Bahnt sich in Sachsen der nächste Geheimdienst-Skandal an? Das Conne Island, die Buchhandlung El Libro und weitere linke Initiativen und Einzelpersonen erhielten in den letzten Wochen Briefe vom Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). Die Behörde teilte den Empfängern mit, dass ihr Telekommunikations-, sowie ihr Post- und Briefverkehr in verschiedenen Zeiträumen zwischen 1996 und 2001 abgehört und überwacht worden sei. Stadträtin Juliane Nagel (Linke) verlangt Aufklärung.

Nicht nur Mitarbeiter des Conne Island wurden von Februar 1999 bis Oktober 2000 überwacht. “Auch die Grundrechte von Gästen, KünstlerInnen, GeschäftspartnerInnen, PolitikerInnen und politisch Aktiven, die das Conne Island nutzen, wurden verletzt”, beklagt das Plenum des soziokulturellen Zentrums in einer Erklärung, die in der aktuellen Ausgabe des Szene-Magazins “CEE IEH” abgedruckt ist.

Begründet worden seien die Maßnahmen mit dem Verdacht, dass die Aktivitäten der Gruppen “Rote Antifaschistische Aktion Leipzig” (RAAL) und “Bündnis gegen Rechts” (BgR), deren Treffpunkt das Conne Island war, “darauf gerichtet war, Straftaten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) zu begehen”.

Skandalös, findet das Plenum: “Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Überwachten in erster Linie damit beschäftigt war, sich gegen rechte Gewalt und den rassistischen und antisemitischen Konsens in der Gesellschaft zu engagieren, kann dieser Verdacht nur als Frechheit verstanden werden.”

Das Conne Island wird nach eigenen Angaben seit 1996 in den jährlichen Verfassungsschutzberichten als “Anlaufstelle der Autonomen Szene” genannt. Zu dieser Zeit war Klaus Hardraht (CDU) amtierender Inneminister in Sachsen unter Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU). Ab 1995 übte Hardraht dieses Amt bis 2002 aus. Im Jahr 2003 versuchte der Geheimdienst letztlich erfolglos, die Stadt Leipzig zur Einstellung der finanziellen Förderung des Kulturzentrums zu bewegen. Auch der Versuch des Finanzamts, dem Trägerverein die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, scheiterte. “Trotz dessen ist anzunehmen, dass auch außerhalb der nun eingeräumten temporären Maßnahmen unter wahnwitzigen Vorwänden gespitzelt und überwacht wurde und wird”, erklärt das Plenum.

“Offensichtlich hat der Verfassungsschutz Ende der 1990er Jahre systematisch antifaschistische und linke AktivistInnen in Leipzig durchleuchtet und damit die wichtig Arbeit gegen die zu dieser Zeit akute Nazigefahr kriminalisiert”, meint Juliane Nagel (Linke). Die Stadträtin ist überzeugt: “Während Nazis Menschen bedrohten, verletzten und sogar ermordeten, fokussierte sich der Staat auf die Menschen und Projekte, die sich genau gegen diese Gefahr engagierten. Das ist unfassbar!”

Jenseits der Frage wie die massive Einschränkung der Grundrechte durch die Überwachungsmaßnahmen begründet wird, müsse sich das Sächsische Innenministerium, das die Maßnahmen genehmigen muss, die Frage gefallen lassen, warum die Betroffenen erst jetzt informiert worden sind?

“Dass neben zahlreichen Einzelpersonen und einem Buchladen mit dem Conne Island auch ein bundesweit anerkanntes und von der Stadt Leipzig gefördertes Kultur- und Jugendprojekt von der politisch motivierten Durchleuchtung durch den Verfassungsschutzes betroffen ist, drängt nach Erklärung”, findet Nagel. “Darüber hinaus erwarte ich, dass auf Landtagsebene Rechenschaft sowohl über die Hintergründe der Überwachungsmaßnahmen, deren Ergebnis und die Frage der späten Information der Betroffenen abgelegt wird.”

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