Nicht nur die Bundespolitik ist oft eine Märchenstunde. Die sächsische Politik ist nicht besser. Es war Sachsens Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP), der die forsche Parole ausgab, Sachsen werde im Länderfinanzausgleich bis 2020 vom Nehmerland zum Geberland. Vielleicht hatte ihm sein Kollege aus dem Finanzressort den Floh ins Ohr gesetzt, man könne sich in die Rolle eines Geberlandes hineinsparen. Doch vom ausgeglichenen Haushalt hängt der Länderfinanzausgleich eben nicht ab.

Auch wenn in den letzten Jahren reihenweise Ministerpräsidenten – bevorzugt aus Geberländern wie Bayern – darüber wetterten, dass sie Milliarden Euro abgeben müssten jedes Jahr und andere – bevorzugt die Hauptstadt Berlin – das Geld mit verkorksten Projekten zum Fenster hinausschmissen und auf Haushaltssolidität nicht die Bohne achteten. Mal abgesehen davon, dass es in der Bundesrepublik keine unabhängige Instanz gibt, die tatsächlich einmal die Solidität der Länderhaushalte unter die Lupe nimmt – der Länderfinanzausgleich ist kein Belohnungs- oder Bestrafungsinstrument nach dem Muster des ALG II.

Obwohl es ein paar Leute gern dazu machen würden.

Es ist deswegen geschaffen worden, um innerhalb Deutschlands einigermaßen ähnliche Lebensniveaus herzustellen. Die Länder, in denen sich die lukrative Wirtschaft ballt und die deshalb deutlich höhere Steuereinnahmen haben (wenn ihre Finanzämter ordentlich arbeiten), geben einen klar definierten Anteil an jene Bundesländer ab, die wirtschaftlich benachteiligt sind. Was die dann damit machen – ob sie in Infrastrukturen investieren, das Bildungssystem verbessern, die Kita-Versorgung oder die Wirtschaftsförderung, das steht nicht dabei. Sachsen hat auch da einen Sonderweg gewählt: Es bunkert das Geld in wachsenden Fonds.

Wahrscheinlich hält es der zuständige Finanzminister für weise. Widerspruch scheint er aus keinem der anderen Ressorts zu bekommen, auch wenn sie alle unterfinanziert sind – vom Innenministerium bis zum Wissenschaftsministerium.

Was übrigens der jährlichen Wirtschaftsleistung fehlt. Ins Bruttoinlandsprodukt fließen auch alle “Leistungen” des Staates und der Kommunen mit ein. Wer sich den Staat aus der Wirtschaft heraus denkt, der hat nicht wirklich viel begriffen. Ein funktionierender Staat ist Investor, Dienstleister und Arbeitgeber. Er muss nicht zum Gelddrucker werden, wie es oft genug in der Vergangenheit der Fall war – damit vernichtet er ja in Wirklichkeit Werte. Doch im Normalfall schafft ein klug geführter Staat sogar Werte – oft genug bewiesen in der reichen sächsischen Geschichte, wenn strenge Kameralistik dabei half, das von fremden Kriegern geplünderte Land wieder zu entschulden, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und den Handel zu befördern. Das schafft auch Steuern, die manche Leute nicht so gern zahlen.

Aber aus Steuern generiert sich die Leistung eines Staates.

Was passiert aber, wenn den Wirtschaftskreisläufen jedes Jahr eine Milliarde Euro auf Dauer entzogen werden?

Die Statistik macht es eigentlich sichtbar: das Bundesland fällt sogar hinter jene Mitkonkurrenten unter den Bundesländern zurück, die in der Vergangenheit locker abgehängt wurden. Sachsen ist schon lange nicht mehr der Wirtschaftsprimus unter den Neuen Bundesländern. Diese Rolle spielt es seit mindestens 2010 nicht mehr. Und eins ist Fakt: Das Bundesland mit der miserabelsten Steuerquote wird 2020 ganz bestimmt kein Geberland werden.”Sachsen ist auch noch nach dem Jahr 2020 auf die Solidarität der anderen Bundesländer angewiesen”, zieht die Fraktionschefin der Grünen, Antje Hermenau, das Resümee der Landtagsfraktion nach der Diskussion über das Thema Länderfinanzausgleich auf ihrer Klausur in Schwarzenberg (Erzgebirge). “Die Zielstellung, bis zum Jahr 2020 Geberland zu werden, ist die pure Illusion. Die Staatsregierung und insbesondere Wirtschaftsminister Sven Morlok (FDP) sollten sich von dieser absurden Zielstellung verabschieden.”

Sachsen deckt nur 56,2 Prozent seiner Haushaltseinnahmen aus eigenen Steuereinnahmen. Bei Baden-Württemberg hingegen schwankt diese Quote um 80 Prozent. Setzt man die durchschnittlichen Steuereinnahmen der Länder pro Einwohner auf 100 Prozent, erreicht Sachsen nur 52,2 Prozent (Steuern der Länder vor Umsatzsteuerausgleich).

“Auch von einer aufholenden Entwicklung kann keine Rede sein”, betont die Grüne-Fraktionschefin. “Seit 2005 weist Sachsen nur eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von 7,5 Prozent auf und bewegt sich damit im Durchschnitt der neuen Bundesländer. Die alten Bundesländer kommen hingegen durchschnittlich auf 11,4 Prozent, Bayern und Baden-Württemberg auf 14,4 bzw. 13,1 Prozent.”

Heißt: Sie ziehen schon lange wieder davon. Auch weil Sachsen sich nicht wirklich als neuer Industriestandort vergleichbarer Stärke etablieren konnte. Mit seiner Niedriglohnpolitik ist es zu einem dienstleistungsdominierten Standort geworden, bei dem schon das Gespenst des Mindestlohns dem Wirtschaftsminister die Haare zu Berge stehen lässt. Aber Lohnkosten stecken normalerweise in den Produktkosten, sie werden ja mitverkauft. Und ein Land wirtschaftet gut, wenn es mit Qualitätsprodukten Erfolg hat – nicht mit Dumping. Nur dann steigen die Umsätze. Und es sind die Umsatzsteuereinnahmen, an denen sich der Länderfinanzausgleich orientiert. Nichts anderes.

Daraus wird eine Finanzkraft-Ziffer errechnet, und danach richtet es sich dann, ob ein Land Geberland ist oder Nehmerland. Die Ziffer zeigt wirklich sehr gut, wo in der Republik die starke Wirtschaft sitzt – in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen (112,5, 115,1 und 111,1 Prozent Finanzkraft). Alle anderen Länder liegen unterm 100-Prozent-Schnit, sind also wirtschaftlich einfach benachteiligt. Die ostdeutschen Länder und Berlin gehören seit Anfang an, seit 1990 dazu. Nur die Reihenfolge hat sich geändert. Unter Kurt Biedenkopf war Sachsen tatsächlich auf dem Weg, den sich Sven Morlok wünscht: die westlichen Bundesländer einzuholen.

Doch mit dem Regierungswechsel 2002 ging das verloren. Seitdem ist der Wurm drin. Ideen für einen nachhaltig starken Wirtschaftsstandort gibt es nicht mehr. Und selbst der Staat wurde zum Sparmeister erklärt.

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Ergebnis 2012 – nachlesbar im Papier der Grünen mit den Zahlen aus dem Bundesfinanzministerium: Sachsen rangiert unter den ostdeutschen Flächenländern nur noch auf Rang 2 – hinter Brandenburg, das auf eine Finanzkraft von 89,1 Prozent des Bundesdurchschnitts kommt, Sachsen auf 88,2. Hauchdünn dahinter: Sachsen-Anhalt mit 88,1 Prozent. Sachsen-Anhalt hatte in diesem Wettbewerb mal die Rote Laterne. Thüringen kommt gleich dahinter mit 87,8, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 86,5 Prozent. Das alles erzählt nicht so sehr von einem Aufholprozess der Sachsen, sondern von einem Verlust an sächsischer Schlagkraft. Die seit Jahren gepflegte Niedriglohnpolitik, die so etwas wie der Kern sächsischer Wirtschaftspolitik geworden ist, spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Man findet in der Liste noch zwei Kandidaten weiter hinten – Bremen mit 73,6 und Berlin mit 68,6 Prozent. Aber hier hat man es wieder mit den Problemen der Stadtstaaten zu tun, die neben den eh schon großen Ausgaben einer Kommune auch noch Landeshaushalte zu finanzieren haben, ohne dass sie die Früchte ihrer Arbeit auch ernten können. Bremen und Berlin füttern quasi ihre Speckgürtel mit durch.

Aber der schlechte Prozentwert für Sachsen erzählt eben auch vom teilweisen Ausfall staatlicher Aktivitäten als Investor und Dienstleister. Heißt im Klartext: Dadurch, dass die Staatsregierung ihre rigiden Sparprogramme fährt und das Geld in Fonds bunkert, macht es sich im Länderfinanzausgleich rechnerisch noch ärmer, als das Land tatsächlich sein könnte. An der Stelle wird es ganz spannend. Aber diese Rechnung überlassen wir jetzt einfach mal unseren Lesern.

Zahlen zu Steuereinnahmen und Wirtschaftswachstum: www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/ua/130627_UEbersicht_LFA_und_Wachstum.pdf

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