"Ich freue mich, dass die jungen Leute gerne in Sachsen leben und ihre Zukunftsperspektiven auch im Freistaat sehen", sagte Stanislaw Tillich, Sachsens Ministerpräsident, am Montag, 1. Oktober. Der Anlass für die Freude: Die sächsische Staatsregierung hatte eine Jugendstudie "Lebensziele junger Menschen in Sachsen" in Auftrag gegeben und nun vorgestellt. Aber nicht nur Annekatrin Klepsch hatte am Ende die Frage: Wer wurde denn da eigentlich befragt.

Es wird ja von den Meinungsforschungsinstituten nicht gern drüber geredet, wie sehr sich ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert hat. Früher war das einfacher: Da nahm man sich das Telefonbuch und rief so lange an, bis man den Grundbestand für eine repräsentative Erhebung beisammen hatte. Beim Wählen hilft heute zwar der Computer. Aber das Telefonbuch nützt eigentlich nichts mehr, denn die Kommunikation der Deutschen hat sich in den letzten 15 Jahren radikal gewandelt. Nicht nur durchs Internet, sondern auch durch den Siegeszug der Mobiltelefone.

Jede Auswertung zum Mediennutzungsverhalten zeigt: Über Papierzeitung und Festnetztelefon erreicht man die jüngeren Jahrgänge in Deutschland fast gar nicht mehr. Sie sind online und sie sind mobil.

Es ist deshalb schon recht bedenklich, wenn das beauftragte Institut GMS Dr. Jung GmbH in Hamburg als Zielgruppe nur die deutschsprachige Bevölkerung zwischen 15 und 25 Jahren in sächsischen Privathaushalten mit Festnetzanschluss befragte.

Die sächsische Staatsregierung wird die Ergebnisse dieser CATI-Befragung trotzdem auf der Jugendkonferenz am 6. und 7. Oktober in Dresden vortragen und so tun, als sei man damit wieder einmal in seiner schönen grün-weißen Politik bestätigt. Doch nicht nur ein jugendpolitisches Konzept fehlt diese Regierung, wie Annekatrin Klepsch, jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag kritisiert, ihr fehlt auch jegliches Verständnis für die Bedürfnisse der jungen Leute.

Annekatrin Klepsch: “Dass Staatsminister Beermann das Versagen der Staatsregierung in Sachen Jugendpolitik jetzt mit einer halbgaren Telefonumfrage des Hamburger GMS-Institutes garniert, krönt das feudale Demokratieverständnis von Herrn Tillich. Der Großteil der Fragen nach Heimatverbundenheit, Lebenszielen und Zukunftserwartungen ist so allgemein gehalten, dass sich für eine gezielte eigenständige Jugendpolitik kaum etwas aus den Antworten ableiten lässt. Die politische Einstellung junger Menschen wird erst gar nicht erfragt. Offenbar ist das Verhältnis der Jugendlichen zur Demokratie der Staatsregierung nicht wichtig. Fragen wie die Situation von arbeitslosen Jugendlichen, Schülern ohne Schulabschluss, Armutslagen von Kindern und Jugendlichen, Cybermobbing, ÖPNV-Anbindung und Bildungschancen werden erst gar nicht thematisiert. Dass darüber hinaus nur Jugendliche aus Privathaushalten mit Festnetzanschluss befragt wurden, wirft an der Studie methodische Zweifel auf.”
“Gerade die jungen Menschen sind für die Zukunft Sachsens wichtig. Ich finde es ein gutes Zeichen, dass für eine Mehrheit der Jugendlichen zu einem erfüllten Leben eine Familie und eigene Kinder gehören”, hatte Tillich nach Bekanntgabe der Studie gejubelt. Aber nun gerade das aus den Ergebnissen herauszulesen, ist zumindest fragwürdig.

Klepsch: “Dass nur 55 Prozent der befragten Jugendlichen für ihre Arbeit in Sachsen bleiben wollen und 45 Prozent die gern gepriesene Heimatverbundenheit egal ist, sollte Herrn Tillich und seinem Kabinett zu denken geben.”

Tatsächlich sind selbst diese kaum belastbaren Studienergebnisse erschreckend. Gerade in einem Land, das tief in den Verwerfungen der demografischen Entwicklung steckt. Zu Tausenden verlassen die jungen Sachsen zwar nicht mehr den Freistaat – aber die ländlichen Räume. Was nichts mit dem von der Regierung so gern malträtierten Begriff von Heimatverbundenheit oder ähnlich mythischem Unfug zu tun hat, sondern mit simplen Infrastrukturen – fehlenden Schulen, Ärzten, Kindertagesstätten, ÖPNV-Anbindungen, Behörden, Polizeistationen …

Man könnte die Liste immer wieder neu aufmachen. Und es käme eine To-do-Liste für die Landesregierung dabei heraus. Aber das Thema wird auch in der “Jugendstudie” komplett ausgeblendet. Dass selbst 39 Prozent der am Festnetz erreichbaren Jugendlichen zwischen 15 und 25 ihren künftigen Lebensmittelpunkt außerhalb Sachsens sehen, sollte eine Regierung, die jetzt schon um erste Probleme bei der Fachkräftegewinnung weiß, geradezu beängstigen.

Der Rest der Befragung ist ein Stochern im Nebel. Selbst bei der Frage “Wie kann denn Sachsen für Jugendliche und junge Erwachsene als Lebensmittelpunkt (noch) attraktiver gemacht werden?”

Mal abgesehen davon, dass das eine Suggestivfrage ist, bei der professionelle Statistiker eine Gänsehaut bekommen, kommt natürlich bloß kleinteiliges Puzzlewerk dabei heraus, wenn die jungen Leute selbst benennen sollen, was alles fehlt. Und es fehlt eine Menge. Wie lang die Liste ist, verrät die Studienauswertung nicht. Aber selbst wenn Schwerpunktaussagen wie “bessere Freizeitmöglichkeiten” oder “Angemessene Gehälter / West-Niveau” nur auf 7 oder 6 Prozent kommen, deutet das an, wieviele Fehlstellen die jungen Leute benannt haben. Die Hamburger Auswerter haben auch noch hingeschrieben: Ausgewertet haben sie nur alles mit Nennungen über 3 Prozent.

Das Raster von Lösungsvorschlägen der Regierung fehlt komplett. Was natürlich auch bedeutet: Man lässt die jungen Leute zwar ihre Erwartungen äußern, setzt sich aber nicht dem Druck aus, auch darauf reagieren zu müssen. Man liest sich das aus der Befragung heraus, was man als Eigenlob benutzen kann. Aber nichts deutet darauf hin, dass die Staatsregierung wirklich daran arbeiten will, eine begründete Jugendpolitik aufzusetzen.

Die Kurzauswertung der Befragung: www.ministerpraesident.sachsen.de/download/Jugendstudie_Freistaat_Sachsen.pdf

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar