Das große Rätselraten geht ja um: Wie sieht Arbeit in Zukunft aus? Und wer bekommt Arbeit? Und wer hat schlechte Karten? Die jüngste Erhebung des der Bundesarbeitsagentur zugeordneten Forschungsinstituts IAB hat ja schon gezeigt, dass immer mehr Arbeitsplätze computerisiert sind und immer mehr Arbeit künftig durch Digitalisierung ersetzt werden könnte. Das hat noch eine andere Facette, die kurz vor Weihnachten Paul M. Schröder vom BIAJ herausgearbeitet hat.

Er nimmt die Botschaft von den wachsenden Ansprüchen an die Berufstätigen ernst. Aber er zaubert nicht gleich „Kollege Roboter“ aus dem Ärmel, wie es die schlagzeilensüchtigen Medien in letzter Zeit immer öfter tun und den Lesern regelrecht Angst machen mit der Behauptung, Millionen Arbeitsplätze würden durch Digitalisierung einfach verschwinden. Was wohl ein Märchen bleiben wird, egal, welchen Mumpitz japanische Boulevard-Schreiber noch zum Thema schreiben. Hier leben die seltsamen Zukunftserwartungen aus Huxleys „Brave new world“ fort.

Die Realität sieht erst einmal völlig anders aus. Denn eines stimmt: Die Digitalisierung greift um sich und verändert immer mehr Arbeitsplätze. Ob man deshalb in der Schule gleich Programmieren lernen muss, bezweifle ich. Da hat wahrscheinlich wieder ein voreiliger Politiker das Marketing der Computerfirmen und Softwarehersteller falsch verstanden, die nur noch mehr ihrer überteuerten Produkte in die Schulen drücken möchten, um sich ihre Konsumenten der Zukunft zu sichern.

Politiker, die mit diesem Argument hausieren gehen, darf man wirklich sehr skeptisch anschauen. Sie reden dann immer gern von „Wettbewerbsfähigkeit“, die gesichert werden soll.

Aber die Wettbewerbsfähigkeit wird völlig anders hergestellt.

Das ist eigentlich der Kern von Paul M. Schröders kleiner Rechnung. Denn moderne, wirklich wettbewerbsfähige Berufe sind hochkomplexe Berufe, die einen vielseitig ausgebildeten Menschen brauchen.

Es sind „hoch komplexe Tätigkeiten. Dazu zählen z. B. Entwicklungs-, Forschungs- und Diagnosetätigkeiten, Wissensvermittlung sowie Leitungs- und Führungsaufgaben innerhalb eines (großen) Unternehmens. In der Regel setzt die Ausübung dieser Berufe eine mindestens vierjährige Hochschulausbildung und/oder eine entsprechende Berufserfahrung voraus. Der typischerweise erforderliche berufliche Bildungsabschluss ist ein Hochschulabschluss (Masterabschluss, Diplom, Staatsexamen o. Ä.).“, zitiert Schröder aus der statistischen Definition der Bundesagentur für Arbeit, die er seiner Rechnung zugrunde legt.

Er hat die unterschiedlichen Berufsgruppen nach Anforderungsniveau (1 bis 4) nach dem Muster der Bundesagentur für Arbeit genutzt, sie nach den größten deutschen Städten ausgewertet und die beiden höchsten Anforderungsprofile grafisch in Beziehung zur regionalen Arbeitslosenquote gesetzt.

Das Ergebnis sieht so aus:

Anteil der höchsten Anforderungsprofile in den Großstädten und Arbeitslosenquote im Diagramm. Grafik: BIAJ
Anteil der höchsten Anforderungsprofile in den Großstädten und Arbeitslosenquote im Diagramm. Grafik: BIAJ

Sein Kommentar: „Ein Vergleich des Anteils der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen mit einem Anforderungsniveau 3 Spezialist/Spezialistin) bzw. 4 (Experte/Expertin) der ausgeübten Tätigkeit (Klassifikation der Berufe 2010) mit den Arbeitslosenquoten in den 14 Großstädten in der Bundesrepublik Deutschland (ohne die Region Hannover) im Dezember 2017 zeigt: Je höher der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, deren ausgeübte Tätigkeit dem Anforderungsniveau 3 (Spezialist/Spezialistin) bzw. 4 (Experte/Expertin) entspricht, je geringer ist die in der jeweiligen Großstadt registrierte Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenquote).“

Wer Leipzig sucht, findet es unter den 14 Großstädten ziemlich genau in der Mitte: Mit einem mittleren Anteil von Experten und Spezialisten (31,4 Prozent) und einer ebenso im Vergleich mittleren Arbeitslosenquote. Dresden liegt rechts davon mit einer etwas besseren Arbeitslosenquote und noch mehr Experten und Spezialisten (35 Prozent). Die niedrigsten Arbeitslosenquoten haben Stuttgart und München. Sie haben mit 40,2 und 44 Prozent auch den höchsten Anteil hochqualifizierter Berufsverhältnisse.

Während Duisburg mit 23,1 Prozent und Dortmund mit 26,6 Prozent nicht nur den niedrigsten Anteil von Experten und Spezialisten haben, sondern auch die im Vergleich höchsten Arbeitslosenquoten.

Wobei es durchaus markante Abweichungen gibt: Köln und Berlin haben zwar einen höheren Anteil von hochkomplexen Arbeitsplätzen, aber immer noch eine höhere Arbeitslosenquote als Leipzig. Was wohl regional bedingt ist und bedeutet, dass Köln und Berlin deutlich weniger Arbeitsplatzangebote für niedrig Qualifizierte haben.

Aber die Tendenz ist deutlich: Die wettbewerbsfähigen Branchen suchen vor allem hochqualifizierte Mitarbeiter, die komplexe Arbeitsabläufe beherrschen und auch mit der zunehmenden Digitalisierung umgehen können. Hier entstehen derzeit auch die meisten neuen Arbeitsplätze – in Leipzig eindeutig im Bereich IT/Kommunikation.

Was eben auch bedeutet, dass sich das Bildungssystem, wie es augenblicklich ist, als Bremsklotz der Entwicklung erweisen kann. Es werden nicht – wie immer wieder gern behauptet wird – zu viele Studienanwärter ausgebildet, sondern zu viele Jugendliche mit zu niedrigem Abschluss ins Berufsleben entlassen. Es sind nicht die hochqualifizierten Arbeitsplätze, die der Digitalisierung zum Opfer fallen, sondern die niedrigqualifizierten.

Und auch wenn in Kategorie 3 von Spezialistentätigkeiten gesprochen wird, sind damit auch nach Definition der Bundesarbeitsagentur keine Fachidioten gemeint: „Dem Anforderungsniveau 3 werden daher die Berufe zugeordnet, denen eine Meister- oder Technikerausbildung bzw. ein gleichwertiger Fachschul- oder Hochschulabschluss vorausgegangen ist. Häufig kann auch eine entsprechende Berufserfahrung und/oder informelle berufliche Ausbildung ausreichend für die Ausübung des Berufes sein.“

Hier versteckt sich das, was mit „lebenslangem Lernen“ gemeint ist. Und hier wird deutlich, dass in unseren Schulen eigentlich Menschen ausgebildet werden müssen, die fähig sind, unterschiedlichste Aufgaben souverän wahrzunehmen, zu planen, zu koordinieren und flexibel und selbstständig zu arbeiten. Das braucht gut ausgebildete kognitive und praktische Fähigkeiten, Lösungs- und Kommunikationskompetenz.

Und man braucht nicht wirklich lange an die Zustände im sächsischen Bildungssystem denken, um das dumme Gefühl zu bekommen, dass die Ausbildung solcher Fähigkeiten dort überhaupt nicht im Mittelpunkt steht. Mal ganz zu schweigen davon, dass man über Jahre so ignorant war, die besten Experten und Spezialisten für das Thema Bildung einfach nicht einzustellen, als sie noch da waren.

Vielleicht auch dies schon Ergebnis mangelnder Bildung, kann sein.

Denn wirklich herumgesprochen hat es sich noch lange nicht, dass auch Ministerposten Arbeitsfelder sind, auf denen hochqualifizierte Experten und Spezialisten gebraucht werden, keine Notfallpaket-Päckchenpacker.

Dresden liegt im Vergleich der Hochqualifizierten übrigens auf Rang 5, Leipzig nur auf Rang 10. Oder mal so formuliert: Leipzig hat viele der hier ausgebildeten Hochqualifizierten immer wieder verloren, weil ihnen einfach keine belastbaren Jobs angeboten wurden. Und die, die dageblieben sind, sind dann oft als Päckchenpacker am Flughafen gelandet oder als Agent in einem Callcenter.

Digitalisierung führt bis jetzt sogar zu deutlich mehr Jobs in Sachsen

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