Der sächsische Verfassungsschutz führte "operative Vorgänge" zu drei Neonazis, die jetzt als Helfer des Zwickauer Terrortrios "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gelten. Dies berichtete die "Freie Presse" am Dienstag. Die Zeitung beruft sich auf einen internen Bericht, den der Nachrichtendienst vergangenen November an das Bundeskriminalamt schickte. Skandalös: Trotz der Kontakte zu den Terrorhelfern gelang es der Behörde nicht, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufzuspüren.

Besonders engen Kontakt sollen die Verfassungsschützer mit André E. (32) gehabt haben. Er soll an der Produktion der ersten Bekenner-DVD beteiligt gewesen sein. Der ehemalige Betreiber des Zwickauer Szene-Ladens “Caput Mortuum” sitzt seit dem 24. November 2011 in U-Haft. Am selben Tag teilte Sachsens Verfassungsschutz-Vize Olaf Vahrenhold dem BKA mit, dass E.’s “operative Bearbeitung” 2003 in einem “Informationsgespräch” gipfelte. Man versuchte ihn als Informanten zu gewinnen. Damals soll er dem Nachrichtendienst mitgeteilt haben, er sei aus der Szene ausgestiegen. Die Maßnahme sei daraufhin eingestellt worden. Ein fataler Irrtum. Denn das NSU-Video wurde laut Computerprotokollen zuletzt 2007 bearbeitet.

Auch Mandy S. (36) soll 2001 vom Verfassungsschutz angesprochen worden sein. Die Frau, die das Trio 1998 nach seinem Abtauchen in der Chemnitzer Wohnung ihres Freundes einquartierte, gab der Behörde ebenfalls einen Korb. Sie habe sich von der Szene abgewandt. Mittlerweile hat die Friseuse nach eigenem Bekunden tatsächlich nichts mehr mit Neonazis am Hut. Nach einem “Welt”-Bericht stieg sie jedoch erst vor sechs Jahren aus dem Milieu aus. Der Chemnitzer Jan W. (37) war schon 1995 von dem Geheimdienst angesprochen worden. Er lehnte weitere Gespräche ab. Weiter beobachtet wurde er offensichtlich nicht. Nach derzeitiger Erkenntnis soll er dem Trio eine Waffe beschafft haben.

Gegenüber der “Freien Presse” bestätigte Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos die Echtheit des Schreibens. “Nach den Veröffentlichungen über die Anwerbeversuche des sächsischen Geheimdienstes bei Kontaktpersonen des NSU ist man versucht zu fragen, wen sie eigentlich nicht versucht haben, als Spitzel zu gewinnen”, meint die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz. In dem Schreiben fallen auch die Namen vier weiterer Kontaktpersonen aus dem NSU-Umfeld, gegen die bisher nicht ermittelt wird. Köditz: “Zwei der jetzt genannten Personen sind uns bisher nie in offiziellen Zusammenhängen benannt worden. Hier besteht erheblicher Erklärungsbedarf. Ich werde dazu in der Sitzung der Parlamentarischen Kontrollkommission nachhaken.”

Laut internen Papieren, die der Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion zugespielt wurden, waren die Aktivitäten des heute als Beschuldigter geführten André E. bereits seit Jahren im Blick von Geheimdienst und Staatsschutz. Allerdings sei seine Rolle offenkundig deutlich unterschätzt worden. Verbindungen zum Kern des NSU seien nicht erkannt worden. “André E. hat laut diesen vertraulichen Dokumenten, die den Gesprächsinhalt eines Treffens zwischen Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz und des Staatsschutzes Zwickau zum Inhalt haben, ca. 2006 versucht, in der Region Zwickau eine Neonazi-Kameradschaft aufzubauen”, berichtet Köditz. “Beteiligt daran war demnach auch ein örtlicher Neonazi, der später im ‘Freien Netz’ aktiv wurde und dem Verbindungen zum ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Peter Klose nachgesagt werden.”

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