Wem gehört der Platz? Haben wir ein Recht auf Stadt? Wie schafft man selbstverwalteten Freiraum? Mit solchen Grundsatzfragen zum urbanen Leben beschäftigt sich das Netzwerk "Stadt für alle". Am vergangenen Sonntag rief das Netzwerk zu einer Demonstration auf, die unter dem Titel "Freiräume statt Investorenträume", die Platzfrage in den öffentlichen Raum stellte. Warum wohnen keine Ware ist, worauf das Recht auf Stadt begründet und was das neue wohnungspolitische Konzept können muss - darüber haben wir mit Daniel Nitzpon von "Stadt für alle" gesprochen.

Was sind Ihrer Meinung nach die wesentlichen Kritikpunkte am jetzigen wohnungspolitischen Konzept?

Es ist nachvollziehbar, dass die Leipziger Wohnungsmarktakteure von der LWB über Genossenschaften bis hin zu Bauträgern und privaten Immobilienunternehmen ihre Ansichten, Vorstellungen und Wünsche in die Erarbeitung des Konzeptes einbringen wollen und sollen. Allerdings sehen wir ein deutliches Ungleichgewicht gegenüber den Artikulationsmöglichkeiten der MieterInnen. Wir hoffen, dass die Ergebnisse der nun gestarteten öffentlichen Diskussionsveranstaltungen im Rahmen der Zukunftsreihe “Leipzig weiter denken” einen mindestens genau so großen Einfluss auf die Konzepterstellung haben werden, wie die vier Workshops mit dem “Akteurs- und Expertenkreis”.

Warum hat das alte Konzept ausgedient?

Das alte Konzept wurde 2009 verabschiedet, es beruht auf der Datenlage von 2007. Damals war der Wohnungsmarkt in Leipzig noch von vollkommen anderen Voraussetzungen geprägt und die Dynamik der letzten Jahre noch nicht absehbar, die uns auf absehbare Zeit deutliche Probleme bereiten wird.

Welchen Anforderungen muss das neue Konzept gerecht werden?

Der Wohnungsmarkt in Leipzig hat sich in den letzten Jahren bereits deutlich geändert und wird dies auch in Zukunft tun, vermutlich noch schneller als bisher. Dies hängt vor allem mit den Bevölkerungszuwachs von derzeit etwa 10.000 Menschen pro Jahr zusammen. Aber auch die Eurokrise und die “Flucht ins Betongold” spielen eine wichtige Rolle. Der Wohnungsleerstand schmilzt, die Angebotsmieten steigen in vielen Teilen der Stadt. Es zeigen sich bereits erste Engpässe im preisgünstigen Wohnungssegment (bis ca. 5,00 Euro/m² Kaltmiete). Das Konzept sollte besonders diese Probleme in den Blick nehmen und Lösungen aufzeigen, solange noch Zeit für Politik und Stadtverwaltung ist, gegensteuern.

Wer sollte Ihrer Meinung nach bei der Erarbeitung der Grundlagen des Konzepts mitarbeiten?

Bisher sind vor allem die sogenannten Wohnungsmarktakteure intensiv beteiligt. Demgegenüber sollten auch die Interessen der Mieter und Mieterinnen deutlich stärker berücksichtigt werden, darunter insbesondere die Gruppen, die von Mietsteigerungen und Verdrängung am stärksten betroffen sind.

Das Konzept wird für private Unternehmen/Eigentümer nicht bindend sein. Ist der Mangel an Verbindlichkeit schon im Vorfeld ein Problem?

Wie Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, kann die Stadt durchaus bindende Regeln zum Beispiel für Neubauten beschließen, auch Umbauten beziehungsweise Umnutzungen zu Lofts müssen nicht genehmigt werden. Allerdings stimmt es, dass die Einwirkungsmöglichkeiten der Stadt auf private Eigentümer eng begrenzt sind und immer einen recht langen Vorlauf benötigen. Deshalb ist es wichtig, mögliche Maßnahmen bereits jetzt weitgehend auszunutzen, damit sie noch wirksam werden können, bevor die Dynamik des Marktes sie überholt. Es soll hinterher nicht heißen “Hätten wir doch zwei Jahre früher…” oder “Wären wir damals mutiger gewesen…” Außerdem kann die Stadt auch die eigenen Liegenschaften wesentlich besser nutzen als bisher, beispielsweise über ein Konzeptverfahren.

Braucht Leipzig den sozialen Wohnungsbau?

Perspektivisch werden – wenn sich die Bevölkerungsentwicklung in den nächsten Jahren so fortsetzt – auch in Leipzig neue Sozialwohnungen benötigt. Dabei sollten die Fehler des alten sozialen Wohnungsbaus nicht wiederholt werden. Es gilt vielmehr, diese Fehler auszuwerten, und die Leipzig-spezifischen Erfahrungen zu nutzen, um neue Formen der Trägerschaft zu entwickeln und kleine, über das ganze Stadtgebiet verteilte Einheiten mit MieterInnenselbstbestimmung zu schaffen.

In erster Linie können die Probleme im preisgünstigen Bestand jedoch nicht durch Neubau, sondern durch eine kluge Wohnungspolitik im Bestand gelöst werden. Hier müssen neue Instrumente (wie etwa städtische Zwischenfinanzierungsfonds oder Ankaufträger) geschaffen werden, die es ermöglichen, Mietshäuser in genossenschaftlicher Selbstverwaltung der MieterInnen zu übernehmen – nicht als Weg, um Wohneigentum für Besserverdienende zu sichern, sondern als Modell, um bezahlbaren Wohnraum großflächig sicherzustellen. In Nischen konnten die Modelle selbstverwalteter Häuser (wie etwa im Mietshäuser Syndikat) ihre Praxistauglichkeit beweisen. Jetzt gilt es, die Erfahrungen systematisch auch in größerem Maßstab nutzbar zu machen.

Worauf gründet sich das Recht auf Stadt? Warum sollte Wohnen keine Ware sein?

Weil die Wohnung eine zweite Haut ist, die zu einem menschenwürdigen Leben dazugehört. Genau wie Wasser keine Ware sein darf, weil es ein elementares Grundbedürfnis des Menschen ist, so darf es auch Wohnraum nicht sein. Perspektivisch ist es daher wichtig, über vernünftige Konzepte der Vergesellschaftung von Wohnraum nachzudenken, da die Verwertungskriterien, nach denen der Markt Wohnraum schafft, verändert und vernichtet, sich nie mit den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen decken können.

Abschließend die Raumfrage: Wem gehört der Platz?

Die Stadt im großen und der Raum im kleinen muss immer denen gehören, die ihn nutzen. In erster Linie sind das die AnwohnerInnen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass für alle Gruppen Raum in der Stadt zum Leben und zur Entfaltung vorhanden sein muss. Niemand darf an den Rand gedrängt oder vertrieben werden, nicht nur weil dies unserem Gerechtigkeitsempfinden entspricht, sondern auch, weil genau die ständige Begegnung zwischen verschiedensten Gruppen den Charakter der Stadt ausmacht.

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