Rechtslastige Ansichten sind Teil der bundesdeutschen Gesellschaft. Und die Träger dieses Gedankengutes erkennt man oft nicht an ihrem Aussehen. Oft genug sind sie fester Bestandteil der Gesellschaft. Vielerorts hat man sich mit den Ewiggestrigen und ihren zeitgemäßeren Pendants arrangiert.

Sie sitzen in Elternbeiräten, engagieren sich in Feuerwehr, Sportverein und Gemeinderat oder sind einfach nur die hilfsbereiten Nachbarn von Nebenan. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie sind längst keine Phänomene sozialer Randgruppen mehr – so sie es überhaupt jemals gewesen sind.

Die Journalisten Astrid Geisler und Christoph Schultheis haben sich auf den Weg gemacht, eine deutsche Parallelgesellschaft zu erforschen. Ihre Erkenntnisse haben sie jüngst in einem Sammelband veröffentlicht. Ihre Reise führt sie quer durch die Republik. Denn Neonazismus ist kein reines Ostphänomen. Ob sächsisches Provinznest oder westdeutsche Großstadt – Neonazis und Anhänger neurechter Ideologien sind überall zu finden.Auf ihrem unterhaltsam erzählten Ausflug in die Abgründe der Schattenwelt der deutschen Rechten lassen sie Menschen unterschiedlichster Natur zu Wort kommen. Da ist die sächsische NPD-Schöffin, die stolz erzählt, dass ihr Sohn keine Angst mehr vorm Gewitter habe, seit er die Geschichte vom germanischen Donnergott Thor kennt. Oder der Mitbegründer eines islamophoben News-Portals, für den jeder Straftäter, dessen Nationalität nicht genannt wird, ausländischer Herkunft ist. Oder die besorgte Mutter aus dem Westen, deren Sohn in die Neonazi-Szene abgerutscht ist. Oder die rechten Esoteriker, die felsenfest der Überzeugung sind, Hitler sei kurz vor Kriegsende mittels einer “Reichsflugscheibe” über die Antarktis ins Erdinnere entschwunden, um seine Wiederkehr vorzubereiten.

Der braune Alltag hat viele Gesichter. Und er birgt viele Geschichten. So viele, dass die allermeisten schon gar nicht mehr in der Tagespresse auftauchen. Vieles wird in der schwarz-gelb regierten Bundesrepublik als normal empfunden. Aber was ist schon normal? Und was ist noch normal?

Fragen wie diesen gehen die Autoren in “Heile Welten” auf den Grund. In ihren neun exzellent recherchierten Episoden liefern die Autoren ein breites Abbild der Mikroebene der rechten Szene in Deutschland. TAZ-Redakteurin Geisler und Bildblog-Mitbegründer Schultheis fangen dort an, wo die Tagespresse oftmals kapituliert. Sie zeichnen das beklemmende Bild einer Mehrheitsgesellschaft, die allzu gerne wegschaut oder toleriert, wenn Rechte aktiv werden.

Wenngleich ein fundierter Anhang den Experten zum Nachschlagen und Weiterlesen einlädt, richtet sich das Buch vorrangig an Leser, die sich bisher gar nicht oder nur marginal mit dem Thema beschäftigt haben. Die Autoren möchten ihren Lesern die Sinne schärfen. Denn dort, wo sich Neonazis unauffällig geben können, wo sie und ihre menschenfeindliche Ideologie auch nur in Bruchstücken gesellschaftlich akzeptiert werden, sind sie am gefährlichsten.

Astrid Geisler / Christoph Schultheis “Heile Welten. Rechter Alltag in Deutschland”, Carl Hanser Verlag, 15,90 Euro

Termine auf der Buchmesse am 17. März:

14:45 Uhr: taz, Halle 5, Stand D412 – Das taz-Gespräch. Die Autoren im Gespräch mit Wolfram Schmidt.

19:30 Uhr: Juristenbibliothek, Burgplatz 27 / Petersbogen, 04109 Leipzig (Zentrum) – Lesung mit den beiden Autoren

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