"Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind überhaupt nicht in der Lage, betriebliche und private Vorsorge zu treffen", sagt Iris Kloppich, Vorsitzende des DGB Sachsen, zur Situation im "Niedriglohnland" Sachsen. Deshalb dürfe das Rentenniveau auf keinen Fall auf 43 Prozent sinken, so Kloppich im L-IZ-Interview.

Frau Iris Kloppich, aus der Politik kommen derzeit verschiedene Angebote zu einer Mindestrente für langjährig Versicherte, die über dem Niveau der Grundsicherung liegt. Was überzeugt Sie an den Vorschlägen?

Nach wie vor sind für die Höhe einer Rente das monatliche Bruttoentgelt und die gesamte Erwerbsbiographie – sprich: Arbeitsjahre – von Bedeutung. Und es ist wichtig, dass alle Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Deshalb sind für den DGB alle Angebote der Politik wichtig, die in diese Richtung zielen.

Wer armutsfeste Renten will, muss sich für existenzsichernde Löhne und Gehälter, für Tarifbindung und Tariflöhne und mindestens für einen gesetzlichen Mindestlohn aussprechen und eine Erwerbstätigenversicherung favorisieren.

Wie bewerten Sie den politischen Umgang mit dem Thema Altersarmut?

Die politisch Handelnden haben erkannt, dass Altersarmut kein abstrakter Begriff mehr ist, sondern immer mehr zur Realität wird. Auf die “Lebensleistungsrente” haben sich Union und FDP Anfang November 2012 in einer Koalitionsrunde geeinigt. Ein ausgereiftes Konzept liegt aber nicht vor. Vielmehr sind noch Details umstritten, beziehungsweise: es sind so genannte Prüfaufträge vergeben worden.

Ansatzpunkt ist, die Renten von Geringverdienern aufzustocken. Wer nach 40 Beitragsjahren und privater Zusatzvorsorge mit seiner Rente noch unter der Grundsicherung liegt, soll einen Zuschuss aus Steuermitteln bekommen und zwar so, dass die Rente 10 bis 15 Euro über der Grundsicherung liegt.

Umstritten ist zwischen Union und FDP, was damit genau gemeint ist, denn die Grundsicherung ist in Deutschland regional sehr verschieden. Die FDP will sich an einem bundesweiten Durchschnittswert orientieren, der derzeit bei circa 700 Euro läge. Bundesarbeitsministerin von der Leyen will dagegen die aktuell höchste Grundsicherung als Maßstab heranziehen. In Städten wie Düsseldorf oder Wiesbaden werden derzeit rund 830 Euro gezahlt – ein nicht ganz unbeträchtlicher Unterschied!

Und wie soll dieser Ansatz praktisch umgesetzt werden?

Versicherungsmathematisch soll die Lebensleistungsrente durch eine Aufwertung bei den Rentenpunkten erzielt werden. Das für die Aufstockung erforderliche Geld soll aus Steuermitteln zugeschossen werden. Die Lebensleistungsrente ist an Voraussetzungen geknüpft: Man muss mindestens 40 Beitragsjahre aufweisen können und man muss bereits private Vorsorge getroffen haben.

Aus Sicht der Interessenvertretung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist das kein Konzept, um Altersarmut zu vermeiden. Die Zugangsbedingungen sind besonders in Sachsen kaum zu erfüllen.

Sind konkurrierende Vorschläge näher an der Wirklichkeit dran?

Die SPD hat ein Rentenkonzept vorgelegt, das aus drei Bausteinen besteht: der Mindestrente, der Teilrente und dem Ausbau der betrieblichen Altersvorsorge. Die Mindestrente, auch Solidarrente genannt, soll garantieren, dass man nach 30 Betriebsjahren auch nach längerer Arbeitslosigkeit oder Tätigkeit in einem Billigjob einen Mindestanspruch von 850 Euro im Monat hat. Für alle, die trotz vorliegender Voraussetzungen diesen Betrag nicht erreichen, soll im Sozialrecht eine zweite Stufe der Grundsicherung eingeführt werden.

Wer 45 Versicherungsjahre – nicht Beitragsjahre – aufweist, soll auch schon vor dem 65. Lebensjahr ohne Einbußen in Rente gehen können. Bezieher von Erwerbsminderungsrenten sollen keine Abschläge mehr hinnehmen. Bislang wird der Betroffene dabei so gestellt, als habe er bis zum 60. Lebensjahr weiter Beiträge zur Rente gezahlt. Die Zeit zwischen Eintritt der Erwerbsminderung und dem 60. Lebensjahr wird “Zurechnungszeit” genannt. Diese Zeit will die SPD in einem Schritt bis zum 62. Lebensjahr verlängern.

Der Vorschlag zur Teilrente ist für Beschäftigte in körperlich und psychisch belastenden Berufen gedacht. Sie sollen ab dem 60. Lebensjahr ihre Arbeitszeit in Zehn-Prozent-Schritten bis auf 70 Prozent reduzieren können. Damit soll ein flexibler Übergang in die Rente geschaffen werden.Wie flexibel gibt sich die SPD denn beim Rentenniveau?

Die SPD will am Ziel, das Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent abzusenken, festhalten. Das ist nicht neu, denn die SPD hat dieses Ziel selbst aufgestellt. Neu ist allerdings, dass ein Ausgleich durch den Ausbau der Betrieblichen Altersversorgung geschaffen werden soll. Als “zweite Stufe” neben der Rentenversicherung soll sie weitgehend die Riester-Rente ersetzen.

Geplant ist eine “Betriebsrente Plus”, in der jeder Arbeitnehmer, falls er nicht ausdrücklich widerspricht, zwei Prozent seines Bruttolohn einzahlt. Der Staat soll diesen Sockelbetrag mit 400 Euro im Jahr fördern. Auch die Unternehmen sollen sich beteiligen. Die Mehrkosten für die Betriebsrenten gegenüber heutigen Fördermodellen werden auf sechs Milliarden Euro im Jahr geschätzt. Sie sollten nach SPD-Ansicht aus Steuermitteln aufgebracht werden. Für die Solidarrente werden jährlich ansteigend etwa eine Milliarde veranschlagt, die aus Haushaltsmitteln kommen sollen.

Den Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge will die SPD in kleinen Schritten verstetigen. Die Sätze sollen von 2014 bis 2029 um durchschnittlich 0,4 Prozent höher steigen als bislang geplant. Damit würde aber das von der Rentenversicherung angepeilte Beitragsniveau von 22 Prozent bis 2030 nicht übersprungen.

Wie bewerten Sie diese Vorschläge?

Das Angebot der SPD ist in vielen Teilen nachvollziehbar. Allerdings hält der DGB daran fest, dass das Rentenniveau auf keinen Fall auf 43 Prozent abzusenken ist. Zu bedenken geben wir auch, dass es in Sachsen – wegen der Kleinteiligkeit der Unternehmen – sehr wenige Möglichkeiten für eine betriebliche Altersvorsorge oder für einen Abschluss einer Riesterrente gibt.

Letztere wird von uns wegen hoher Verwaltungskosten und Anrechnung bei Hartz IV gerade eben nicht als Produkt gesehen, was Altersarmut verhindert.

Nun setzt der Gesetzgeber auf den Ausbau von Betriebsrenten und privater Vorsorge zum Schließen der Löcher, die er in das Versorgungsniveau der Gesetzlichen Rente reißt. Inwieweit überzeugt Sie dieser Weg?

Aktuell liegt eine durchschnittliche Altersrente im Rentenzugang bei 673 Euro im Monat: bei Männern bei 860 Euro, bei Frauen bei 514 Euro. Das ist deutlich weniger als noch vor zehn Jahren. Damals hatte der Gesetzgeber beschlossen, dass der Beitragssatz unbedingt stabil sein müsse.

Doch dafür muss zwangsläufig das Rentenniveau gesenkt werden. Und so wird die Rente durch eine Vielzahl gesetzlicher Eingriffe in den vergangenen zehn Jahren bis 2030 um insgesamt bis zu 25 Prozent zusammengekürzt.

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen dieses sinkende Rentenniveau durch zusätzliche Vorsorge ausgleichen. Doch bislang ist der Verbreitungsgrad der Privatvorsorge und auch der betrieblichen Altersvorsorge viel zu gering. So schafft es etwa im untersten Einkommensbereich gerade einmal ein Viertel, durch einen Riester-Vertrag zusätzlich für das Alter vorzusorgen. Und die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine zusätzliche Vorsorge haben, bringen nicht genügend auf die Seite, um die gewaltigen Rentenkürzungen auszugleichen.

Woran liegt das?

Sachsen ist das Niedriglohnland und geprägt von einer sehr kleinteiligen Betriebsstruktur. Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind überhaupt nicht in der Lage, betriebliche und private Vorsorge zu treffen.

Die aktuelle Einnahmesituation der Rentenversicherung bietet den gesetzlich vorgegebenen Spielraum für eine Beitragssatzsenkung, die die Bundesregierung zu Beginn eines Wahljahres gern verkündet. Warum laufen Sie dagegen Sturm?

Eine Beitragssatzsenkung in der Rentenversicherung klingt erst einmal verlockend, ist jedoch eine völlig falsche Weichenstellung. Mit der jetzt vollzogenen Beitragssatzsenkung schmelzen die Reserven der Nachhaltigkeitsrücklage – heute circa 25 Milliarden Euro – in wenigen Jahren auf das gesetzliche Mindestmaß. Und dies, obwohl das Rentenniveau sinkt.

Im Jahr 2020 sind die Reserven also nahezu aufgebraucht und die Rentenversicherung nahe der Handlungsunfähigkeit – dann muss der Rentenversicherungsbeitrag – so die Prognosen der Bundesregierung – innerhalb eines Jahres um einen ganzen Prozentpunkt angehoben werden. Damit verbessern sich allerdings die Leistungen nicht – einzig das massiv gekürzte Rentenniveau von 43 Prozent ab 2030 wird dadurch “abgesichert”.

Spürbare Beitragssatzanhebungen sind selten populär …

Es ist deshalb zu befürchten, dass sich eine künftige Regierung sehr schwer damit tun wird, im Jahr 2020 die Anhebung des Rentenbeitrags im vollen Umfang vorzunehmen – gegebenenfalls auch aufgrund schwieriger konjunktureller Entwicklungen. Damit sind weitere Kürzungsdebatten oder gar weitere Kürzungsrunden vorprogrammiert.

Die Bundesregierung plant einen Anstieg des Rentenversicherungsbeitrages ab dem Jahr 2020 von 19 Prozent auf 22 Prozent im Jahr 2030. Damit wird jedoch keine Demografie-Reserve aufgebaut, sondern nur das gesetzlich geforderte Minimum der Nachhaltigkeitsrücklage erfüllt.

Unter Rentenexperten gilt die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters als die am wenigsten schmerzhafte Anpassung an eine Gesellschaft des längeren Lebens und der längeren Rentenlaufzeiten. Welchen Sinn macht aus Ihrer Sicht die “Rente mit 67”?

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften plädieren für flexible Übergänge in die gesetzliche Altersrente. Die Rente mit 67 ist für die DGB-Gewerkschaften ein reines Rentenkürzungsprogramm.

Die Zahl der älteren Beschäftigten im Normalarbeitsverhältnis liegt nur bei 10 Prozent, bezogen auf die 63- und 64-Jährigen. Fast jede(r) Zweite geht mit Abschlägen in Frührente. Die Rente mit 67 kann abgeschafft werden, wenn durch den Aufbau der Demografiereserve, also durch eine schrittweise Beitragssatzsteigerung auf 22 Prozent im Jahr 2030, die finanzielle Basis geschaffen wird und Menschen mit existenzsichernden Löhnen bis 65 Jahre arbeiten.

Dazu gehören jedoch auch qualifizierte Konzepte der Arbeitgeber für altersgerechte Arbeitsplätze sowie Weiterbildung und gute Arbeit. Letztendlich steht die Forderung nach der Erwerbstätigenversicherung, um die Einnahmeseite zu verbreitern.

http://sachsen.dgb.de/themen_1/++co++b1763354-e2c6-11e1-98d1-00188b4dc422

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar