Häufigste neue Vokabeln im 2016-Bayreuther-Wagner-Festspiel-Deutsch waren die Worte Sicherheit, Zaun, Polizei und Sicherheitskonzept. Sonntagabend rollten zum letzten Mal für diese Saison die Besucher ab. Nur ein paar Wochen ist das fränkische Bayreuth Weltstadt. Am 25 Juli geht’s los, am 28. August geht’s schon wieder zu Ende.

Vorneweg gibt’s immer Nachrichten von den Proben und Personalien, öfters auch Umbesetzungen in der Neuproduktion. Hier wird ein Gerücht schnell als Nachricht weiterzählt, rügte der Festspiele-Musikdirektor Christian-Thielemann.

Sicherheit stand quasi als Zuschauer-Schutz-Belehrung auch auf den Tickets für die Kinderoper: „Jeder Besucher kann durch sein kooperatives Verhalten dazu beitragen, eine möglichst reibungslose und zügige Durchführung zu gewähren.“

Dazu sollte man dann auch schon mindestens eine Stunde vor Beginn am Festspielgelände eintreffen, was mindestens für die Kinderoper völlig überzogen war. Für Rucksäcke, Taschen und laut Belehrung evtl. absehbare „als Waffe einsetzbare Gegenstände“ gab es letztlich sogar einen Container zur Gepäckaufbewahrung neben der Festspielgastronomie…

Wer fürchtet sich vor Richard Wagner? Wer ein Ticket hat, darf passieren. Wer Angst hat, bleibt zu Hause. Foto: Karsten Pietsch
Wer fürchtet sich vor Richard Wagner? Wer ein Ticket hat, darf passieren. Wer Angst hat, bleibt zu Hause. Foto: Karsten Pietsch

Gruppen von Polizisten und Sicherheitsleuten arbeiteten in Sichtweite, manchen war das selbst nicht geheuer, so dass schon mal Security-Leute „Hallo!“ oder „Grüß Gott!“ zu den Passanten als vermeintlichen Freunden des friedlichen Theaterzuschauens sagten. Taschenkontrolle auch an der Tür der mit Brettern verkleideten Theaterbude für die Kinderoper.

Nach sieben Jahren ist der sagenhafte Holländer wieder da, darf er wieder an Land auf Brautschau gehen, und ein neuer Zyklus der Kinderoper beginnt. Einmal schon waren alle Werke dran, die auch auf der großen Bühne laufen, behutsam und ideenreich kurz gefasst, der „Ring des Nibelungen“ in zwei Teilen und zwei Stunden.

Wagner für Kinder als Erfolgsmodell

Was zum Start noch ein Experiment war, hat sich bewährt. Schüler, längst nicht nur aus Bayreuth, entwerfen die Kostüme in einem Wettbewerb und kommen zum Schauen, auch Leipziger waren schon dran. Für Regisseure, Bühnenbildner und andere Gewerke ist Wagner für Kinder eine Theater-Akademie.

Wann staunen schon Scharen von Kindern fast geräuschlos 100 Minuten lang und entfachen schließlich Applausstürme, sie bejubeln lebendige Kunst-Werktätige.

Eine Probebühne, von Brettern umhüllt, eine anheimelnde Theaterbude. Dieses Jahr kamen Zaun und Tor dazu. Wer hat Angst? Foto: Karsten Pietsch
Eine Probebühne, von Brettern umhüllt, eine anheimelnde Theaterbude. Dieses Jahr kamen Zaun und Tor dazu. Wer hat Angst? Foto: Karsten Pietsch

Da ist verhältnismäßig wenig Elektronik im Spiel, weniger programmiert, mehr geprobt. Kunst-Hand-Werk nach der Art besten Musiktheaters. So was war neu auf dem Bayreuther Festspielhügel und man hatte es dort nicht vermutet. Umso größer war die Begeisterung und sie entsteht immer wieder neu.

Leipzig – Bayreuth und zurück

Von Bayreuth aus hat es die Version des „Rings des Nibelungen“ mit nur einer Pause auch bis zu einer Leipziger Neuinszenierung gebracht, musikalisch wurde sogar für den Spielort und das Orchester der Musikalischen Komödie wieder aufgestockt.

Leider machte man in Leipzig noch nicht mit anderen Werken weiter. Publikumszuspruch hatte die Sache, nicht nur als Oper für Kinder, sondern Oper als Familienausflug beworben. Vielleicht nimmt sich ja eines Tages noch der Haynaer Biedermeier-Strandverein des Holländers und seiner Senta an…?

Wagner für Kinder. Aller 7 Jahre geht der „Holländer“ an Land, aller 7 Jahre kleiden ihn Kinder neu ein

Seit Jahren bilden das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) und Boris Schäfer als Dirigent ein traumhaftes Team, dem man je nach szenischem Arrangement bei der Arbeit zusehen kann, wie sonst selten. Beim „Holländer“ sitzen die 30 Musiker neben der Spielfläche. So ferne Verständigung zwischen Dirigent und Sängern funktioniert nur über Kamera und Monitore. Eine Sängerin beschrieb das vor Jahren voller Begeisterung als „Blindflug“.

Hier gibt’s auch ein 24-seitiges A 4-Programmheft zum Rätseln und Lesen, mit den Kostümfiguren aus dem Schüler-Wettbewerb, der Handlung und Szenenfotos von der großen Bühne.

Prof. Katharina Wagner (Archivfoto) erfand "Wagner für Kinder", alle Hoffnungen gingen auf: Schüler entwerfen in einem Wettbewerb Kostüme, Studenten inszenieren, ein Orchester aus Frankfurt/Oder spielt die musikalische Kurzfassung. Tickets sind begehrt. Kinder dürfen Erwachsene mitbringen! Foto: Karsten Pietsch
Prof. Katharina Wagner (Archivfoto) erfand „Wagner für Kinder“, alle Hoffnungen gingen auf: Schüler entwerfen in einem Wettbewerb Kostüme, Studenten inszenieren, ein Orchester aus Frankfurt/Oder spielt die musikalische Kurzfassung. Tickets sind begehrt. Kinder dürfen Erwachsene mitbringen! Foto: Karsten Pietsch

Bei der Kinderoper in der Fassung von Katharina Wagner und Dorothea Becker und der musikalischen Bearbeitung von Marko Zdralek stemmen sechs Solisten das ganze Werk. Wagners Musik trägt hier sogar den Steuermann ganz allein durch Wagners Chöre! Ein unglaublich amüsanter Sparvorschlag ist auch die Mutation der Spinnstube zur Fahrradreparatur.

Eine Bretterplanke verkörpert Dalands Handelsschiff. Als Holländer-Schiff genügt ein bedenklich schwankender Ruderkahn. Dalands und Elsas Haus hat das stählerne Fachwerk eines aufgeschnittenen Containers, Lamellen-Vorhang statt Metallwand. Das ist nüchtern, maritim und praktisch zugleich. Und auch noch modern.

Was die Sänger bieten, ist nichts Kammermusik-Reduziertes. Obwohl sich Künstler und Zuhörer akustisch ganz nah kommen.

Es sind Namen und Stimmen aus dem Repertoire der Festspiele, Christiane Kohl als Senta, Eva-Maria Summerer als Mary, Kay Stiefermann als ein jugendlich-drahtiger Holländer, im weißen Hemd, kein schwarzes Ungetüm, Jukka Rasilainen als Daland, Charles Kim als Erik und David Ameln als Steuermann.

Donnernder Applaus und Freude auch in den Gesichtern der Darsteller und Musiker. Nach jeweils nur einem Dutzend Aufführungen gibt es eine DVD, herausgegeben von der Festspiele-Tochter BF-Media, ab September auch von diesem „Holländer“.

Zukunftsmusik

Zuschaukunst entwickelt sich ja unentwegt weiter. Zumindest mit Hilfe der Technik. Bertolt Brechts Begriff für die Wechselbeziehungen von Künstlern und Zuschauern scheint aufzugehen. Als Ziel sah er die Entwicklung der Lebenskunst an. In seinen Radiotheorien träumte er von Interaktionsmöglichkeiten, über die heutiges Internet-Live-Fernsehen bis hin zu Einblicken von Wohnzimmer zu Wohnzimmer nur schmunzeln kann.

Und zwischen Bühne und Parkett? Seiten wechseln, Grenzen fließen, verschwinden. Theaterjugendklubs, Projekte, Inszenierungen und Stückentwicklungen gibt es scheinbar überall an Stadttheatern. Leipzigs Theater der Jungen Welt offerierte dieser Tage sogar als „neues Format“, dass sich Schulklassen drei Jahre lang mit allen Abteilungen des Theaters befassen können, um dann selbst zum Akteur zu werden.

Bei Jugend- und Mehrgenerationen-Projekten hatte man schon die Hoffnung, dass sich die schauspielerische Konkurrenz im eigenen Haus heranbildet: Nämlich nach Projekten und Entwicklungen in bestehende Texte und frühere Autoren einzutauchen, auf Entdeckungsreise zu gehen nach dem, was schon da war. Mit der Frage, wie das damals aussah, klang, wie es gemacht wurde und wie es wirkte.

Andernfalls helfen Elektronik, Automatisierung und Vorratsdatenspeicherung nach. Man nehme eine Spielanleitung, ein Video aus der Mediathek, beispielsweise eine Richard-Wagner-Oper, drösele Figuren und Orte auf, finde Begriffe um die man streitet, oder um die es sich zu streiten lohnt und schon rollt der virtuelle Würfel… Kann man ja auch mit mehreren Leuten spielen. Ein Gesellschaftsspiel. Geht schon? Gibt’s schon? Ach was.

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