Irgendwann darf man einfach ungeduldig werden im Freistaat Sachsen. Am 19. September 2011 hat die Bürgerinitiative gegen die neue Flugroute dem Chef der Sächsischen Staatskanzlei, Dr. Johannes Beermann, in Dresden im Beisein des Leipziger Landtagsabgeordneten Rolf Seidel (CDU) eine von 2.200 Betroffenen unterschriebene Petition "Nachtflugbeschränkungen am Flughafen Leipzig- Halle" übergeben. Und dann passierte nichts. Drei Jahre lang. Bis Dr. Lutz Weickert mal nachfragte.

Hätte ja sein können, die Petition ist einfach in der Ablage verschwunden.

Möglich ist, dass sie tatsächlich so lange in einem Aktenordner schmorte. Der Petitionsausschuss des Landtages scheint sich jedenfalls nicht damit beschäftigt zu haben. Und geantwortet hat jetzt auch nicht Johannes Beermann, sondern der Minister für die Verkehrsbelange, Sven Morlok (FDP). Oder genauer: eine seiner Sachbearbeiterinnen.

Und die Antwort macht deutlich, dass sich die Mitteldeutsche Flughafen AG schwertut, eine sinnvolle Kommunikationslinie zu finden. Man meldet praktisch jeden Ferienflieger – aber das, was die Flughafen-Anrainer wirklich interessiert, behält man für sich. Über die Fluglärmkommission wird es auch nicht kommuniziert. Die erweist sich gerade am Flughafen Leipzig/Halle eher als arbeitsunwilliges Anhängsel, in dem sich die vertretenen Interessengruppen gegenseitig ausbremsen.

Etwa beim Thema Bonusliste. Das ist eine Liste von Flugzeugen, die das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVBI) regelmäßig veröffentlicht und die jene moderneren Flugzeugtypen auflistet, die wichtige Lärmgrenzen einhalten. Seit Jahren haben Leipzigs Fluglärminitiativen darum gekämpft, dass diese Bonusliste auch am Airport Leipzig/Halle zur Anwendung kommt. Und was der Flughafen selbst nicht verriet, der Minister verrät es jetzt: Seit dem 1. Juli gilt am Flughafen Leipzig/Halle eine neue Entgeltordnung, die die Entgelte auch danach staffelt, ob ein Flugzeug auf der Bonusliste steht oder nicht.

Das war vorher nicht der Fall.

Das Landeentgelt für Flugzeuge, die auf der Bonusliste stehen, beträgt nun 6,40 Euro pro angefangene Tonne Startmasse. Was zum Beispiel für den Airbus A 300 ein Landeentgelt von rund 900 Euro bedeuten würde.

Flugzeuge, die wie die Antonov 124, nicht draufstehen, müssten mit 15,14 Euro je Tonne berechnet werden, was für diesen Riesenvogel über 5.000 Euro je Start bedeuten würde. Aber wer die Entgeltordnung durchscrollt, findet dann wieder ein Instrument, das die Kosten dämpft: eine Rabatt-Liste für Mindesttransportmengen, die bei 2,2 Millionen Tonnen beginnt. Das heißt: Die großen Frachtgesellschaften bekommen Gebühren erlassen. Und zwar besonders stark bei den Flugzeugen, die nicht auf der Bonusliste stehen (Chapter IV).

Aus der Sicht des sächsischen Verkehrsministers ist das trotzdem zielführend: “Die Bonusliste wurde aufgestellt, um den Flughäfen der Bundesrepublik die Erhebung differenzierter lärmabhängiger Landeentgelte zu ermöglichen. In diesem Sinne wird die Liste am Flughafen Leipzig/Halle für die Staffelung der lärmabhängigen Flughafenentgelte angewendet. Damit begünstigt der Flughafen den Einsatz lärmarmer Flugzeugtypen. Die Bonusliste gilt am Tag und in der Nacht gleichermaßen. Für Betriebsbeschränkungen ist die Anwendung der Bonusliste keine Rechtsgrundlage.”
Heißt klipp und klar: Flugzeuge, die nicht auf der Bonusliste stehen, dürfen weiterhin starten und landen. Tag und Nacht.

Aber so viele laute Maschinen seien es ja gar nicht mehr, meint das Verkehrsministerium.

“Es wird weitestgehend Fluggerät eingesetzt, das den Lärmwerten der International Civil Aviation Organization (ICAO) Annex 16 Kapitel 4 entspricht oder aber die Lärmwerte des ICAO Annex 16 Kapitel 3 deutlich unterschreitet. Zum Schutz der Bevölkerung in der Umgebung des Flughafens Leipzig/Halle vor Fluglärm wurde die Flotte der Airbus A300-B4 durch Fluggerät des Typs Airbus A 300-600 (18 Flugzeuge) ersetzt, das ebenfalls die Anforderungen des ICAO Annex 16 Kapitel 4 erfüllt. Der Flottenaustausch wurde bereits Ende 2013 abgeschlossen. Bis Ende 2015 sollen auch die noch im Einsatz befindlichen sechs Flugzeuge des Typs Antonov AN 26 gegen deutlich lärmleiseres Fluggerät ausgetauscht werden.”

Nach den Zahlen, die Morlok der Bürgerinitiative zugearbeitet hat, hat sich die Zahl der Einsätze der AN 12 von 109 im Jahr 2010 auf 16 im Jahr 2013 verringert, die der AN 26 von 2.019 auf 375, die der AN 124 von 154 auf 45. Die Zahl der Flüge der Lockheed L-188 ist von 142 im Jahr 2010 auf 502 im Folgejahr erst einmal angestiegen, sank dann 2013 wieder auf 138.

Umfassend hat das Verkehrsministerium die Maßnahmen zum passiven Schallschutz aufgelistet, wobei schon erstaunlich ist, dass sieben Jahre nach der Eröffnung der Startbahn Süd von 7.176 anspruchsberechtigten Anträgen erst 43,8 Prozent realisiert sind. In Arbeit befänden sich 19,1 Prozent, bei 37,1 Prozent seien die Antragsunterlagen der Antragsteller noch unvollständig.

Trotzdem meint das Verkehrsministerium: “Der Flughafen Leipzig verfügt über das deutschlandweit anspruchsvollste Lärmschutzkonzept.”

Ein Konzept aber ist etwas, was im Aktenordner liegt, und noch nicht die Umsetzung.

“Das Gesamtvolumen des Schallschutzprogramms der Flughafen Leipzig/Halle GmbH beläuft sich auf 45.500.000 Euro”, betonte das Ministerium noch. Aber wenn erst 43,8 Prozent der Anträge auch umgesetzt wurden, liegt ein Großteil des Geldes noch auf dem Konto.

Da und dort wird auch im Umfeld des Flughafens ein Projekt zum Schallschutz umgesetzt. Etwa die Erstaufforstung eines Lärmschutzwaldes nördlich von Modelwitz, dessen Aufforstung im Frühjahr 2015 beginnen könnte.

Zur Bürgerinitiative:
www.fluglaermleipzig.de

Die neue Entgeltordnmung des Flughafens Leipzig / Halle
www.leipzig-halle-airport.de/mediapool/entgeltordnung_teil_i_iii_aviation_stand_01.06.2013.pdf?t=48r6kj99fdgkowgw0os4cgcsc

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