Während Dienstleistungsbranche und Industrie in Sachsen wachsen, hat ein Wirtschaftsbereich in Sachsen immer größere Probleme, sich seinen Nachwuchs zu sichern: die Landwirtschaft. Das war auch am Montag, 29. September, in Pillnitz Thema, wo der Präsident des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG), Norbert Eichkorn, die besten Auszubildenden in den land- und forstwirtschaftlichen Berufen des aktuellen Jahrgangs auszeichnete. Verschwinden jetzt die Bauern in Sachsen?

Das zumindest scheint zu drohen, wenn der Freistaat keine Lösung für die demografische und ökonomische Entwicklung auf dem Lande findet. Doch dort hat die sächsische Regierung in den letzten Jahren ganz ähnlich agiert wie in der Energiepolitik. Man hat den bestehenden Großstrukturen die politische Bühne gegeben und alle Entwicklungen zu einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft verschlafen. Oder zumindest zugelassen, dass es so kam. Das Ergebnis sind dominierende industrielle Großbetriebe, die sich auf einige wenige, mit wenig Arbeitskraft zu erzeugende Produkte beschränkt haben, diese aber dafür in Massen produzieren. Arbeitskräfte braucht man da schon – aber in diesen Strukturen entstehen keine attraktiven, wenigstens gut bezahlten Arbeitsplätze.

Ein echtes Dilemma, das Eichkorn am Montag zumindest erst einmal in Zahlen faste.

Die Zahl der jungen Leute, die eine Ausbildung in der Land- und Forstwirtschaft beginnen, wird von Jahr zu Jahr kleiner. In den Berufen Landwirt, Tierwirt, Gärtner, Pferdewirt, Fachkraft Agrarservice und Forstwirt ging die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse von 724 im Ausbildungsjahr 2005/06 auf 365 im Ausbildungsjahr 2013/14 zurück. Das stellt die Betriebe vor große Probleme, so Eichkorn. Einem Fachkräfte-Monitoring zufolge seien pro Jahr mindestens 525 neue Fachkräfte nötig, um die ausscheidenden Mitarbeiter in den genannten Berufen ersetzen zu können. Ein Grund für die sinkende Zahl der Auszubildenden sei der demografiebedingte Rückgang der Zahl der Schulabgänger, schätzt das LfULG ein. Verschärft werde die Situation durch den Wettbewerb mit den Unternehmen anderer Branchen bei der Suche nach Auszubildenden.

“Wir müssen den Fachkräftebedarf in den Grünen Berufen in Zukunft absichern, um die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der sächsischen Landwirtschaft zu erhalten”, sagte Eichkorn. Der Freistaat habe den Rahmen für eine hohe Attraktivität und Qualität der Ausbildung in Land- und Forstwirtschaft geschaffen.Aber zur Attraktivität eines Berufes gehört eben auch ein attraktiver Lebensraum. Da hilft auch der schönste Job auf dem Traktor nichts, wenn die Region so nach und nach ihre Versorgungseinrichtungen verliert und nicht mal eine Strategie der Staatsregierung sichtbar wird, wie sie die Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen nachhaltig gestalten will. Denn junge Bauern sind in der Regel auch Familiengründer. Oder soll Sachsen zu einem neuen Tummelplatz für die Fernsehserie “Bauer sucht Frau” werden?

Wolfram Günther, der neue agrarpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, macht für die Entwicklung zweierlei verantwortlich: “Ein Faktor ist die Dominanz der Agrarindustrie in Sachsen. Großbetriebe bauen meist nur die am wenigsten arbeitsintensiven Kulturen Getreide und Raps an und beschäftigen nur wenige Menschen. Etliche erhalten nur einen Hungerlohn und werden im Winter in die Arbeitslosigkeit geschickt. Das schreckt Auszubildende natürlich ab. Ein zweiter Grund ist die ideenlose Politik der Staatsregierung für den ländlichen Raum. Junge Leute wollen ein Leben mit Perspektive. Sie wollen nicht dort leben, wo es kaum noch Gleichaltrige gibt und das kulturelle Highlight der abendliche Treff an der Bushaltestelle ist.”

Selbst die Zahlen aus dem Statistischen Landesamt erzählen von der massiven Abwanderung junger Menschen aus Sachsens ländlichen Räumen in die Großstädte. Ein Trend, der sich in den letzten beiden Jahren sogar noch verstärkt hat. Wenn man denn die Politiker der letzten Regierungskoalition zum Thema mal gehört hat, dann war es eher ein ausgesprochenes “Null Problemo!”, das da zu vernehmen war. Man findet sich ab mit der Entwicklung und scheint nicht einmal die wirtschaftlichen Konsequenzen wahrnehmen zu wollen.

Denn der nachhaltige Umbau steht längst auf der Tagesordnung. Das wird mit den industriellen Agrar-Strukturen so nicht funktionieren. Das braucht fachliche Begleitung und Kompetenz vor Ort. Nur: Wer hat die noch, wenn jetzt der so dringend gebrauchte Nachwuchs ausbleibt?

“Ländliche Regionen bieten viele Vorzüge. Umweltqualität, soziale Teilhabe und Zusammenhalt machen ländliche Regionen lebenswert”, sagt Günther und erinnert daran, dass die Schwerpunkte für die Investitionen in ländliche Räume in den vergangenen Jahren in Sachsen völlig falsch gesetzt waren. “Wir Grünen wollen in diese Stärken investieren, nicht in überdimensionierte Straßen, Massentierhaltungsanlagen und Landschaftszerstörung durch Braunkohleabbau. Nur so wird es gelingen, junge Menschen für Arbeit und Leben auf dem Land zu gewinnen.”

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar