Von Dr. Leonhard Kasek: Der Streit um technischen versus ökologischem Hochwasserschutz hat einen institutionellen Hintergrund: Das zuständige Ministerium vereint Landwirtschaft und Hochwasserschutz. Bei Konflikten führt das fast automatisch dazu, dass sich die Interessen der Landwirtschaft durchsetzen. Das wird durch die CDU-Herrschaft noch verschärft: die CDU hat ihre Wählerbasis im ländlichen Raum mit dem Ergebnis, dass nicht wenige CDU-Abgeordnete die Forderungen des Bauernverbandes mit göttlicher Offenbarung verwechseln.

Es geht ja nicht nur um Ernteausfälle deren Ersatz sehr viel weniger Geld kostet als der Wiederaufbau von Dörfern und Stadtteilen. Auf den potentiellen Überflutungsflächen befinden sich zum Beispiel auch Lager für Agrargifte und Mineraldünger, die auf keinen Fall ins Wasser gelangen dürfen. Auch überdüngte Felder und mit Pestiziden und Herbiziden durchdrängte Kulturen und Böden sind geeignet das Wasser der Flüsse bis zur Ost- und Nordsee zu verseuchen. Die potentiellen Überflutungsflächen können also nicht munter wie gehabt bewirtschaftet werden. Der Bauernverband möchte das gar nicht erst diskutieren. Auch deshalb fordert er den Schutz der Felder und Wälder mit Deichen vor dem Wasser.

In Sachsen wurden den Flüssen aber ¾ ihrer alten Ausdehnungsflächen genommen. Eingepfercht in Deiche werden auch Wasserspeicher ausgeschaltet und es kommt mehr Wasser in den Flüssen an. Das fließt dort eingemauert noch schneller als ohne Deiche. Damit treffen Hochwasserwellen aus Zuflüssen aufeinander, die früher nacheinander gekommen waren. Das Hochwasser steigt weiter. Die Zunahme schwerer Hochwässer in den letzten Jahren ist vor allem eine Folge der Deiche. Je weiter flussabwärts ein Dorf oder eine Stadt liegt, desto höher müssen die Deiche gebaut werden, um ausreichend Schutz zu bieten. Immer mehr Ortsteile lassen sich dann gar nicht mehr schützen.

Man denke zum Beispiel in Leipzig an Plagwitz – dort sind die Wohngebäude teilweise so ans Elsterufer gebaut, dass da im Katastrophenfall nicht mal mehr Sandsäcke hinpassen. Auch deshalb sind der Überflutung des Leipziger Auwaldes sehr enge Grenzen gesetzt. Solche Wasserlagen mit Überflutungsgarantie kosten übrigens horrende Mieten. Weshalb die Kommunen und Grundstückseigentümer sehr interessiert sind, solche Grundstücke zu bebauen.

Der Ausweg liegt darin, das Wasser wieder breit laufen zu lassen. Technischer Hochwasserschutz mit Deichen hat ihren Platz, um Dörfer und Städte zu schützen, nicht aber Felder, Wiesen und Wälder. Damit das funktioniert müssen die Felder so bewirtschaftet werden, dass sie wieder als Wasserspeicher dienen. Durch schwere Technik unterhalb der Arbeitstiefe der Pflüge stark verdichtete Böden können nur wenig Wasser aufnehmen. Dazu kommt, dass durch die industrielle Landwirtschaft der Humusgehalt der Böden je Jahr um 2 % bis 3 % abnimmt. Solche Böden können nur wenig Wasser aufnehmen und speichern. Vor allem nach langer Trockenheit reagieren sie wie Beton: Platzregen kann nicht eindringen und fließt ab. Das erhöht die Gefahr, dass Grundstücke, die an solche Felder grenzen schon bei einem kräftigen Sommergewitter geflutet werden, auch wenn kein Fluss oder Bach über seine Ufer tritt.

Technischer Hochwasserschutz wird hier auch zum Instrument, das dazu dienen soll, Konflikte zwischen Hochwasserschutz und industrieller Landwirtschaft zu vermeiden. Verschärft wird das durch die Organisation der Hochwasserprävention und Abwehr. Die zuständige Talsperrenverwaltung ist extrem hierarchisch aufgebaut. Entscheidungen werden in kleiner Runde zentral gefasst, die Regionalabteilungen haben auszuführen und kaum mitzureden. Das sichert im Katastrophenfall schnelles Handeln und den Einsatz der Kräfte dort wo es am nötigsten ist. Bei der Katastrophenabwehr ist das sinnvoll. Bei der Prävention ist dieser zentralisierte Aufbau dagegen völlig uneffektiv: örtliche Bedingungen und die differenzierten Interessenlagen vor Ort können so kaum beachtet werden, mit dem Ergebnis, dass die Regionalchefs wie Bobbe in Leipzig die unvermeidliche Dauerprügel von Anwohnern, Kommunen, Wirtschaftsakteuren und Umweltverbänden beziehen und auch dann kaum reagieren können, wenn sie wissen, dass die Kritik sachlich berechtigt ist.

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Diese Hierarchie sichert der Spitze der Talsperrenverwaltung eine enorme Macht, Verfügung über enorme Finanzmittel und entsprechendes Personal. Sie nutzen natürlich alle Möglichkeiten, das zu erhalten und wenn möglich auszubauen. Da ist zentral verordneter technischer Hochwasserschutz fast immer das geeignetste Mittel. Überflutungsflächen erfordern eine genaue Kenntnis der Situation und der Interessenlagen vor Ort. Das kann nicht zentral angeordnet werden.

Hochwasserschutz gehört in die Hände von Flusskonferenzen, auf denen alle Anlieger gemeinsam beraten, was zu tun ist, um einen Anstieg des Wassers nach starken Niederschlägen oder raschem Abtauen des Schnees zu bremsen und zu begrenzen. Dabei verteilen sich Belastungen und Nutzen unterschiedlich. Die Oberlieger haben bei der Schaffung von Überflutungsflächen wesentlich mehr zu schultern als die Unterlieger, die wiederum den Nutzen haben, wenn flussaufwärts das Wasser breit über Felder und Wälder fließt und nicht durch Deiche in die Höhe gezwungen wird. Daher müssen die Unterlieger als Nutznießer die Kosten der Oberlieger mittragen. So zahlen z.B. die deutschen Rheinanlieger an Frankreich, damit der Rhein im Katastrophenfall breit in die Auen des Elsass laufen kann ohne dort Dörfer und Städte zu fluten. Das funktioniert trotz aller kleinen Konflikte in manchen Details gut und ist viel billiger als die Verstärkung und Erhöhung der Deiche in Deutschland, der sonst nötig wäre.

Es ist klar, dass vernünftiger Hochwasserschutz nur bundeslandüberschreitend möglich ist und das schließt auch Geldzahlungen ein. Was an der Elster im Leipziger Nordwesten gemacht wird, wirkt sich auf Halle aus. Wenn in Sachsen-Anhalt und Thüringen elsteraufwärts das Wasser in hohe und starke Deiche gezwängt wird, statt es in den Auen breit laufen zu lassen, steigen im Katastrophenfall in Leipzig die Pegel. Hier muss zwischen den Anliegern ein nachhaltiger Lastenausgleich gefunden werden. Das heißt auch, dass sich Sachsen an Hochwasserschutzmaßnahmen elsteraufwärts in Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligen muss.

Obwohl es hier seit dem Hochwasser von 2002 Fortschritte gegeben hat, scheitert noch immer viel zu viel an der Kleinstaaterei und dem Zentralismus sächsischer Behörden. Diese streiten im Zweifel um jeden Euro sächsischen Geldes statt Wege zu vernünftiger Kooperation und zum fairen Lastenausgleich bei der Hochwasservorsorge zu suchen bzw. die Kommunen zu unterstützen selbst besser zusammenzuarbeiten und zwar ohne Rücksicht auf die Grenzen der Bundesländer.

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