Von Dr. Wilfried Karger: Für mich ist das Bild vom Auszug der Menschen mit Kerzen in den Händen aus der Nikolaikirche auf die Leipziger Straßen das faszinierendste Bild der friedlichen Revolution in der DDR im Herbst 1989. Es ist das Bild der Bürger von Leipzig, die anfangs zögerlich und vereinzelt sich zusammenfanden zu einem zielgerichteten und nicht mehr aufzuhaltendem Strom, mutig, das eigene Leben riskierend, im einzelnen ganz individuell geprägt und motiviert, aufgehoben in dem allgemeinen Willen zur Veränderung.

Das sind die beeindruckenden Bilder, die damals um die Welt gingen.

Sie bleiben ein Zeugnis der Geschichte, sie haben die Welt verändert. Selbst der “arabischen Frühling” 25 Jahre später hat in diesen Bildern sein Vorbild gefunden. Bis heute hat das Bild von den aus der Kirche ausziehenden Bürgern von Leipzig mit den Kerzen in den Händen bleibende Aktualität und vor allem hohe Symbolkraft.

Daher ist es geradezu wahnwitzig, wenn die Ausschreibung zu einem Wettbewerb um die Gestaltung eines Denkmals für diese Revolution von vornherein alles Bildhafte und Narritive ausschließt und planmäßig jenen das Feld überlässt, die konzeptartmäßig, gedanklich gespreizt den Bruno-Leuschner-Platz in einen Spielplatz für Kleine und eventuell auch für Große verwandeln oder jährlich den Herbst mit einer Apfelernte eben auf diesem Platz krönen wollen.

Das Ergebnis des Wettbewerbes ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis der Ausschreibung, der von dem Sachverständigen-Forum “Kunst am Bau und im öffentlichen Raum” herausgegebenen Normativen für dieses Denkmal und natürlich auch Resultat der Zusammensetzung von Jury und sogenanntem Begleitgremium.

Wieder einmal hat sich der globale Dilettantismus der sogenannten Modernisten durchgesetzt wie schon in Berlin, wo uns eben die Gleichen als Denkmal für die Einheit und Freiheit Deutschlands die “Neumannwippe” beschert haben, ein “Zwitterwesen aus lithurgischem Gefäß und riesiger Babywippe” (DIE WELT).

Schon in Berlin hätte ich mir das fantastische Bild des Auszugs der Bürger aus der Nikolaikirche zu Leipzig gewünscht, denn damit begann die Revolution, nicht mir der Demonstration auf dem Alexanderplatz. Doch bei der Gestaltung des Denkmals der Bundesrepublik für die Einheit und Freiheit Deutschlands in Berlin fand die Würdigung der Leipziger Bürger, ihres mutigen Aufbegehrens keinen Platz, im Ergebnis dessen erst beschloss der Deutsche Bundestag ein eigenes Denkmal für Leipzig.

Und nun soll den Bürgern von Leipzig wieder kein Denkmal gesetzt werden? Nun sollen statt dessen Apfelbäume gepflanzt werden?

Es kann nur eine Schlussfolgerung gezogen werden. Der Wettbewerb ist neu auszuschreiben. Die Einladungen zur Teilnahme sind an jene zu richten, die etwas von Denkmalskunst verstehen, an Bildhauer in erster Linie. Die Ergebnisse des Wettbewerbes sind zu bewerten von einer mit Fachleuten besetzten Jury, die Bildhauerei in Verbindung mit Architektur bewertet und nicht dem Mainstream verpflichtete Konzepte.

Dr. Wilfried Karger, Berlin

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