"Ich stech Dich ab", rief Dirk K. als er im August 2009 mit dem Küchenmesser auf seinen Nachbarn losging. Die Klinge traf diesen am Kopf, dann versuchte Dirk K. ihn in die Brust zu stechen, was der Nachbar abwehren konnte. Das Landgericht Leipzig sprach K. heute, am 31. Mai 2012, des versuchten Totschlags schuldig. Das Strafmaß beträgt 4 Jahre und 6 Monate, inklusive einer Entziehungstherapie für den alkoholsüchtigen Täter.

Das Verfahren war im Januar dieses Jahres am Amtsgericht Leipzig verhandelt und mitten im Prozess an das Landgericht verwiesen worden. “Ursprünglich lautete die Anklage auf Körperverletzung, wurde aber im Laufe der Verhandlung auf versuchten Totschlag erhöht”, sagt Malte Heise, der Anwalt des nun verurteilten Täters. Strafmildernd wirkte, dass mehr als zwei Jahre zwischen Tat und Prozessauftakt lagen, vermutlich weil Polizei und Staatsanwaltschaft geschlampt haben. Dirk K. selbst strengte sich nicht an, seine Strafe zu mildern. “Man findet keinen Zugang zu ihm”, so Anwalt Heise über seinen Mandanten.
K. ist ein simpler Mensch. Er ist etwa 1,90 Meter groß und korpulent und erschien zur Verhandlung in unsauberer Kleidung. Der 40-Jährige wirkt zehn Jahre älter. Sein starker sächsischer Dialekt und mehrere Zahnlücken machen es schwer, ihn zu verstehen. Gerade dann, wenn er aufgeregt ist und schnell spricht. Zudem verheddert er sich in Widersprüchen. Beim Amtsgericht hatte er durch seinen Anwalt ein Geständnis verlesen lassen. Beim Landgericht gibt er vor, sich an nichts mehr erinnern zu können. Nur mit der Faust habe er den Nachbarn geschlagen, von einem Messer wisse er nichts mehr.

Ungleich kultiviert und glaubhafter wirkt dagegen der Nachbar, Matthias B. Er schildert den Vorfall damals in der Plaußiger Straße in Einzelheiten: Zu Weihnachten 2008 sei ein Paket für ihn bei K. abgegeben worden. Dieser unterschlägt die Geschenke-Post für den dreijährigen Sohn des Nachbarn, behauptet das Paket wieder auf die Post gebracht zu haben, kann aber keinen Schein vorweisen und gibt irgendwann später zu, das Paket aufgemacht und die enthaltenen Süßigkeiten gegessen zu haben. Daher rührt der Streit zwischen den Parteien, der acht Monate lang schwelt. Als B. am Tag der Tat, dem elften August 2009 am Fenster von K. vorbei geht, ruft er diesem etwas Despektierliches zu.
“Ich wollte ihn beleidigen aber dass er so ausrastet, dachte ich nicht”, erklärt B. Dirk K. stürmt hinaus, prügelt auf B. ein. “Ich war damals topfit, er groß und behäbig. Er hat mich nicht erwischt.” Das macht K. rasend, er läuft hinein, B. redet mit einer Nachbarin, die alles gesehen hat, K. kommt mit dem Messer hinaus, sticht auf B. ein, erst auf den Kopf, dann auf die Brust. “Ich spürte die Schnittwunde am Kopf, hielt beide Hände von K. fest, sonst hätte er mich in die Brust gestochen.” Ein weiterer Zeuge schafft es, dem Rasenden das Messer zu entreißen, Polizei und Krankenwagen werden gerufen.
“Sie haben billigend in Kauf genommen, dass ein Mensch stirbt”, sagte Richter Hans Jagenlauf in der Urteilsbegründung. Die Versuche K.s den Ausbruch als harmloses Gefuchtel hinzustellen, bezeichnete Jagenlauf als drollig. “Dies bleibt ein Kapitalverbrechen”, erinnerte der Vorsitzende der Ersten Strafkammer das Landgerichts Leipzig. Die Kammer habe sogar überlegen müssen, ob nicht ein Mord in Frage kommt, entschied sich jedoch wegen einer diagnostizierten Persönlichkeitsstörung K.s und seiner Alkoholsucht dagegen. Wegen dieser wird er in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Die Therapie dort dauert maximal drei Jahre. Die Zeit wird auf die Haft angerechnet.

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