Das ganze Orakel: für die Katz. All das Geunke, die Digitalisierung würde Arbeitsplätze zuhauf verschlingen und immer mehr Menschen arbeitslos machen, ist verfehlt. Dass einmal Roboter alle Arbeit machen, ist jedenfalls für die Gegenwart eine Schimäre. Selbst das Forschungsinstitut der Bundesarbeitsagentur schüttelt über das Gequake den Kopf.

Am Freitag, 28. Dezember, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die neue Studie zur Digitalisierung im Freistaat Sachsen veröffentlicht. Und natürlich arbeiten immer mehr Beschäftigte mit Computern, Robotern, in Clouds und Netzwerken. Mehr IT bedeutet aber nicht, dass dadurch menschliche Arbeitsplätze verschwinden, „eingespart werden“, wie das immer so gern behauptet wird. Die Arbeit ändert sich, oft verbessert sie sich dadurch, wird leichter, braucht aber dafür mehr fachliche Vorbildung.

Immer mehr digitalisierte Arbeitsplätze

Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in einem Beruf arbeiten, in dem mehr als 70 Prozent der Tätigkeiten bereits heute von Computern oder computergesteuerten Maschinen erledigt werden könnten liegt in Sachsen bei 25,1 Prozent. Bedenken zu negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt sind jedoch aus heutiger Sicht unbegründet. Denn seit dem Jahr 2016 sind in allen Branchen zusätzliche Jobs entstanden – selbst in Berufen mit einem hohen Digitalisierungsgrad, stellt das IAB fest.

Ergebnisse zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf dem sächsischen Arbeitsmarkt wurden erstmals im Jahr 2017 vorgestellt. Die damals präsentierten Ergebnisse bezogen sich dabei auf den technologischen Stand des Jahres 2013. In den darauffolgenden Jahren haben jedoch eine Vielzahl an verschiedenen, neuen Schlüsseltechnologien Marktreife erlangt, die sich nachhaltig auf die Kerntätigkeiten der Berufe auswirken.

Vor diesem Hintergrund wird mit der vorliegenden Studie, basierend auf dem technologischen Stand des Jahres 2016, eine Neubewertung des Substituierbarkeitspotenzials der Berufe für den sächsischen Arbeitsmarkt vorgenommen.

Hohe Digitalisierungsraten vor allem im Produzierenden Gewerbe

Insgesamt zeigt sich, dass weiterhin die Fertigungsberufe und Fertigungstechnischen Berufe mit einem hohen Substituierbarkeitspotenzial konfrontiert sind. In diesen Berufssegmenten könnten durchschnittlich bereits mehr als 70 Prozent der Kerntätigkeiten von neuen Technologien übernommen werden. Die stärksten Veränderungen zeigen sich für die Verkehrs- und Logistikberufe sowie die unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufe, deren Substituierbarkeitspotenzial um 19,6 bzw. 18,5 Prozentpunkte im Vergleich zur ersten Studie gestiegen ist. In der regionalen Betrachtung sind in Sachsen im Jahr 2016 25,1 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Berufen mit einem hohen Substituierbarkeitspotenzial beschäftigt.

Substituierung heißt: Körperliche Tätigkeiten können (komplett) durch Computer und Roboter ersetzt werden. Wohlgemerkt: die Tätigkeiten, nicht unbedingt auch die Beschäftigten.

Sachsen liegt mit diesem Potenzial leicht unter dem Bundesdurchschnitt von 25,2 Prozent.

Im Vergleich der sächsischen Kreise weisen der Kreis Zwickau und der Erzgebirgskreis die höchsten Anteile von Beschäftigten in Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial auf, so das IAB. Die geringsten Anteile zeigen sich bei den kreisfreien Städten Chemnitz, Dresden und Leipzig sowie für den Kreis Leipzig. Heißt im Klartext: Da, wo Dienstleistung die regionale Wirtschaft dominiert, ist die Möglichkeit, menschliche Arbeit „zu ersetzen“ deutlich geringer.

Das Substituierungspotenzial unterschiedlicher Berufsfelder in Sachsen. Grafik: IAB
Das Substituierungspotenzial unterschiedlicher Berufsfelder in Sachsen. Grafik: IAB

Erstmals wurden die Substituierbarkeitspotenziale auch nach Wirtschaftsabschnitten analysiert. Logisches Ergebnis: In Sachsen sind in den Branchen Gesundheits- und Sozialwesen, Erziehung und Unterricht sowie Gastgewerbe anteilig am wenigsten Beschäftigte in Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial tätig. Die Ergebnisse verweisen auf die hohe Dynamik der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf die Berufe sowie berufliche Qualifikationen.

In zwei Jahren 55.000 zusätzliche Arbeitsplätze

Und während die großen Propheten immerfort den drohenden Verlust von Millionen Arbeitsplätzen durch Digitalisierung beschwören, tritt augenblicklich gerade das Gegenteil ein.

Im Jahr 2016 war in Sachsen knapp jeder vierte Arbeitsplatz zu über 70 Prozent durch Maschinen ausführbar – theoretisch – schränkt das IAB ein. Trotzdem ist seit 2016 die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weiter sehr kräftig gestiegen – selbst in Branchen mit sehr hohem Substituierbarkeitspotenzial. So waren in Sachsen im Sommer 2016 insgesamt 1.552.107 Frauen und Männer versicherungspflichtig beschäftigt – in 2018 waren es 1.607.100. Das sind 54.993 mehr und entspricht einem Wachstum von 3,5 Prozent.

Auch im Verarbeitenden Gewerbe waren fast sechzig Prozent der Beschäftigten in Berufen tätig, die zu mehr als siebzig Prozent durch neue Technologien ersetzbar gewesen wären. Einen flächendeckenden Arbeitsplatzabbau und Umwandlung zur digitalen Werkshalle gab es nicht. Im Gegenteil. Die Unternehmen aus dem Verarbeitenden Gewerbe – der Industrie und dem Handwerk – suchen händeringend Fachkräfte und konkurrieren miteinander um die besten Kandidaten. Gleichzeitig entstehen Jahr für Jahr neue Arbeitsplätze im Verarbeitenden Gewerbe, obwohl dort viele Aufgaben von Maschinen erledigt werden könnten. Ein klareres Indiz dafür, dass es durch die Digitalisierung keinen flächendeckenden Arbeitsplatzabbau geben wird – niemand muss seinen Job an einen Computer abgeben.

Jeder vierte Beschäftigte ist stark von der Digitalisierung betroffen

In Sachsen waren im Jahr 2016 insgesamt 1,56 Millionen Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Über 390.000 von ihnen arbeiten in Berufen, die zu mehr als siebzig Prozent durch neue Technologien ausgeführt werden könnten. Damit arbeitet jeder Vierte (25,1 Prozent) in einem Beruf mit einem hohen Substituierbarkeitspotenzial.

Das Substituierungspotenzial für Deutschland beträgt nach Rechnung des IAB 25,2 Prozent. Das Saarland mit 30,0 Prozent und Thüringen mit 29,3 Prozent ereichen dabei Höchstwerte. Nicht verwunderlich ist, dass (Dienstleistungs-)Großstädte wie Hamburg und Berlin mit 19,3 bzw. 14.6 Prozent ganz am Ende der Tabelle liegen. Sachsen liegt mit 25,1 Prozent knapp hinter Bremen mit 25,3 Prozent.

Fertigungsberufe am kräftigsten von Digitalisierung betroffen

Mehr als siebzig Prozent der Aufgaben in den Fertigungs- und fertigungstechnischen Berufen können theoretisch durch Maschinen, Anlagen und passende IT ausgeführt werden. Dazu gehören Berufe wie: Schweißer/in = 100 Prozent Substituierbarkeitspotenzial, Anlagenmechaniker = 90 Prozent Substituierbarkeitspotenzial, Technische/r Zeichner/in – Elektrotechnik = 83 Prozent).

Aber auch unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe (59,2), Berufe in der Unternehmensorganisation (56,5 Prozent) sowie Verkehrs- und Logistikberufe (53,5 Prozent) sind zu mehr als fünfzig Prozent der Tätigkeiten durch neue Technologien ausführbar.

Sicherheitsberufe, medizinische und nicht-medizinische Gesundheitsberufe sowie die sozialen und kulturellen Dienstleistungsberufe sind weiterhin Berufe, die nur zu einem geringen Anteil durch neue Technologien ausgeführt werden könnten.

Die größte Branche in Sachsen ist das Verarbeitende Gewerbe. Dort arbeitet etwa jeder fünfte Sachse und dort arbeiten die meisten Menschen, die von der Digitalisierung bisher am stärksten betroffen waren. In dieser Branche ist heute schon mehr als jeder zweite Beschäftigte (59,1 Prozent) in einem Beruf tätig, der zu mehr als siebzig Prozent durch Maschinen ausgeführt werden könnte. Dennoch ist das Verarbeitende Gewerbe eine bedeutende Wachstumsbranche in Sachsen und zugleich Jobmotor in vielen sächsischen Regionen.

Südwestsachsen am stärksten von Digitalisierung betroffen

Äquivalent zum Bundeslandvergleich zeigen sich die regionalen Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur auch in den Anteilen der Beschäftigten in Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial nach Kreisen. Auch hier weisen Kreise mit einem hohen Anteil an Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe auch hohe Anteile an Beschäftigten in Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial.

Die Anteile an betroffenen Beschäftigten in den 13 sächsischen Kreisen variieren zwischen 17,7 Prozent und 32,9 Prozent. Die stark durch das Verarbeitende Gewerbe geprägten Kreise Zwickau (32,9 Prozent) und Erzgebirgskreis (32,2 Prozent) weisen die höchsten Anteile an Beschäftigten in Berufen mit hohem Substituierbarkeitspotenzial auf.

Über dem sächsischen Durchschnitt liegen die Anteile an Beschäftigten im Kreis Mittelsachsen (29,9 Prozent), dem Vogtlandkreis (28,9 Prozent), dem Kreis Meißen (28.3 Prozent) sowie dem Kreis Bautzen (28,0 Prozent). Knapp überdurchschnittlich zeigen sich die Anteile an Beschäftigten in den Kreisen Nordsachsen (26,3 Prozent), Görlitz (26,2 Prozent) und im Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (25,9 Prozent).

Deutlich unter dem sächsischen Durchschnitt von 25,1 Prozent liegen der Kreis Leipzig (20,9 Prozent) sowie die Kreisstädte Chemnitz (23,0 Prozent), Leipzig (21,9 Prozent) und Dresden (17,7 Prozent).

Die Kreisstädte profitieren dabei einerseits von der höheren Heterogenität der Wirtschaftsstruktur im Ballungsgebiet, wodurch die starke Betroffenheit der Fertigungs- und fertigungstechnischen Berufe sich weniger stark in den Anteilen an Beschäftigten mit hohem Substituierbarkeitspotenzial niederschlägt, betont das IAB. Andererseits sind in den städtischen Ballungszentren anteilig mehr Beschäftigte in Bereichen mit niedrigem und mittlerem Substituierbarkeitspotenzial tätig wie beispielsweise an Universitäten, Schulen oder Krankenhäusern.

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