"Sie sind in die SPD eingetreten? Sind Sie wahnsinnig?", scherzte Kanzler-Kandidat Peer Steinbrück am gestrigen Nachmittag in der Petersstraße mit einer Leipzigerin, die verkündet hatte, dass sie ein neues Parteimitglied ist. Etwa zweihundert Menschen drängten sich zwischen der Thomaswiese und den Geschäften, um Steinbrück zu sehen und zu hören. Er erschien in Begleitung von Wolfgang Tiefensee und Daniela Kolbe, den Direktkandidaten der SPD in Leipzig für den Bundestag.

Von der jüngsten Umfrage, welche der CDU die Führung in der Wählergunst bescheinigt, gab er sich unbeeindruckt. “40 Prozent der Wähler entscheiden sich in den letzten 14 Tagen. Und weder die Umfrage-Institute noch die Journalisten entscheiden die Wahl. Also gehen Sie wählen, am 22. September”, bat er. “Wenn sie sich dann falsch entscheiden, bin ich Ihnen zwar böse, aber nun ja.”

Steinbrück hofft eine Aufholjagd hinzulegen, ähnlich wie es Gerhard Schröder im Jahr 2005 geschafft hat. “Vorher bescheinigten die Umfragen Merkel 44 Prozent. Rausgekommen ist sie mit 34 Prozent. Ich kann mich noch gut an ihr Gesicht an diesem Abend erinnern.”

Inhaltlich konzentrierte sich Steinbrück auf die soziale Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Das Eintreten für diese sei das Alleinstellungsmerkmal der SPD. Er verglich die Gesellschaft mit einem Wohnhaus: “Wer das Glück hat, in den oberen Etagen zu wohnen, der muss auch seinen Beitrag leisten, damit das Treppenhaus und die Flure in Schuss bleiben und die Kinder aus den unteren Etagen aufsteigen können.” Dies sei zuallererst durch einen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro zu erreichen.
Es könne nicht sein, dass sieben Millionen Menschen unter diesem Stundensatz verdienen. “Sie arbeiten fleißig und tüchtig und müssen dann aufstocken. Übrigens eine merkwürdige Formulierung, welche die Agentur für Arbeit da verwendet.” Die Rechnung begleichen, das müssen am Ende die Steuerzahler. “Die Altersarmut der Zukunft bekämpfen wir, indem wir jetzt etwas gegen Erwerbsarmut tun”, so Steinbrück. Er versprach auch, die Banken stärker heranzuziehen. Über seine Konkurrentin Angela Merkel sagte er: “Sie eckt nicht an. Merkel liegt in der Furche, der harsche Wind weht über sie hinweg und ab und zu hebt sie mal den Finger, um die Windrichtung festzustellen.” Sie selbst gebe nicht die Richtung vor. “Merkel ist gut im Kreisverkehr-Fahren”, so Steinbrück.

Der Hamburger antwortete auch auf Fragen der Umstehenden. Ein junger Vater wollte wissen, da seine sieben und acht Jahre alten Jungs bereits selbständig im Internet surfen, was Steinbrück in Sachen Datenschutz zu unternehmen gedenke. “Als allererstes müssen wir bessere Verschlüsselungstechnik entwickeln.” Zweitens müsse man auf europäischer Ebene klare Richtlinien erwirken. “Und dann muss man auch den Bündnispartnern klare Ansagen machen”, so der Kanzler-Kandidat. Auf die Frage, wer nächster Deutscher Fußball-Meister wird, sagte: “Das ist die einzige Gelegenheit, bei der ich für Schwarz-Gelb bin.”

Im Anschluss besuchte Steinbrück die Leipziger Volkszeitung, welcher er ein Interview gab, sowie das Unternehmen NEL Neontechnik in Heiterblick.

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