Eins ist zumindest allen Betroffenen klar: Ein gut organisierter Weg zu Beruf und Karriere ist das sächsische Bildungssystem nicht. Und klar ist auch: Die wichtigen Weichenstellungen, der sächsischen Wirtschaft die dringend benötigten Nachwuchskräfte zu sichern, sind nicht erfolgt. Die fünfjährige Regierung von CDU und FDP in Sachsen ist am Ende wieder eine Zeit der politischen Verweigerung gewesen. Die Wirtschaft kritisiert das. Ganz zurückhaltend.

Am 25. August veröffentlichte die IHK zu Leipzig die Zahlen einer Unternehmensbefragung, die der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zum Thema Ausbildung bundesweit gestartet hatte. Vom 21. Mai bis 13. Juni 2014 konnten sich Firmen online zu ihren Ausbildungsplänen und -motiven äußern. Im IHK-Bezirk Leipzig (Stadt Leipzig, Landkreis Nordsachsen, Landkreis Leipzig) taten dies 99 Unternehmen. Deutschlandweit nahmen mehr als 12.000 Betriebe teil.

Und auch wenn die Beteiligung aus dem Kammerbezirk – mal positiv formuliert – recht überschaubar ist, bestätigt sie einen Trend: Mit den Schülern ohne Schulabschluss, die aus Sachsens Schulen kommen, kann die Wirtschaft nichts anfangen. Der Nachwuchsmangel spitzt sich zu.

“Der Stellenwert der Ausbildung als wirksames Mittel, den Fachkräftebedarf im eigenen Unternehmen zu sichern, ist nochmals gestiegen. Die Auswirkungen des Bewerbermangels bekommen noch mehr Unternehmen noch deutlicher zu spüren”, drückt Rita Fleischer, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der IHK zu Leipzig, das Problem aus, das sich seit 2009 verstärkt hat. “Entsprechend haben die Unternehmen bei ihren Maßnahmen, um auf den Bewerbermangel zu reagieren, im Vergleich zum Vorjahr eine Schippe draufgelegt. Ein gutes Zeichen: Obwohl immer noch zu hoch, ist der Anteil der Unternehmen, die bei den Jugendlichen unklare Berufsvorstellungen als Ausbildungshemmnis bemängeln, zurückgegangen. Die vielfältigen Berufsorientierungsmaßnahmen der regionalen Bildungsakteure scheinen zu fruchten. Ein guter Weg, den wir weiter konsequent gemeinsam im Sinne der dualen Berufsausbildung gehen müssen.”

In der Wirtschaft werden die jungen Leute gebraucht, denn seit 2010 sind die halbierten Geburtenjahrgänge von 1992 und folgende in der Berufsausbildung angekommen. Das heißt: Es gibt für alle Branchen weniger Bewerber. Und in den vergangenen vier Jahren war sogar noch eine Art Schonzeit für die Unternehmen, denn mit seiner Personalkürzungspolitik hat der Freistaat Sachsen sein Personalproblem nur in die Zukunft verschoben. Ab 2015 schlägt dort die Überalterung aber in allen Ministerien zu. Die Polizei hat jetzt schon Probleme, genügend Nachwuchs zu finden, Justiz und Finanzministerium beginnen gerade ihre Akquise.

Und trotzdem verlassen noch immer rund 10 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss. Ein Fakt, der in den vergangenen fünf Jahren hätte geändert werden können.

Die Bereitschaft der Unternehmen, weiterhin mehr Ausbildungsplätze anzubieten, ist den Antworten der 99 teilnehmenden Betriebe zufolge größer geworden, 21,1 Prozent dieser Betriebe wollen “mehr ausbilden”. Im Vorjahr waren das 13,7 Prozent. 57,9 Prozent der Unternehmen halten ihr Ausbildungsengagement aufrecht. (Vorjahr: 65,2%). Insgesamt halten 79 Prozent ihr Ausbildungsengagement aufrecht oder steigern es.

Weil sie natürlich alle wissen: Nur so können sie ihren Fachkräftebedarf sichern.

Für 94,9 Prozent der antwortenden Unternehmen ist das Hauptmotiv die Sicherung gut ausgebildeter Fachkräfte. Bei mehr als der Hälfte (54,1 Prozent) hat die Ausbildung Tradition und fast ebenso viele Unternehmen (51 Prozent) wollen mit der Ausbildung einen Beitrag für die Gesellschaft leisten.

Aber dann fangen die Kümmernisse an.Nur 58,9 Prozent der antwortenden Unternehmen konnten alle angebotenen Ausbildungsplätze besetzen. Dieser Anteil ist deutlich gesunken. 2013 waren das noch 68,4 Prozent. Fast alle dieser Unternehmen (90,9 Prozent) gaben als Grund das Fehlen geeigneter Bewerbungen an. Im Vorjahr waren das noch 67,4 Prozent. Bei 18,2 Prozent (Vorjahr: 16,3 Prozent) der Unternehmen lag der Grund für die Nichtbesetzung darin, dass der Ausbildungsplatz von den Auszubildenden nicht angetreten wurde. Was natürlich bedeutet: Die jungen Leute haben die Wahl – und können dann den Ausbildungsplatz aussuchen, der ihnen besser gefällt.

Für die Unternehmen heißt das: Sie kämpfen um einen deutlich geschrumpften Pool an jungen, ausbildbaren Leuten. Mit Betonung auf ausbildbar.

Fast zwei Drittel der Unternehmen (60,4 Prozent), die sich an der Umfrage beteiligten, registrieren rückläufige Bewerberzahlen und sehen Handlungsbedarf.

Heißt natürlich für die Unternehmen: Sie müssen um den Nachwuchs viel früher werben, möglichst noch während der Schulzeit, wenn die jungen Leute sich noch orientieren. 60,3 Prozent der Unternehmen (Vorjahr: 38,1 Prozent) reagiert bei der Gewinnung von Auszubildenden auf die rückläufigen Bewerberzahlen mittlerweile mit dem Anbieten von Praktikumsplätzen.

Verdoppelt hat sich laut Umfrage der Anteil der Unternehmen – von 24,5 Prozent im Vorjahr auf aktuell 50,0 Prozent – die angeben, durch die Erschließung neuer Bewerbergruppen (z.B. Studienabbrecher) auf die zurückgegangenen Bewerberzahlen zu reagieren.

In einem verbesserten Ausbildungsmarketing sehen 44,8 Prozent der antwortenden Unternehmen (Vorjahr: 29 Prozent) eine Möglichkeit, den rückläufigen Bewerberzahlen entgegenzuwirken. Zugenommen hat der Anteil der Unternehmen (29,3 Prozent), die mit einer verstärkten Kooperation mit den Schulen auf die rückläufigen Bewerberzahlen reagieren (Vorjahr: 21,3 Prozent).

Was aber noch immer nicht die Tatsache aus dem Weg räumt, dass 10 Prozent der Jugendlichen – in Leipzig sogar fast 15 Prozent – die Schule ohne Abschluss verlassen und die wichtigsten Grundlagen für eine qualifizierte Berufsausbildung nicht mitbringen.

Das ist kein normaler Wert. In NRW ist diese “Schulabbrecherquote” bei 5 Prozent.

Mehr als die Hälfte der Unternehmen (54,8 Prozent) stellt in der Befragung mittlerweile Ausbildungshemmnisse fest. Im Vorjahr waren das noch 49,7 Prozent. Das größte Hindernis ist und bleibt für 84 Prozent (Vorjahr: 82,1 Prozent) dieser Betriebe die mangelnde Ausbildungsreife vieler Schulabgänger. Die Mehrheit (58 Prozent) gibt an, dass die Schulabgänger zu unklare Berufsvorstellungen haben. Aber das zumindest ist ein Fakt, der sich durch das Bemühen der Unternehmen selbst mittlerweile bessert. Im Vorjahr waren das noch 70,5 Prozent. 28 Prozent der antwortenden Unternehmen leiden darunter, dass sich die Auszubildenden trotz eines Übernahmeangebotes für einen anderen Betrieb oder Bildungsweg entscheiden.

Aber wesentlich schwerer wiegen die Probleme bei der mangelnden Ausbildungsfähigkeit.

Was die Ausbildungsreife der Schulabgänger betrifft, stellen die 99 Unternehmen insbesondere bei Leistungsbereitschaft und Motivation (57,1 Prozent), beim mündlichen und schriftlichen Ausdrucksvermögen (51 Prozent), bei Belastbarkeit (49 Prozent) und Disziplin (45,9 Prozent) Mängel fest.

Fast alle antwortenden Unternehmen (99 Prozent) geben an, die Eignung von Jugendlichen für den Betrieb über Bewerbungsgespräche festzustellen. Für drei Viertel von ihnen spielen die Schulzeugnisse in die Entscheidung hinein und für mehr als zwei Drittel (68 Prozent) sind Praktika der Weg, die potenzielle Eignung von Jugendlichen festzustellen.

Wenn die jungen Leute hier überzeugen, haben sie meist nicht nur den Ausbildungsplatz sicher, sondern auch gute Chancen, nach der Lehre auch übernommen zu werden. Die Übernahmebereitschaft der Leipziger Unternehmen ist hoch.

66 Prozent der an der Befragung teilnehmenden Unternehmen planen, 2014 voraussichtlich alle Auszubildenden zu übernehmen. Über dem Durchschnitt liegen Unternehmen aus Verkehr/Transport/Logistik (83,3 Prozent), Industrie (72,2 Prozent) und Banken/Versicherungen (71,4 Prozent).

Und dann kommt der Unternehmer durch in den Fragen zur Verantwortung: Wertevermittlung, so finden die Unternehmen, müsste in Schule und Elternhaus verstärkt werden. Das ist ein eigenes Thema, betrifft aber eben auch Dinge wie Leistungsbereitschaft und Disziplin.

Die IHK hat eine Liste erstellt mit Botschaften und Forderungen, die erfüllt werden müssten, damit die Nachwuchssicherung in Sachsen besser wird. Hier ist sie:

1. Chancen systematischer Berufsorientierung konsequent ausschöpfen

Um gegen mangelnde Ausbildungsreife, unklare Berufsvorstellungen sowie vorzeitige Ausbildungsabbrüche vorzugehen, sind eine wirksamere Berufsorientierung in den Schulen sowie dauerhafte Partnerschaften zwischen Wirtschaft und Schule notwendig. Eine frühzeitige, systematische, praxisbezogene Berufsorientierung sollte verbindlich und durchgängig in die Lehrpläne aller allgemeinbildenden Schulen in Sachsen verankert werden.

2. Ausbildungsreife erhöhen

Mangelnde Ausbildungsreife ist ein wesentlicher Grund, warum Unternehmen ihre freien Lehrstellen nicht besetzen können. Umso wichtiger ist es, die Mängel in der Ausbildungsreife der Jugendlichen durch alle gesellschaftlichen Akteure noch konsequenter zu bekämpfen. Die Vermittlung von Wissen und Werten ist eine Aufgabe, die in der Schule und im Elternhaus erfolgen muss und im Unternehmen fortgesetzt wird.

3. Duale Berufsausbildung als Alternative zum Studium stärken

Um das bewährte und im internationalen Vergleich erfolgreiche duale Berufsausbildungsmodell in seiner bisherigen Qualität zu erhalten, ist eine bessere Kooperation zwischen den dualen Ausbildungspartnern unerlässlich. Die IHK engagiert sich für den Austausch zwischen Betrieben und Berufsschulen.

Die duale Ausbildung ist die bewährte Quelle für den Fachkräftenachwuchs in Deutschland. Sie garantiert hochwertige, praxisnahe, bundesweit einheitliche berufliche Qualifizierung. Ihr Plus: Die Nähe zur Wirtschaft und zum praktischen Berufsalltag von Anfang an. Eine duale Berufsausbildung öffnet viele Türen, z. B. über einen Fortbildungsabschluss auch den Weg zum Hochschulstudium.

Vor diesem Hintergrund und angesichts einer Studienabbruchquote von 38 Prozent sollten auch Gymnasiasten verstärkt über die Möglichkeiten einer Berufsausbildung und die attraktiven Aufstiegswege in den Unternehmen informiert werden. Beispielsweise sind eine verkürzte Ausbildungszeit oder Modelle wie Kooperative Studiengänge und IHK-Praxisstudium interessante Optionen.

4. Unterstützung der IHK zu Leipzig nutzen

Berufsorientierung, Werbung für das duale Ausbildungssystem, Vermittlung zwischen Unternehmen und Jugendlichen etc.: Die IHK zu Leipzig bietet eine Vielzahl von Instrumenten, Services, Projekten und Veranstaltungen, um die Wirtschaft der Region bei der Fachkräftesicherung zu unterstützen.

www.leipzig.ihk.de

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