Am 22. September ist Bundestagswahl. Seit dem 26. Juli steht fest, welche Kandidaten in Leipzig zugelassen sind. Im Wahlkreis 152 können die Leipziger einem von acht Bewerbern und im Wahlkreis 153 einem von neun Bewerbern ihre Erststimme geben. Und natürlich stehen auch gute Bekannte wieder auf dem Zettel.

Im Norden, im Wahlkreis 152, sind es Bettina Kudla (CDU), Dr. Barbara Höll (Die Linke), Daniela Kolbe (SPD) und Marcus Viefeld (FDP). Im Süden, im Wahlkreis 153, sind es Dr. Thomas Feist (CDU), Mike Nagler (parteilos, nominiert von Die Linke), Wolfgang Tiefensee (SPD) und Monika Lazar (GRÜNE). Als bekanntes Gesicht dort auch noch der Europaabgeordnete Holger Krahmer (FDP).

Was wohl auch bedeutet, dass die genannten Kandidaten auch 2009 die meisten Stimmen auf sich vereinten, dass sie auch 2013 die Entscheidung unter sich ausmachen, wer das Direktmandat bekommt. Würden die meisten Wähler ihre Kandidatinnen und Kandidaten tatsächlich nach ihrer Persönlichkeit und ihrem Bekanntheitsgrad wählen, wäre es sicher interessant, genau diesen Bekanntheitsgrad bei den Leipzigern anzufragen.

Doch die vergangenen Bundestagswahlen legen leider die Vermutung sehr nahe, dass es sich die meisten Wählerinnen und Wähler einfach machen. Sie kreuzen bei Erst- und Zweitstimmen, also bei Direktkandidaten und Partei jeweils dieselbe Parteifarbe an.

Das ist durchaus relevant, wenn es um den Gewinn des Wahlkreises geht – oder eben den berühmten Blick in die Röhre. Denn das Direktmandat bekommt immer der- oder diejenige, die im Wahlkreis die meisten Stimmen bekommen haben.

Im Wahlkreis 153 (der 2013 zur 152 aufrückt), holte Bettina Kudla (CDU) mit 33,3 Prozent der Stimmen das Mandat (die CDU kam in Leipzig nur auf 28 Prozent), Im Wahlkreis 154 (der 153 in diesem Jahr) bekam Dr. Thomas Feist (CDU) das Mandat mit 28,8 Prozent der Stimmen. Hinter ihm schauten Mike Nagler für Die Linke (25,3 Prozent) und Wolfgang Tiefensee (23 Prozent) in die Röhre. Oder noch deutlicher gesagt: Die eher linken Parteien verhindern gegenseitig den Gewinn der Direktmandate für einen ihrer Kandidaten. Die CDU ist der lachende Dritte.

Da hilft auch kein Bekanntheitsgrad wie bei Wolfgang Tiefensee, der 2009 genauso vom Negativtrend der SPD auf Bundesebene mit nach unten gezogen wurde wie Daniela Kolbe im Norden, die 19,4 Prozent erreichte (SPD mit ihren Zweitstimmen: 18,1 Prozent).

Die Performance der Partei – insbesondere auf Bundesebene – beeinflusst sehr stark auch das Ergebnis bei den Direktmandaten. 2009 haben Leipzigs Statistiker auch mal errechnet, wie genau die Ergebnisse bei den Erststimmen (Direktmandate) mit den Zweitstimmen (Parteien) verknüpft sind. Das Fazit: “Daran kann man ablesen, dass über dreiviertel der Leipziger Wähler vom Stimmensplitting keinen Gebrauch machen.” Sie kreuzen also bei Erst- und Zweitstimme jeweils dieselbe Partei an.Natürlich ist es noch viel bunter als oben beschrieben. Zum Beispiel war 2009 der berühmte Hilfeeffekt für die FDP recht deutlich sichtbar. 16 Prozent der CDU-Wähler, die ihre Erststimme Bettina Kudla oder Dr. Thomas Feist gegeben haben, haben mit ihrer Zweitstimme dafür gesorgt, dass sich das Ergebnis der FDP verbesserte. Was dann rein nach Wählerstimmen der größte Effekt an Stimmensplitting war, den die Statistiker 2009 in Leipzig nachweisen konnten.

Von den Prozenten her gab es einen noch größeren Effekt: Von den Wählern, die ihr erstes Kreuz bei den FDP-Kandidaten Marcus Viefeld und Cornel Janßen gesetzt haben, wählten 17 Prozent dann mit ihrer Zweitstimme CDU.

Was ebenfalls auffiel: Am untreuesten sind von den fünf hier genannten Parteien die SPD-Wähler. Nur 67 Prozent, die ihr Kreuz bei den SPD-Kandidaten Daniela Kolbe und Wolfgang Tiefensee gesetzt haben, wählten dann mit der Zweitstimme auch SPD. Da wird sich nicht nur der SPD-Wahlleiter in Berlin geärgert haben. Den Direktkandidaten nutzte das überhaupt nichts, denn Kolbe und Tiefensee kamen beide über die Landesliste in den Bundestag. Aber der SPD selbst fehlten diese Stimmen bitter. Fehlen sie bis heute.

Und was wählten dann diese Halb-SPD-Wähler mit ihrer Zweitstimme? – 13 Prozent wählten dann lieber die Grünen. Was man natürlich in diesem Fall andersherum lesen muss: 13 Prozent der Leute, die Kolbe und Tiefensee ihre Stimme gaben, waren eigentlich Grüne-Wähler, die aber den beiden SPD-Kandidaten eher zutrauten, das Direktmandat zu erringen.

Erstaunlicherweise scheinen auch Linke-Wähler den beiden SPD-Kandidaten eher zugetraut zu haben, das Direktmandat zu bekommen, als ihren eigenen Kandidaten. Mit 8 Prozent tauchen sie hier auf. Und noch lustiger: Auch 8 Prozent von Wählern, die mit der Zweitstimme CDU wählen, gaben ihre Erststimme den beiden SPD-Kandidaten.

Die Grünen-Kandidaten profitierten erstaunlicherweise zu 11 Prozent von Wählern der SPD, zu 10 Prozent von denen der Linken und zu 7 Prozent auch von denen der CDU.

Und die Linke-Kandidaten profitierten dann wieder ein bisschen von SPD- und Grüne-Wählern (je 5 Prozent) und CDU-Wählern (3 Prozent).

Aber was auch die Statistiker 2009 eher besorgte, war etwas anderes: Die größeren Parteien verloren allesamt Wähler an das wachsende Herr der Nichtwähler. Bei den Linken waren es rund 10.000 Wähler, bei der SPD ungefähr 7.000, bei der CDU ungefähr 5.000.

Insbesondere die SPD verlor aber auch deutlich Wähler an die politische Konkurrenz. Über 12.000 einstige SPD-Wähler wanderten zur Linken ab, rund 10.000 zur CDU. Auch in Leipzig gab es also – mit vierjähriger Verspätung – eine Rechnung für “Hartz IV”. Man kann es wirklich einen politischen Genie-Streich nennen, eine sozialdemokratische Partei mit so einer Reform für Jahre aus dem Rennen zu schießen und dabei auch noch Jahre später als der einzig Verantwortliche dafür vom Wähler abgestraft zu werden. Dass die “Hartz”-Gesetze am Ende ein geschundener Kompromiss mit den vormaligen Oppositionsparteien CDU und FDP waren, hat der Wähler längst vergessen.

Aber auch 2013 sieht es ganz so aus, dass die SPD dafür wieder abgestraft wird. Sie hat es auch in den vergangenen vier Jahren nicht geschafft, sich als politische Alternative neu zu definieren. Was wohl auch wieder heißt, dass es mit dem Gewinn der beiden Direktmandate in Leipzig erneut schwer wird.

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