Eigentlich weiß Johannes Beermann ganz genau, was zu tun wäre in Sachsen, um die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur positiv zu begleiten. Er ist Chef der Staatskanzlei. Und diese betreut auch die Website "Demografische Entwicklung". Da geht es nicht nur um Bevölkerungsrückgang und Überalterung. Aber Sachsens Politik nimmt kaum etwas anderes wahr.

Es gibt sogar ein Förderprogramm “Demografie” für Projekte, die den demografischen Wandel vor Ort positiv und nachhaltig gestalten. 13 Stück an der Zahl werden 2014 gefördert. Aber schon die Auswahl zeigt, dass man über das Denken in den Kategorien Bevölkerungsrückgang und Überalterung nicht hinaus kommt.

Das Thema demografischer Wandel ist schon seit der Regierungszeit von Georg Milbradt auf der Agenda der sächsischen Staatsregierung. Seit 2007. Aber genau auf dem Erkenntnisstand ist es bis heute stehen geblieben.Was fatal ist, denn das verbiegt auch die komplette sächsische Politik mitsamt ihren Kürzungsrunden bei sämtlichen Staatsangestellten auf Grundlage von Prognosen aus den Jahren 2007/2008. Als hätte die Regierung Tillich das Selber-Denken vollkommen eingestellt. Und als hätte sich gar nichts geändert. Der Bevölkerungsrückgang ist seitdem drastisch zurückgegangen. Auch der Verlust von jungen Frauen, der in der 2010 formulierten Trends noch eine enorme Rolle spielt. Was aber auch egal ist: Junge Frauen spielen in der Demografie-Politik des Freistaats keine Rolle.

Der Freistaat Sachsen unterstützt seit 2007 Kommunen, Landkreise, Vereine, Verbände und Einrichtungen mit Fördergeldern bei der Entwicklung von Ideen und konkreten Handlungskonzepten zur demografischen Entwicklung. Oder dem, was man dafür halten möchte. Seitdem wurden mit insgesamt 5,6 Millionen Euro 118 Projekte gefördert, die thematisch von generationenübergreifender Netzwerkarbeit über Leitbildentwicklungen und Fachkräftesicherung bis hin zu mobilen Beratungsdiensten reichen.

“Mit Hilfe unseres Förderprogramms wollen wir die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur mit regional passgenauen Lösungen begleiten”, erklärte der Chef der Staatskanzlei, Staatsminister Johannes Beermann, am Mittwoch, 2. April, in Dresden. “Auch in diesem Jahr werden Ideen zum Umgang mit einer alternden Bevölkerung unterstützt.”

Nordsachsen und der Vogtlandkreis sowie das Soziale Netzwerk Lausitz und der Ostritzer Verein “Vereinshaus Alte Schule” erhalten beispielsweise eine finanzielle Förderung für ihre Projektideen. Der Verein “Vereinshaus Alte Schule” möchte zusammen mit den Einwohnern von Ostritz ein Konzept für ein barrierefreies Stadtzentrum erarbeiten. Ziel ist es, die Stadt so zu gestalten, dass familien- und altersgerechte Dienstleistungen wohnortnah erreichbar sind. Eigentlich ein Ziel, das auch in der sächsischen Raumplanung eine Rolle spielen müsste. Gerade die kleineren Städte und Gemeinden leiden darunter, dass in den letzten Jahren hunderte Einkaufszentren auf der Grünen Wiese entstanden. Die Zentren der Orte verödeten und büßten all die zum Leben notwendigen Dienstleistungsstrukturen ein. Dass sich die Ostritzer nun auf die Notwendigkeit eines funktionierenden und barrierefreien Zentrums besinnen, zeigt recht deutlich, warum die ländlichen Räume in Sachsen veröden. Der Freistaat mit seiner Ausdünnung im Schulsystem, bei Verwaltungsstellen und Polizei hat eine Aktie daran.

Es wirkt wie ein Feigenblatt, wenn die Regierung jetzt solche Projekte fördert, die im Kleinen zu reparieren versuchen, was im Großen weiter falsch läuft.
“Den demografischen Wandel kann man richtig und aktiv gestalten”, meint Beermann. “Hier brauchen wir kreative und engagierte Akteure vor Ort. Mit ihren ausgezeichneten Ideen sind sie Vorbild für andere und zeigen Chancen auf.” Der Freistaat sieht sich nicht als Akteur, nur als Stütze.

Während der Vogtlandkreis eine flächendeckende, koordinierte und anbieterneutrale Pflegeberatung aufbauen möchte, erarbeitet der Landkreis Nordsachsen für seine Mitarbeiter unter Berücksichtigung der sich verändernden Altersstruktur die Voraussetzungen für ein betriebliches Gesundheitsmanagement.

Die Soziales Netzwerk Lausitz gGmbH ist in Weißwasser/OL und Umgebung als Netzwerk für soziales Engagement tätig. Im Rahmen des Projektes sollen regionale Unternehmen mit engagierten Vereinen und Organisationen zusammengebracht werden, um gemeinsam der älteren Bevölkerung in der Region langfristig mit Angeboten wie Kulturtreffs, Mittagstisch oder Ausflügen eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Das klingt nach der Verwandlung eines ganzen Landes in ein Altersheim.

Nicht im Ansatz werden die Ursachen für die Verschiebung sichtbar, die vor allem junge Leute abwandern lassen aus den zusehends verödenden Regionen. Sie gehen dahin – auch das wurde 2010 zumindest als demografischer Trend erkannt – wo sich die Infrastrukturen, die man zum (barrierefreien) Leben braucht, noch in großer Dichte finden lassen: in die Großstädte.

“Der Konzentrationsprozess von Bevölkerung und Infrastruktureinrichtungen zugunsten wirtschaftsstarker Zentren wird sich fortsetzen”, heißt es in der 2010 formulierten These Nr. 9. Als wäre das ein völlig von Menschen unbeeinflusster Effekt und die Sparpolitik der sächsischen Regierung spiele gar keine Rolle dabei. Im Gegenteil: Die Abwanderung aus den ländlichen Regionen hat sich unter der Regierung Tillich noch verstärkt.

Dass Sachsens Regierung wider besseres Wissen agiert, kann man auf der von der Staatskanzlei betriebenen Website selbst nachlesen, wo man unter den Folgen auch Schlussfolgerungen gezogen hat, wie nun gehandelt werden müsste.

Etwa beim Thema Bildung, wo es heißt: “Durch die Bevölkerungsentwicklung ergeben sich große Anforderungen, aber auch Spielräume zur Neugestaltung. So kann die gezielte Bildung der Jüngsten früher beginnen. In Kindergarten und Schule sind die Grundlagen für ein Lebenslanges Lernen zu legen. Diese Grundlagen sind in den Hochschulen und der beruflichen Ausbildung ständig zu vertiefen. Da das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften zurückgeht, wird auch die berufliche Weiterbildung jüngerer und älterer Arbeitnehmer wichtiger. Die Unternehmen müssen aus Verantwortung für die Zukunft mehr in Umschulungen und die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren.”

Und man liest dort auch nichts zu Kürzungen an den Hochschulen. Im Gegenteil: “Mehr noch als in der Vergangenheit müssen die Hochschulen und Universitäten daher ein attraktives und wettbewerbsfähiges Angebot vorhalten, um Studenten anzuziehen. Darüber hinaus werden sie ihr Profil so gestalten müssen, dass mehr Studenten in den Fächern ausgebildet werden, in denen ein erhöhter Fachkräftebedarf besteht.”

Das würde man im Prinzip Gegensteuern nennen. Wenn denn in der sächsischen Regierung auch nur einer willig wäre, gegenzusteuern. Aber der Wille ist nicht zu sehen.

www.demografie.sachsen.de

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