Es ist jedes Mal mutig, wenn der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zu Diskussionen einlädt. Auch zu politischen, zu denen er eigentlich nichts sagen muss. Er muss ja nur fragen. Zur Bundestagswahl hat der BUND Deutschland zehn solcher Fragen zusammengestellt. Man könnte sie auch als Wahlprüfsteine bezeichnen. Aber prüfen will der BUND nicht. Wollte er auch am Montag, 16. September zum Wahlforum im Anker nicht. Eingeladen waren die Direktkandidatinnen und -kanditaten aus dem Leipziger Norden.

Und sie kamen, was einigen schon hoch anzurechnen ist. Denn für manche Kandidatinnen und Kandidaten ist das Thema Umweltschutz ein fremdes. Nicht nur, weil sie sich fachlich damit nicht beschäftigen, sondern weil auch ihre Partei damit Berührungsängste hat und Umweltschutz für sich eher negativ definiert. Als etwas, was Wirtschaft und Wohlstand gefährdet. Und der BUND, der sich nun einmal Umwelt- und Klimaschutz ganz groß auf die Fahnen geschrieben hat (und nichts anderes), will natürlich klare Positionen.

“Wir sind überparteilich”, betonte drum Martin Hilbrecht, Vorsitzender des BUND Leipzig, extra zu Beginn der Podiumsrunde im Anker. Was eben nicht heißt, dass der BUND nicht parteiisch ist. Dazu ist er gegründet: Als Verband, der Lobbyarbeit für Natur- und Umweltschutz macht. Das betont auch Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND Deutschland, in seiner Vorrede zu den zehn Wahlprüfsteinen des BUND, die auch Gradmesser sind: Wofür stehen die Kandidaten, die am 22. September zur Wahl stehen? Denn dass ein Großteil der Abgeordneten im Bundestag Lobbyinteressen vertritt, hat der Wahlbürger in den letzten Jahren mehrmals gemerkt – nur war es nicht die Natur, der das zugute kam, sondern mal waren es Hoteliers, mal Apotheker, mal die vier großen Energieriesen, die bei einer schwarz-gelben Bundesregierung ihre Eigeninteressen durchdrücken konnten.
Und da wäre man schon mitten im Thema. Denn Atomkraftwerke sind eben nicht einfach “des Teufels” oder gar das ideologische Problem einer Partei, sondern ein Umweltproblem. Wie schnell so ein Atomkraftwerk zur Katastrophe wird, hat ja zuletzt der Fall Fukushima gezeigt, der nicht nur die Grünen auf ein Allzeithoch in Meinungsumfragen hob, sondern auch die Bundesregierung zu einem schnellen “Ausstieg aus dem Ausstieg” aus der Atomkraft bewog. Und völlig ungeklärt ist bis heute die Frage: Wohin mit dem strahlenden Atommüll?

Natürlich war es Zufall, dass ausgerechnet die Frage nach unserer Energiezukunft die erste des Abends war. Der BUND geht bei seinen Wahlforen clever vor: Er lässt die Fragen, die tatsächlich behandelt werden, auslosen. Von zehn Fragen kamen fünf zur Sprache. Weitere drei durften vom Publikum gestellt werden.

Und schon bei der Frage nach der Abschaltung von Atomkraftwerken ging es logischerweise mitten hinein in die Diskussion um die Verwerfungen des EEG-Gesetzes, die Rekordexporte von deutschem Strom und die Planung für 30 bis 40 neue Kohlekraftwerke, die sich auf einmal wieder “rechnen”, weil der Preis für die CO2-Zertifikate im Keller ist. Kleiner Aha-Effekt für das Publikum: Wirklich gegen einen Umbau der Energiewirtschaft hat augenscheinlich keine Partei etwas – von CDU bis Piraten.

Nur der CDU geht es – so Bettina Kudla – etwas zu schnell. Rund um die sächsische Braunkohle seien 17.000 Arbeitsplätze bedroht, sagt sie.

Nächster Aha-Effekt fürs Publikum: Einige Themen kamen immer wieder. Denn sie hängen alle miteinander zusammen – der Umbau der Energiewirtschaft mit dem Ausstieg aus der Atomkraft mit dem Klimaschutz. Und die soziale Frage hängt auch mit drin, was Barbara Höll (Die Linke) gern und deutlich betonte. Denn wenn die Kosten für die EEG-Umlage von den großen Unternehmen auf die kleinen Haushalte umgelegt werden, zahlen die sozial Schwächeren die Energiewende. Und bekommen finanzielle Probleme: Thema Stromabschaltungen.

Da hilft auch nicht, wenn Bettina Kudla die Wirtschaft, die auch nachts produziert, dafür preist, dass sie die Stromflüsse in den Netzen stabil hält.

Denn – auch das wurde deutlich – es ist das alte Denken in zentraler Stromproduktion mit großen Kraftwerken, das diese Netze braucht. Einhellig die Ansicht von Stefanie Gruner (Grüne), Barbara Höll (Linke), Florian Bokor (Piraten) und Daniela Kolbe (SPD): Eine Umstellung auf alternative Energieerzeugung bedeutet eben auch Abschied von der zentralen Versorgungsmacht der vier großen Stromkonzerne – hin zu einer kleinteiligen und regionalen Versorgung. Dafür braucht man gar keine gewaltigen Übertragungsleitungen, wie sie jetzt fehlen, weil der Windstrom aus Mecklenburg-Vorpommern nicht nach Bayern kommt.

Was fehlt, auch das mehrfach geäußert von Grünen, SPD, Linken und Piraten, sind moderne Energiespeicher. Da fehlt es an Forschung, nicht aber an Ideen.

Aber: Die Zeit wird knapp. Das kam dann bei einer Frage zur Sprache, die anfangs sehr abstrakt klang. Denn bei Energie geht es ja nicht nur um Strom, sondern um den viel größeren Batzen bei der Wärmeerzeugung, der Treibstoffgewinnung und der Stoffumwandlung.

Und auf einmal stand ein Gespenst im Saal, von dem man eine Weile nichts gehört hat: der Peak Oil. Daniela Kolbe in ihrer nüchternen Art: “Die Fachleute bestätigen nur noch, dass wir auf dem Peak Oil sind.”

Peak Oil heißt ganz simpel: Maximalfördermenge für Erdöl. All die vergangenen Jahrzehnte ist die jährliche Fördermenge für Öl gewachsen, hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung in den Industrienationen Schritt gehalten. Aber irgendwann gehen die Ölvorräte auf Erden zur Neige. Schwerer zu fördern sind sie jetzt schon. Was eben auch bedeutet: Die Anstrengungen und Kosten zur Ölförderung sind gewachsen, aber die maximale Fördermenge kann nicht mehr gesteigert werden.

Was aber passiert, wenn die Fördermenge zurückgeht? – Das betrifft dann nicht nur das Mobilitätsverhalten, auch wenn hier wieder sichtbar wurde: Die Kandidatinnen und Kandidaten von SPD, Linker, Grünen und Piraten sehen im Motorisierten Individualverkehr (MIV) nicht die Zukunft, auch nur bedingt in der Entwicklung von Elektroautos. Das Zukunftsthema im Verkehr heißt: attraktiver ÖPNV. Nach Wunsch von Piraten und Linken sogar kostenlos. Damit Umsteigen noch leichter fällt.

Und wenn bei der Wärmeenergie wirklich gespart werden soll, dann ist Wärmedämmung für Millionen Gebäude in Deutschland an der Tagesordnung. Nebst intelligenter Heizsysteme, wie Marcus Viefeld (FDP) betont. Aber wer ist nun schuld daran, dass Wärmedämmung nicht besser gefördert wird, weil ein Gesetz von Schwarz-Gelb im Bundesrat scheiterte? Die Roten und Grünen? Oder – wie Barbara Höll betont – wieder das gewählte Prinzip, die Sache vor allem über Steuerabschreibungen zu regeln statt über echte Förderung? Bei Steuerabschreibungen profitiert der Gebäudebesitzer. Aber die Gefahr, dass die Mieter am Ende wieder die Zeche zahlen, ist nicht gebannt. Womit man dann schon beim nächsten Thema wäre: bezahlbarem Wohnraum in Deutschland. Eigentlich kein BUND-Thema. Aber man sieht: Das Ökologische ist tatsächlich nicht ohne das Soziale denkbar.

Das geht bei sparsamen Elektrogeräten im Haushalt weiter. Wer sie wirklich braucht, der kann sie nicht bezahlen. Vorschlag: Abwrackprämien für Energiefresser.

Nächste Erkenntnis fürs Publikum: Sowohl SPD, Linke, Grüne als auch Piraten haben in ihren Wahlprogrammen umfangreiche Vorschläge zur Umweltpolitik. Und: In den wesentlichen Grundlinien einer umwelt- und klimafreundlichen Wirtschaft sind sie sich einig.

Auch wenn noch nicht alles geklärt ist – darauf wies Daniela Kolbe hin: Denn im Verkehr kann man zwar irgendwann auf die Verbrennung von Ölderivaten verzichten. Aber was wird aus der Grundstoffindustrie? Und – so Kolbe – die Alarmsignale aus der chemischen Industrie werden lauter. Denn ein Großteil unserer heutigen Produkte werden aus Erdöl hergestellt. Was passiert, wenn das Öl zur Neige geht?

Kohle wäre da wirklich eine Alternative: als wertvoller Rohstoff für die Chemie. Was im nächsten Schritt natürlich genau das heißt, was Barbara Höll gern immer wieder betonte: “Auch Kohle ist viel zu wertvoll zum Verbrennen.”

So deutlich wie bei diesem Podium am Montag stand das wichtige Thema Umwelt noch bei keiner Wahlveranstaltung der letzten Tage im Mittelpunkt. Selbst die Grünen, deren Ur-Thema die Umwelt ja ist, wurden von der “Bild” mit dem Thema “Veggie Day”, von der “taz” mit der “Pädophilenaffäre” und von anderen Medien mit dem “Steuerthema” an die Wand genagelt. Genüsslich. Dabei ist der “Veggie Day” – für den Daniela Kolbe die Grünen-Kandidatin Stefanie Gruner besonders lobte – kein Selbstzweck, sondern ein Signal. Denn auch unser Fleischkonsum trägt zur Verwüstung der Welt bei, erzeugt umweltschädliche Landwirtschaftsstrukturen (Stichwort: Massentierhaltung), die wieder zur Belastung der Umwelt werden (Stichwort: Antibiotika im Grundwasser und die verheerenden Folgen bis zu Antibiotika-Resistenzen in der Medizin). Natürlich war gesunde Ernährung und eine umweltschonende Landwirtschaft auch Thema an diesem Abend.

Es sind tatsächlich unsere individuellen Verhaltensweisen, die wir ändern müssen.

Ein sensibler Punkt für FDP und CDU. Sowohl Viefeld wie auch Kudla betonten öfter, dass am Ende die freie Wahlfreiheit stehen müsse, dass man freie Bürger nicht gängeln und bevormunden dürfe.

Aber wählen kann nur, wer wirklich Wahlfreiheit hat. Gesunde Ernährung ohne Fleisch ist inzwischen deutlich teurer als die mit Fleisch.

Acht Fragen an sechs Kandidatinnen und Kandidaten – da ist ein Abend schnell herum. Da kann auch Gewässerschutz und Fluglärm nur kurz angetippt werden. Am Ende ist ziemlich deutlich, wie komplex die Arbeit des BUND längst ist und wie das Thema Umweltschutz längst alle Bereiche der Gesellschaft durchdringt. Und klar war auch: Es ist kein bequemes Thema, keines, für das man seine Gewohnheiten nicht ändern muss.

Und das ist vielleicht genau der Punkt, an dem CDU und FDP schon automatisch unruhig werden: Veränderungen machen Menschen unruhig. Aber was passiert, wenn die Veränderung notwendig ist, weil die jetzige Art Wohlstand die Ressourcen unseres Planeten zerstört? “Und wir haben nur einen Planeten. Da ist keiner in Reserve”, sagte Florian Bokor. Gar nicht so beiläufig. Die Unruhe ist längst da.

Zweites Wahlforum:

Das zweite Wahlforum des BUND Leipzig mit den Direktkandidatinnen und -kandidaten aus dem Leipziger Süden findet am heutigen Dienstag, 17. September, 19:30 im Werk 2, Halle D (Leipzig-Connewitz) statt – mit Wolfgang Tiefensee (SPD), Mike Nagler (parteilos, für die Linke), Thomas Feist (CDU), Monika Lazar (Grüne), Holger Krahmer (FDP) und Sebastian Czich (Piraten).

Die einzelnen Redebeiträge wurden aufgezeichnet. Die Videoclips werden ab Donnerstag, 19. September, auf der Website des BUND Leipzig zu sehen sein:

www.bund-leipzig.de

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