Dass ihr Vorschlag, an einem Tag pro Woche eine Fleischpause einzulegen und nur vegetarisch zu essen, eingeschlagen ist, freut Renate Künast. Sie unterstützt das Thema seit Jahren, doch erst seit sich die Zeitung mit den vier großen Buchstaben darauf gestürzt hat, wird es heiß diskutiert. Liegt dem Wähler der Magen näher als das Hirn?

“Nicht unbedingt aber Themen wie die Bespitzelung durch die NSA kann man schwer transportieren. Das kann man nicht anfassen. Das Essen auf dem Teller schon”, sagte die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen gestern Abend in Leipzig. Im offenen Stadtgarten Annalinde in Plagwitz, der allen Interessierten offen steht, trat sie einen kleinen Ernte-Einsatz an. Damit die eingerückten Fotografen schöne Bilder bekamen, schnitt Künast Zucchini, Auberginen und Mangold ab. “Nur noch grüne Tomaten hängen hier. Die reifen habt ihr wohl alle schon abgenommen?”, beschwerte sie sich mit einem Lachen auf dem Rundgang zwischen den Hochbeeten.

Jeden Mittag Fleisch mit den Zähnen reißen

Im Anschluss sprach Künast über die Bedeutung des Gemüsetags – sie nennt ihn englisch Veggie Day – für den Wahlkampf. “Wir bestreiten diesen mit Alltagsthemen, denn es gibt eine Transition – eine Übergangskultur – die sich Gedanken macht, wie das Leben in den Städten zu organisieren ist. Wir Grüne unterstützen das.” Ziel sei es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jeder in der Stadt seiner Wahl leben könne. Und der maßvolle Verzicht auf Fleisch sei ein Anfang. “Die Deutschen essen mit einem Kilo Fleisch pro Kopf pro Woche doppelt soviel wie von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen. Das zwingt geradezu zur Massentierhaltung, zum Anbau von Monokulturen als Futterpflanzen.”

So schließe sich der Kreis zum Klima-Aspekt des Gemüsetags. Bei all der Aufregung um ihren Vorschlag hatte Künast viel Gegenwind abbekommen. “Man könnte denken, es gibt Männer in Deutschland, die jeden Donnerstag Mittag ein Stück Fleisch mit den Zähnen reißen müssen, um sich wahrlich frei zu fühlen”, so Künast. “Mit dem Freiheitsaspekt plautzen die Dobrindts und Dörings dieser Welt heraus, die uns Grüne als eine Partei hinstellen, die immer nur Verbote einführen will.” Dabei seien viele Dinge, die heute selbstverständlich sind, früher heftig diskutiert worden. “Die Einführung von Sicherheitsgurten zum Beispiel”, nennt Künast.
Dass eine Umfrage des Instituts infratest ergeben hatte, dass 69 Prozent der Deutschen den Gemüsetag ablehnen, scheint sie nicht zu stören. “Es bedeutet vielmehr, dass 39 Prozent dafür sind”, so Künast. Besonders bei Frauen und jungen Leuten stoße der Vorschlag auf Zustimmung. “Und der Anteil der Vegetarier und Veganer an der Bevölkerung ist stark gewachsen.” Tatsächlich geht der Vegetarierbund Deutschland von sieben Millionen Vegetariern – die auf Fleisch und Fisch verzichten – und 700.000 Veganern aus – die auch Milchprodukte und sonstige Tierprodukte weglassen. Das ergibt einen Anteil von acht Prozent an der Bevölkerung. Tatsächlich aber münzt Künast den Gemüsetag um auf den Fleischkonsum und die Massentierhaltung. Diese ist neben Energiewende, Familien- und Bildungspolitik sowie Gleichstellungsthemen, eines der vier großen Wahlkampffelder der Grünen.

“Das Fleisch haben wir schon bezahlt”

Künast selbst schaue in der Bundestagskantine immer wieder verdrossen auf den Speisezettel. “Soll ich das essen?”, frage sie sich beim Blick auf immer wieder angebotenes Billigfleisch. “Und Salat mag ich auch nicht jeden Tag.” Daher schlägt sie vor, wenn nicht ein Mal pro Woche in Kantinen fleischlos gekocht wird, wenigstens das Angebot umzudrehen: “Also mal fünf vegetarische Gerichte anbieten und nur eines mit Fleisch”, so Künast.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag plädiert für eine Neuregelung der Agrarsubventionen: “Wenn Gemüse teils teurer ist als Fleisch, muss man ehrlicherweise sagen: Das Fleisch haben wir schon bezahlt. Über die Subventionen.” Künast scheint entschlossen, das Thema durchzuboxen. “Mit dem Atomausstieg haben wir das auch geschafft.” Es ginge darum, die Informationen immer und immer wieder zu transportieren.

Die Leipziger Grünen-Abgeordnete im Bundestag und Kandidatin für das Direktmandat Leipziger Süden, Monica Lazar, begrüßt die Diskussion um den Gemüsetag. Lazar ist selbst Vegetarierin, bereits seit DDR-Zeiten. “Und damals war das wirklich nicht so leicht. Deshalb stutze ich, wenn mir selbst heute noch Menschen entgegnen, sie wüssten nicht, was sie dann kochen sollten”, so Lazar. Der Gemüsetag verleihe den Grünen ein Alleinstellungsmerkmal, welches zur Diskussion anregt. “Die beste Steilvorlage für den Wahlkampf”, meint sie. Und Renate Künast stimmt, in bester Wahlkämpfermanier, mit ein: “Merkel hat kein Interesse daran, dass ein Thema aufkommt. Deswegen ist es wichtig, dass sich die Wähler am 22. September entscheiden, in welche Richtung es zukünftig gehen soll.”

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