Die Angst sitzt tief - die Angst, dass einer plaudern könnte und erzählen, was hinter den Kulissen des Wettbewerbs um das Leipziger Einheits- und Freiheitsdenkmal geschieht. Die Angst wurde am Mittwoch, 3. Juli, pünktlich zur Mittagsstunde auch für die Presse sichtbar: Kulturamtsleiterin Susanne Kucharski-Huniat unterbrach ihren Vorgesetzten, Kulturbürgermeister Michael Faber, kurzerhand in der Rede. "Wir haben Verschwiegenheit vereinbart." Da verstummte der Bürgermeister.

Das, was eigentlich als offizieller Presse- und Fototermin vereinbart worden war, wurde kurzerhand abgewürgt. Keine Auskünfte zum Wettbewerbsverfahren, keine zu den überarbeiteten Preisträgerentwürfen, keine zur Arbeit des Gremiums. “Es wird ein Protokoll geschrieben. Jetzt gibt es keine Auskünfte. Herr Faber war selbst Mitglied der Jury. Das hier ist nur als einfacher Fototermin angesetzt.”

Hätten wir also Michael Faber fotografieren können – mit neuem Siegerentwurf, mit altem Siegerentwurf. Lächelnd. Schweigend. Die Angst lächelt heutzutage. Welche Jury hat eigentlich einen Grund, eine Verschwiegenheitsvereinbarung zu machen?

Und warum?Die drei überarbeiteten Wettbewerbsentwürfe sind jetzt in der Unteren Wandelhalle des Neuen Rathauses zu sehen. Alle drei Preisträger haben ihre Entwürfe von 2012 noch einmal überarbeitet. Das Sichtbarste: Sie haben den ganzen Platz gestaltet. Heißt: Den ganzen Platz, den OBM Burkhard Jung unbedingt gestaltet haben will, das gewaltige Gebilde vom Bowlingcenter bis zur Stadtbibliothek. Zu den Details kommen wir noch.

“Alles steht in der Pressemitteilung”, sagte Kucharski-Huniat noch. “Mehr werden wir hier nicht erzählen.” Was stand in der Pressemitteilung?

“Der Wettbewerb war im Rahmen eines sogenannten Verhandlungsverfahrens organisiert. Nach den Ausschreibungsbedingungen ist die Stadt Leipzig, sofern sie den Auftrag vergibt, daran gebunden, einen der Preisträger des Wettbewerbs zu beauftragen. Laut geltender damaliger Ausschreibung fließen die Ergebnisse des Wettbewerbs mit 60 Prozent in die Vergabeentscheidung ein; sie ergeben sich aus Preisgerichtsentscheid und Weiterentwicklung. Mit der gestrigen Bewertung liegen diese nun vor.”

Das war die erste Stelle, zu der wir eine Frage hatten. Denn nach der Punktevergabe im letzten Jahr wäre den Mitbewerbern vom 2. und 3. Platz im besten Fall nach einem Sieg in der Verhandlungsrunde ein Punktegleichstand möglich gewesen. Was aber der Öffentlichkeit jetzt präsentiert wird, ist ein völlig neues Wettbewerbsergebnis.

Was ist passiert?Man hat ein zweites Wettbewerbsverfahren gemacht. Bei dem es eigentlich nur noch darum ging, die Veränderungen an den drei Entwürfen zu bewerten. Deswegen spricht die Stadt auch nicht mehr von einer Jury – die hat eindeutig 2012 ihr Votum abgegeben. Sie spricht von einem Bewertungsgremium.

Das tagte am Montag, 1. Juli, von 16 bis 21:30 Uhr. Und gab am Ende ein neues Votum ab. Wahrscheinlich mit Bewertungskatalog. Aber das darf ja der Bürgermeister nicht verraten. Er darf auch nicht verraten, wie abgestimmt wurde. Oder wer wie abgestimmt hat. Oder ob der eine oder andere in dem Gremium Einfluss genommen hat auf das Ergebnis. Es saßen ja nicht nur “Experten” drin, sondern ein Haufen Leute mit politischen Abhängigkeiten.

Allen voran der Leipziger Oberbürgermeister, der den Stadtrat schon im Vorfeld der Entscheidung warnte: Wenn man sich nicht ans Verfahren hält, kann es teuer werden. Dann werden die Entscheidungen gerichtsrelevant.

Die erste Frage ist also: Warum hat man sich trotzdem nicht an das Verfahren gehalten? Und die Juryentscheidung vom Sommer 2012 einfach außer Kraft gesetzt? Denn was das Gremium da am Montagabend beschlossen hat, ist ein völliges Auf-den-Kopf-Stellen der Jury-Entscheidung.

“Einen leichten Vorsprung verzeichnet der 3. Preisträger mit dem Entwurf ‘Keine Gewalt – Herbstgarten’ von Anna Dilengite, Tina Bara, Alba D’Urbano, Leipzig”, teilte das Kulturamt am Dienstag mit. Die von der Jury auf 1 gesetzten M+M, Marc Weis, Martin de Mattia, München / ANNABAU und Landschaft, Sofia Peterson, Moritz Schloten, Berlin mit “Siebzigtausend” sind jetzt nur noch auf Platz 3. Die Zweitplatzierten sind auch jetzt realities:united, Studio for Art and Architecture, Berlin.

Das ist schon rechnerisch unmöglich.

Die Entscheidung für den Herbstgarten mit seiner in Beton gegossenen Botschaft “Keine Gewalt” sieht nach etwas anderem aus: Nach einer Einflussnahme. Angefangen von der Vorlage des OBM bis hin zu Präsenz der Geldgeber Bund und Land. Wer zahlt, bestellt.

Im Oktober, so darf Michael Faber sagen, darf der Stadtrat entscheiden, ob er den OBM mit der Verhandlung mit einem der Preisträgerteams beauftragt. “Im Oktober 2013 soll der Stadtrat entscheiden, ob die Verwaltung in Vertragsverhandlungen zur Planung des Denkmals mit den drei Preisträgern treten darf. Hierbei wird es um den Ablauf der Maßnahme, deren Umsetzung und die konkreten Honorare gehen. Diese Kriterien fließen zu 40 Prozent in die Vergabeentscheidung ein. Den Planungsauftrag soll der Preisträger erhalten, der am ehesten die sachgerechte, qualitätsvolle Leistungserfüllung erwarten lässt”, behauptet die Stadt.

Man hat also den Vorteil des 1. Preisträgers aus München komplett aufgehoben, will aber nicht erklären, wie die Gremienentscheidung am Montagabend zustande kam. Dass eines der drei Büros nicht in der Lage wäre, diesen Platz zu gestalten, darf bezweifelt werden. Was das Gremium am Montagabend entschieden hat, ist ein ganz tiefer Kotau. Nicht vor dem OBM. Der will nur einen Platz gestaltet haben und dabei irgendwo eine Mehrheit zusammen bekommen.

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Das Ergebnis spricht von einem anderen Kotau: Einem von der Leipziger Volkszeitung und ihrer Macht, Stimmung zu machen. Diese nutzte sie gleich in den Tagen nach Bekanntgabe der Siegerentwürfe und aktivierte ihre Leserschaft, in der Ausstellung und online für den drittplatzieren Entwurf zu voten. Im Online-Voting war dieser Hype gleich in den ersten Stunden nach Beginn der Online-Debatte sichtbar. Während sich jüngere Teilnehmer eher für die Erst- und Zweitplatzierten erwärmen konnten. Oder lieber in differenzierten Kommentaren deutlich machten, dass keiner der drei Siegerentwürfe ihre Zustimmung fand.

Wer Stimmung macht in Leipzig, organisiert scheinbare Mehrheiten.

Aber mit differenzierter Kritik kann Leipzigs Stadtspitze nichts anfangen. Burkhard Jung will den Wettbewerb durchziehen und im Herbst ein Votum zu Verhandlung und Bau bekommen. Egal, welcher der drei Entwürfe es ist. Und der “Herbstgarten” hat die Lobby der großen Tageszeitung hinter sich. Egal welchen Teil man in diesem Leipziger Wettbewerbsverfahren beleuchtet – es fehlt an Transparenz. Und selbst das, was den Leipzigern als Beteiligung verkauft wurde, war es in keinem Fall. Die Verwaltung hat sich stets nur die Meinungen herausgepickt, die ihr “Augen zu und durch” bestätigten. Eine qualifizierte Auseinandersetzung mit dem Platz, der städtebaulichen Lösung, den gefundenen Lösungen hat nicht stattgefunden.

Das kann man Show-Demokratie nennen oder Alibi-Bürgerbeteiligung.

Und dann genau an der Stelle, an der man dann tatsächlich auch noch den Verfahrensweg bewusst verlassen hat, eine Verschwiegenheitserklärung zu formulieren, das zeugt von einem ganz, ganz schlechten Gewissen. “Wir haben es uns nicht leicht gemacht”, versucht Michael Faber die Presse davon zu überzeugen, dass das Ganze dennoch handfeste gute Arbeit war. Aber über so etwas muss man normalerweise nicht schweigen.

Zu den drei überarbeiteten Entwürfen kommen wir noch. Das machen wir jetzt alles eins nach dem anderen. Wer selber schauen will: Die weiterentwickelten Entwürfe werden vom 4. bis 17. Juli in der Unteren Wandelhalle des Neuen Rathauses Leipzig öffentlich ausgestellt.

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