„Wir stehen dabei und sehen und hören das Getrampel, und es geht gerade über unser Herz. Das Volk Deutschlands ist in zwei feindliche Lager zerspalten: die Nationalsozialisten und die Nicht-Nazis. Der Nationalsozialismus ist eine zufällige Zusammenrottung, die Verschwommenheit seiner Grenzen und Ziele macht seinen Erfolg, das Widernatürlichste, vom Prinzen bis zum Kommunisten, ist in ihm vereint, Harmlosigkeit und Gefährlichkeit, ehrliche Dummheit und verlogene Klugheit, Reaktion und Revolution – zu diesem Tohuwabohu führt für den reinlich und frei denkenden Menschen keine Brücke. Der Nicht-Nazi kann mit mehr Vertrauen in ein Menschenfresser-Dorf auf Sumatra gehen, ohne ein Wort der Sprache zu verstehen, als zu einer Gruppe von SA-Leuten, die seine ‚Landsleute‘ sind.“

Diese Zeilen schrieb der Leipziger Musiklehrer und Journalist Heinrich Wiegand im Jahr 1932. Geschliffene und einen fast ins Mark treffende Zeilen, nicht nur, weil sie so entlarvend und präzise sind, in ihrer Beschreibung dessen, was sich damals abspielte, sondern weil wir uns natürlich darin erneut 1:1 wiederfinden.

Fragt man sich nur neben tausend anderen Fragen: Es gab damals schon einen Heinrich Wiegand und einen Tucholsky und einen Walter Mehring und einen Erich Weinert und noch viele weitere scharfsinnige begabte Schreiber, die die Lage der Nation erkannt hatten und ungefiltert wiedergaben.

Auch heute sind solche unter uns – ohne Zweifel. Kluge, talentierte, pointiert schreibende Journalisten, die fetzigen Macher der „Heute-Show“, sie alle halten der Nation den Spiegel spaß- und schmerzhaft vor – oft vorzüglich, geschliffen, überzeugend. Und doch: Es bleiben Hiebe und Stiche in der Luft. Für diese Art Waffen ist gar kein Gegner da. Der wird dadurch gar nicht mehr erreicht, es scheint ein Schreiben für die Gesinnungsgenossen zu sein. Der Gegner aber, der vielleicht keiner sein müsste, marschiert oder spaziert fröhlich oder wütend weiter mit Tschingdarasssasa und Besorgnis, die Fäuste schüttelnd.

Müsste Eskort in einvernehmlichem Schweigen (oder besser: Schreiben) nicht neu ins Strafgesetzbuch?

Wenn so viel schöpferische Kraft in der Satire steckt – und das tut sie – warum versickert dann das Empörtsein so schnell, gern begleitet von resignierendem Achselzucken? Warum mündet sie nicht in tatsächlichem Engagement? Weil wir nicht wissen, wo wir anfangen sollen? Weil einen dieses „Das hat doch alles ohnehin keinen Zweck“ paralysiert?

Die Alten werden nicht mehr angehört, hatten ja auch viele geschichtliche Irrtümer, die Jüngeren ergehen sich in völliger Desorientierung zwischen Arbeitsbienentum und dem Abusus von Unterhaltungselektronik. Es scheint nicht mehr viel Zeit zu sein. Es existieren ein paar triftige Indizien für eine Totgeburt namens Zukunft.

Vielleicht sollten wir deshalb die Zange bald ansetzen

Alte in die Schulen oder die Schüler zu den Alten – regelmäßig! Nicht nur zu einem bestimmten Event unter dem Thema „Der Zeitzeuge erzählt“. Schulen grundsätzlich beleben: JA zur Gewissenserziehung und NEIN zu Bewerbungsschreiben-Textbausteinen wie „Ich bin über das Maß hinaus belastbar“ und anderen unterwürfigen Versatzstücken. Es ist fahrlässig, junge Menschen zu so etwas anzustiften. Es ist Erziehung zur Lüge.

Nicht das System muss von links nach rechts gedreht werden oder umgekehrt, sondern unsere gesamte Herangehensweise an die Dinge: Nicht das Gespann Wirtschaft und Wissenschaft habe allein was zu sagen, bloß weil die Ergebnisse ihrer Machenschaften zählbar sind, sondern die gesamte menschliche Existenz stehe im Fokus. Die Wirklichkeit des Menschen mit den zentralen Themen Leben, Liebe und Hass, Moral und Tod entzieht sich diesem Bereich doch völlig!

Deshalb: Es müssen viel mehr mit an die Spitze (auch außerhalb jeglicher Parteienbindung): Politiker, Bürger, Philosophen, Ärzte, Künstler aller Sparten – Dichter, Maler, Filme- und Theatermacher – alle müssen mit ins Cockpit auf dem Flug aus dem Sumpf. Ich stehe zur Verfügung: Als was auch immer. Vielleicht als „lustige Person“.

Wer macht mit? Wer stellt den Kreißsaal zur Verfügung? Wer hält Händchen? Wer schneidet die Nabelschnur hübsch durch? Wer macht die ersten Fotos? Vergessen wir nicht: Wir brauchen viele und wir müssen es gut machen. Es soll doch ein heiteres Kind werden, oder …?

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