der Typ, der viel adaptiert, sich also in diesem Fall Markus angenähert hat. Wenn ich beispielsweise nach Leipzig zöge, würde ich den Dialekt wahrscheinlich sehr schnell annehmen.

Wie viel von euch steckt in den Texten, die sehr persönlich wirken und Tod, Lebensbrüche thematisieren?

Die meisten Texte sind nicht autobiographisch, sondern von uns ausgedacht. Natürlich fließen eigene Erfahrungen immer ein. Jeder in unserem Alter kennt inzwischen jemanden, der an Krebs erkrankt ist. Die Geschichte bei “Zurück aus Ohlsdorf”, in dem jemand an Krebs verstorben ist, ist fiktiv. Ich habe sie zum Glück noch nicht erlebt.

Das Lied ist sehr bewegend!

Wenn sich jemand in unseren Liedern wiederfindet und es Markus auch abkauft, wenn er die Titel interpretiert, sind wir zufrieden.

Hast du eigentlich ein Lieblingslied auf “Zwischen den Runden”?

Das ist bei mir sehr schwierig. Meistens funktioniere ich eher über den Text. Ein gutes Beispiel ist der Song “Rettung”, in dem eine Geschichte geradlinig von Anfang bis Ende erzählt wird.

Mit “Schrilles buntes Hamburg” sticht ein Titel heraus. Ich war letztens in Hamburg und habe mir die Hafen-City und die Elbphilarmonie angesehen. Sieht toll aus!

Die ist ja noch nicht einmal fertig! Es geht um Verwertbarkeit von Kunst und Kultur, die oft an Wirtschaft und Tourismus gekoppelt werden. Hamburg ist exemplarisch für uns, denn wir bekommen auf der Tournee auch mit, dass es in jeder größeren deutschen Stadt die gleichen Probleme gibt. Uns war auch bewusst, dass wir das Album damit zerschneiden.

Die Songs sind allgemein sehr individuell.

Ja, wir haben uns keinerlei Vorgaben gegeben. Unser Vorgänger “Sylt” war ein wütendes Album mit einer gewissen Anti-Haltung! Dieses Mal schrieben wir einfach los und hatten später die Schwierigkeit, eine gewisse Homogenität reinzubringen.

Wie läuft die Umsetzung bei den Konzerten, ohne Streicher?

Natürlich klingen die Lieder anders, aber das macht es eben auch spannend. Allgemein finden wir es sehr gut, wenn sich die Songs live entwickeln können. Ich war mal bei “The Strokes”, die eine Superband sind. Sie spielten aber so perfekt, wovor ich als Musiker den Hut ziehe, aber ich hätte mir die Platte auch daheim anhören können. Dieses Gefühl wollen wir nicht transportieren. Wir haben acht neue Songs in unser Set aufgenommen, wollen aber natürlich alle Hits spielen, ein Potpourri der guten Laune.

Ist es euch wichtig, wie Eure neue Platte ankommt?

Klar, auf jeden Fall! Das Feedback unserer Fans ist uns sehr wichtig.

Die CD ist ja wie ihre beiden Vorgänger auf Platz 5 in die deutschen Charts eingestiegen. Das klingt nach Konstante.

Wir sind manchmal etwas zu bodenständig und haben nie von Stadiontouren und anderen Superlativen geträumt. Wichtig war es für uns alle drei Jahre eine gute Platte herauszubringen und eine gute Tour zu spielen. “Element of crime” sind da ein Vorbild für uns, die seit Jahren auf dem geleichen hohen Niveau spielen und sich lässig und konstant bewegen.

Du denkst dabei sicher an eure Zukunft.

Natürlich macht man sich auch Gedanken darüber und wie lang man noch auf der Bühne stehen möchte. Wie soll ich mit 50 noch “Landungsbrücken raus” spielen? Wahrscheinlich am ganzen Körper mit ABC-Pflaster beklebt. “Element of crime” machen uns vor, wie man älter wird und Musik machen kann, ohne würdelos zu wirken.

Wie sehen eure Pläne bei Eurer Plattenfirma “Grandhotel van Cleef” aus?

Durch unsere Arbeit für Kettcar hatten wir gar nicht so viel Zeit für das Label. Zum Glück haben wir einen funktionierenden Apparat, der für und vor allem mit uns arbeitet. In diesem Jahr werden wir noch drei Veröffentlichungen haben.

Deutsche Musik erlebt augenblicklich mit Philipp Poisel oder Max Prosa einen großen Boom.

Alles hat natürlich mit Gispert zu Knyphausen, den ich sehr mag, angefangen, der die Welle erst los trat. Mit Max Prosa und anderen habe ich mich noch gar nicht beschäftigt, werde dies aber nachholen.

Was verbindest du abschließend mit Leipzig?

Ich bin 1986 oder 1987 schon einmal in Leipzig gewesen. Früher habe ich bei der Post gearbeitet und die Gewerkschaft hat einen Austausch organisiert. Eigentlich war es nur ein wenig Weimar und Leipzig auf Sauftour, aber es war sehr spannend und eindrucksvoll. Wir wollten zum Beispiel abends in die Disco, standen Schlange, wurden eingelassen, da wir wahrscheinlich aus dem Westen kamen, und waren die einzigen Gäste. Mir wurde damals bewusst, welcher Irrsinn diese Diktatur wirklich war. Das nächste Mal war ich relativ früh mit Kettcar in der Moritzbastei. Das war total super und es tropfte von der Decke. Es war muffig und stickig und toll! Wir kommen immer wieder gern!

Danke für das Gespräch und alles Gute!

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