Der Negativ-Sozialpreis "Verbogener Paragraf" der "Evangelischen Obdachlosenhilfe in Deutschland e.V." (EvO) geht 2012 an den Kommunalen Sozialverband Sachsen (KSV). Seit 2003 kämpfen die Diakonie Sachsen und deren Bundesverband gegen Praktiken des überörtlichen Sozialhilfeträgers an. Damit die Kritik nun öffentlich wird, gibt es den Preis.

Erfolgsmeldungen über den grün-weißen Freistaat liest man in Sachsen immer gern. Insbesondere dann, wenn eine sächsische Institution mal wieder in einem bundesweiten Ranking einen Spitzenplatz belegt. Fremdlob erhöht halt die Selbstachtung.

Nun gibt es auch Negativ-Preise. Was Filmschaffenden in und um Hollywood die “Goldene Himbeere”, ist der Evangelischen Obdachlosenhilfe in Deutschland (EvO) der “Verbogene Paragraf”.

Im Zweijahresrhythmus lässt die EvO eine gut 50 Zentimeter große Metallskulptur unter Deutschlands Sozialleistungsträgern wandern. Als Anerkennung dafür, dass man aus Sicht der evangelischen Wohlfahrtsorganisation in einer Behörde zuletzt besonders engagiert und einfallsreich war.

Mit aller Kraft stemmt sich das Männchen der Skulptur gegen das Paragrafenzeichen. Eine solche Ausformung und Auslegung der Rechtsansprüche von Wohnungslosen nennt die EvO eine “kritikwürdige Rechtsvollzugspraxis”.
Solcherart Praktiken geht die EvO als “Verbogener Paragraf”-Jury beharrlich nach. In Wahrnehmung der Interessen der Leistungsempfänger von Arbeitslosengeld beobachte man laufend die tatsächliche Umsetzung und Realisierung von Rechtsansprüchen Sozialleistungsberechtigter in allen Teilen der Bundesrepublik und erhalte durch Rückmeldungen und Beobachtungen Kenntnis von defizitären und rechtswidrigen Verwaltungsvollzügen, lautet die Selbstbeschreibung dieses Tuns.

Beinahe ein Jahrzehnt schon reibt sich der konfessionelle Wohlfahrtsverband am Kommunalen Sozialverband Sachsen. Die Behörde mit Sitz in der Leipziger Thomasiusstraße verstößt nach Einschätzung der EvO seit Jahren gegen geltendes Recht und verweigere oder unterlaufe gesetzlich vorgeschriebene Hilfen für wohnungslose Menschen. “Zudem nötige er die Träger der Wohnungslosenhilfe dazu, von den betreuten Menschen Daten zu erheben, die für die Gewährung der Hilfen unnötig sind und dem Datenschutzrecht und dem Schutz der Vertraulichkeit der Beratung widersprechen”, begründet der Verband die Verleihung des “Verbogenen Paragrafen” 2012 an den KSV .

“Das Diakonische Werk Sachsen und der Bundesverband versuchen seit 2003 diese Praktiken abzustellen und den KSV zu rechtskonformem Handeln zu bewegen”, rief Rotraud Kießling, Referentin für Wohnungslosenhilfe bei der Diakonie Sachsen, anlässlich der Preisverleihung in Erinnerung. Bislang ohne Erfolg.

Aus dem sächsischen Sozialministerium kam bislang Rückendeckung für “diese rechtswidrige Praxis”. Deshalb wendet sich der Verband jetzt mit der Verleihung des Preises an die Öffentlichkeit.

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Rotraud Kießling beschreibt die Folgen des sächsischen Verwaltungshandelns so: “Viele wohnungslose Menschen schrecken davor zurück, notwendige Hilfen in Anspruch zu nehmen, wenn sie vorher langwierige Prüfungen ihres Einkommens, ihrer Unterhaltsansprüche usw. bestehen müssen. In so einer dramatischen Situation wie Wohnungslosigkeit beispielsweise Kopien von Kontoauszüge präsentieren zu müssen, obwohl man vielleicht schon gar kein Konto mehr hat – immerhin hat jeder sechste bei uns Hilfesuchende überhaupt kein Einkommen, also nicht mal Hartz IV – ist absolut kontraproduktiv und entspricht auch nicht der Rechtslage. So chronifizieren und verschlimmern sich Notlagen.”

Was der Kostenträger scheinbar einsparte werde volkswirtschaftlich zur Verlustrechnung, so Kießling weiter.

Immerhin ist der KSV als Träger des “Verbogenen Paragrafen” in prominenter Gesellschaft. Er übernahm den Negativ-Preis von der Bundesregierung. Diese wendet Gesetze nicht nur an. Sie initiiert regelmäßig neue Gesetze und erlässt Verordnungen.

Anlass der Preisverleihung war die diesjährige Tagung der EvO in Nürnberg in der Vorwoche. Dabei warnten Experten vor einem weiteren Anstieg der Wohnungslosigkeit in Deutschland. Aktuell seien 250.000 Menschen betroffen.

Die EvO will laut Medienberichten künftig auf das Konzept “Housing First” setzen. Ziel ist es, Obdachlosen zuallererst eine eigene Wohnung zu geben, bevor andere Unterstützung angeboten wird.

www.evangelische-obdachlosenhilfe.de
www.diakonie-sachsen.de

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