Ein halbes Jahr brauchten die 15 Leute, die sich im Februar 2002 zur "Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" zusammenfanden unter Leitung des VW-Vorstands Peter Hartz. Im August 2002 fand dann jener seltsame Fototermin statt, bei dem Peter Hartz Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die CD mit den Arbeitsergebnissen übergab. Das jährte sich dieser Tage zum zehnten Mal. Die Bilanz für Leipzig ist niederschmetternd, stellt die IG Bau fest.

“Für den Arbeitsmarkt in Leipzig waren die Hartz-Reformen nicht der große Wurf”, so Detlef Zeiß. Der Vorsitzende der IG BAU Nord-West-Sachsen sieht die vor zehn Jahren begonnene Arbeitsmarktreform mehr als kritisch. “Ein-Euro-Jobs, mehr Mini-Jobs und befristete Beschäftigungsverhältnisse sowie ein Boom bei Leih- und Zeitarbeit – das vermeintliche Jobwunder durch die Hartz-Reformen hat sich bei näherem Hinsehen als ?mehr Schein als Sein’ entpuppt. Wo es tatsächlich eine Steigerung gegeben hat, ist der Niedriglohnbereich.”

Das Reformpaket, das im August 2002 vorgelegt wurde, war auch damals schon nichts Neues. Es klang nur so. Forsch bezeichnete die Kommission, in der 14 Männer und 1 Frau zusammengebastelt hatten, was der etwas in Bedrängnis geratene Bundeskanzler sich wünschte, die 13 Einzelvorschläge als “Innovationsmodule”.

Die erste Stufe trat übrigens am 1. Januar 2003 in Kraft. Und die meisten der vorgeschlagenen “Innovationsmodule” existieren längst nicht mehr, weil sie in der Praxis genau das bewirkten, was ihre Kritiker schon in den jahrzehntelangen Diskussionen zuvor bemängelt hatten: nämlich nichts. Andere Module haben dann freilich genau die negativen Folgen gebracht, die befürchtet wurden. Und da damit auch wortmächtige Lobbys zusätzlich gestärkt wurden, verschwanden sie nicht so klammheimlich wie etwa die “Ich AG” seligen Angedenkens.Eines der ersten “Module” war übrigens die Überarbeitung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, was binnen kürzester Zeit einen Boom der Leiharbeit in Deutschland auslöste. Denn aufgehoben wurden kurzerhand das besondere Befristungsverbot, das Synchronisationsverbot, das Wiedereinstellungsverbot und die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens zwei Jahre. Gegen entsprechende Auswüchse sind die Gewerkschaften ja mittlerweile mehrfach vor Gericht gezogen.

Für die Betroffenen bedeutete das eben nicht nur dauerhaft prekäre Beschäftigung, sondern auch massive Lohneinbußen. In der Regel verdienen sie ein Drittel weniger als Festangestellte am selben Fließband. Fast alle “Innovationsmodule” aus der Werkstatt des Peter Hartz haben solche Effekte, die auf politischer Ebene fortan als “Flexibilisierung des Arbeitsmarktes” verkauft wurden. Sie senkten in etlichen Branchen das Lohnniveau. Mit den “Innovationsmodulen” Mini- und Midijobs wurde der Niedriglohnsektor massiv ausgeweitet.Und wo man vorher fröhlich davon tönte, Menschen, die schon jahrelang in die Sozialhilfe abgerutscht waren, durch das so genannte “Arbeitslosengeld II” wieder in den regulären Arbeitsmarkt zurückholen zu wollen, geschah im Grunde das Gegenteil. Der Arbeitsmarkt wurde geteilt in einen der besser Abgesicherten, die von der Arbeitsagentur betreut werden, und in die schlechter Abgesicherten, die im Jobcenter landen.

Und wer dort innovative Instrumente der Umschulung und Reintegration sucht, der findet sie bis heute nicht. Dafür eine ganze Latte Sanktionsmaßnahmen, mit denen irgendwie kaschiert wird, dass man den Betreuten nichts anderes bieten kann als immer neue Runden durch diverse Beschäftigungsmaßnahmen oder Proberunden bei Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, die Fördergelder des Staates für solche Quasi-Einstellungen in vollem Umfang abzuschöpfen.

Die Leipziger Landschaft ist seit einigen Jahren gespickt mit solchen Unternehmen. Leipzig ist zum Schwerpunkt der Leiharbeitsbranche geworden.

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Und was dann die diversen Bürgerumfragen immer deutlicher machen: Immer mehr Leipziger rutschen mit oder ohne “ALG II” in Einkommensbereiche unter 800 Euro. Selbst der vermittelte Job bringt sie nicht aus diesem Bereich. Sie bleiben dauerhaft am Rande des Existenzminimums. Für sie sei die “gelobte Arbeitsmarktreform” zur Armutsfalle geworden, so Zeiß.

Auch mit Blick auf die Langzeitarbeitslosigkeit sieht sich der IG BAU-Bezirksvorsitzende in seiner Kritik bestätigt. “Erklärtes Ziel der Reform war es, die Langzeitarbeitslosen aus dem Abseits zu holen. Das hat nicht geklappt.”

Als Beispiel nannte der IG BAU-Bezirksvorsitzende die Zahl der Dauerbezieher. “Zu Beginn dieses Jahres gab es in Leipzig mehr als 14.310 Arbeitslose, die 2 Jahre oder sogar länger von Hartz IV lebten. Das sind immerhin 61,7 Prozent aller arbeitssuchenden Hartz IV-Empfänger. Das zeigt, dass viele Arbeitslose vom Sozialgeld nicht mehr wegkommen”.

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