Die Handballerinnen des HC Leipzig haben es in die Champions League geschafft - zumindest vorbehaltlich des Protests des Gegners aus Budapest. Das Finale des Qualifikationsturniers in der Messehalle 1 werden die Fans und Akteure so schnell wohl nicht vergessen. Denn die Entscheidung fiel erst nach Siebenmeterwerfen. Zuvor hatte der HCL mehrfach Rückstände von bis zu vier Toren wettgemacht. "So ein Spiel habe ich noch nie erlebt.", musste Maura Visser das Erlebte erstmal verarbeiten.

Schon kurz nach Spielbeginn bekamen die Leipzigerinnnen zu spüren, dass mit dem FTC-Rail Cargo Hungaria ein ganz anderes Kaliber auf der Platte stand als es der Vortagsgegner Minsk gewesen war. Der HCL biss sich zunächst an der starken ungarischen Verteidigung die Zähne aus und geriet immer wieder ins Hintertreffen (2:5/8.).

Als beim 6:10 (17.) erstmals vier Tore Differenz auf der Tafel standen, rief HCL-Coach Norman Rentsch zur Auszeit. Diese zeigte Wirkung, denn zehn Minuten später schloss Alexandra Mazzucco einen Konter zum 13:13-Unentschieden ab – und legte direkt das 14:13 (28.) nach. Es war die erste und einzige Führung, die Leipzig in der regulären Spielzeit und der zehnminütigen Verlängerung genießen durfte, denn schon zum Pausentee hatten die Gäste wieder die Nase vorn (14:15).
Mit großer Moral steckte der HC Leipzig in der zweiten Halbzeit abermals zwei Minus-Vier-Rückstände weg (17:21/ 18:22) – nutzte eine Zeitstrafe der Gäste optimal – und glich durch die immer stärker werdende Karolina Kudlacz zum 22:22 (42.) aus.

Als – nach zwischenzeitlichem 23:26 (48.) – Maura Visser zum 25:26-Anschluss getroffen hatte (50.), tauchte die Partie endgültig in die dramatische Phase ein. Das Strickmuster lautete von nun an: Führung Budapest – Ausgleich Leipzig.

Beim Stand von 28:28 und Ballbesitz für den HCL, nahm Rentsch noch einen letzten Timeout. Da waren nur noch 26 Sekunden auf der Uhr. Der geschmiedete Plan schien aufzugehen, Anne Müller setzte zum Wurf an, wurde umgerissen – die Halle forderte Siebenmeter – aber die serbischen Schiedsrichterinnen hatten kein Foul gesehen. Es ging in die Verlängerung.

Und es sah so aus, als ob die Ungarinnen nun doch das bessere Ende für sich haben sollten. Als nach fünf Minuten die Seiten gewechselt wurden, führte Budapest mit 30:32. Es ist einfach unglaublich, wie viel Spannung in eine allerletzte Spielminute passt. Erst glich Luisa Schulze zum 33:33 aus, doch die Gäste hatten erneut eine treffsichere Antwort. So stand es 33:34 als der HCL nochmal einen Freiwurf zugesprochen bekam. Das war drei (!!!) Sekunden vor Ultimo.

Doch waren es wirklich noch drei Sekunden oder war die Uhr schon abgelaufen? Um diese Frage entspann sich eine minutenlange Diskussion mit Schiedsrichtern und dem Kampfgericht. Das Urteil: Es sind noch zwei (!) Sekunden zu spielen. Bedeutet: Leipzig konnte – wenn es sich beeilte – noch einen planmäßigen Freiwurf ausführen. Gesagt, getan: Karolina Kudlacz bekommt das Zuspiel, steigt hoch – und knallt den Ball in den Winkel! 34:34 – Siebenmeterwerfen!
Arm in Arm hatte sich das HCL-Team an der Mittellinie postiert und bejubelte euphorisch jeden verwandelten Siebenmeter. Kudlacz, Hubinger, Schulze – die drei ersten Würfe saßen, allerdings auch die der Gäste. Doch dann unterstrich Nationaltorhüterin Katja Schülke ihre Extraklasse – und hielt den vierten Versuch der Ungarinnen. Müller traf für Leipzig, Budapest glich zum 4:4 aus. Nun war es an Maura Visser, mit dem letzten Wurf alles zu entscheiden.

“Ich habe versucht cool zu bleiben und den Siebenmeter so zu werfen wie immer. Einmal antäuschen, gucken, was die Torhüterin macht, und dann war er drin! Da ist man natürlich überglücklich.”, blickte sie im Anschluss auf das wohl wichtigste Tor ihrer HCL-Karriere zurück.

Die Szenen, die sich nun auf dem Feld abspielten sind kaum zu beschreiben. Kapitänin Karolina Kudlacz hüpfte ausgelassen herum, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, schickte noch einen Dank an höhere Mächte. Kreisläuferin Luisa Schulze stand gedankenversunken da, schüttelte mit einem Lächeln auf den Lippen immer wieder den Kopf. Präsident Andreas Erzkamp fegte wie ein Derwisch übers Feld und jubelte den Fans zu, während Manager Kay-Sven Hähner “seinen” Mädels strahlend in den Armen lag.

“Ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten Mal so ein spannendes Spiel erlebt habe.”, sagte Anne Hubinger im L-IZ-Interview und fügte hinzu: “Ich glaube, noch nie.” Nachdem ihr im Halbfinale auch aus besten Wurfpositionen einfach kein Tor gelingen wollte, traf sie am Sonntag gleich fünfmal. “Heute habe ich einfach versucht, mein Bestes zu geben und so wenig wie möglich an die schlechten Leistungen der letzten beiden Spiele zu denken. Ich denke, ich habe ganz gut was gegeben, dass wir dann noch mit einem Tor gewonnen haben.”, war die 21-Jährige glücklich.
“Nach so einem Spiel, in dem alles drin war, ist es schwer, überhaupt etwas Kluges und Vernünftiges zu sagen.”, rang Karolina Kudlacz auch einige Zeit nach Spielende immer noch um die richtigen Worte. “Das war eine verrückte Sache heute. Die Mannschaft hat einen unglaublichen Teamgeist!”.

In der Champions-League-Gruppe A trifft der HC Leipzig nun auf Krim Mercator, Dinamo Sinara und Hypo Niederösterreich. Allerdings nur, wenn dem Protest von Budapest nicht stattgegeben wird. Diese zweifeln die Rechtmäßigkeit des 34:34-Ausgleichstreffers zum Ende der Verlängerung an.

Info: Den dritten Platz des Qualifikationsturnieres erkämpfte sich das dänische Team von Sercodak Dalfsen, das den HCL-Halbfinalgegner Minsk mit 30:27 (14:15) bezwang. Die Ex-Leipzigerin Debbie Bont erzielte dabei einen Treffer.
HC Leipzig vs. FTC-Rail Cargo Hungaria Budapest 39:38 (n.V./ 7m-Werfen)
Qualifikationsturnier zur Champions League, Finale

HC Leipzig: Schülke, Roth – Kudlacz (10), Visser (8), Hertlein (5), Hubinger (5), Mazzucco (4), Schulze (4), A.Müller (3), Ioneac, Reimer, Rösike, Urbicht. Trainer: Norman Rentsch.
Budapest: Tomasevic, Szikora – Tomori (9), Szucsanszki (6), Pena Abaurrea (5), Steinbach (5), Verten (4), Kovacsicz (3), Pappné Szamoransky (3), Meszaros (1), Redei-Soos (1), Szarka (1), Cifra, Faluvegi, Toth, Lukacs. Trainer: Gabor Elek.

Schiedsrichter: Branka Maric (SRB)/ Zorica Masic (SRB). Siebenmeter: HCL 2/2 (Visser 2/2), Budapest 4/4 (Pena Abaurrea 4/4). Zwei-Minuten-Strafen: HCL 2x (A.Müller, Schulze), Budapest 5x (Tomori, Kovacsicz, Szarka, 2x Szucsanszki). Zuschauer: 2.171 in der Messehalle 1, Leipzig. Reguläre Spielzeit: 28:28. Verlängerung 34:34. Siebenmeterwerfen: 39:38.

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