Einen etwas verhaltenen Jubel unterstellte die L-IZ am 15. Dezember, als der Leipziger City-Tunnel in Betrieb ging, dem Sprecher für Landesentwicklung und Infrastruktur der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, Enrico Stange. Aber ich hab mich doch gefreut, widersprach er. Und stellte dann trotzdem fest, dass die Freude getrübt ist.

“Meine Freude über die Inbetriebnahme des S-Bahn-Netzes ist durchaus nicht verhalten”, schreibt er anschließend der L-IZ. “Schließlich geht es um den Zugewinn an Mobilität und Lebensqualität, und das für Hunderttausende in der Gesamtregion. Mit dem S-Bahn-Netz und seinem Tunnel bekommt der SPNV/ÖPNV einen gewaltigen Schub.”

Nicht nur einige Redner zeigten sich am Vortag der offiziellen Betriebsaufnahme, am 14. Dezember, geradezu trunken von der neuen technischen Errungenschaft. In einigen Medien wurde geradezu ausgelassen gefeiert und gejubelt. Als wäre mit der Betriebsaufnahme alles wieder in Butter. Doch die Wahrheit ist: Ein ganzes Bündel von Problemen ist weiter ungeklärt.

“Allerdings müssen sich künftig alle, die gestern die Lobeshymnen angestimmt haben bei der Großen Bühnen-Show im Hauptbahnhof (… kalt war es …), darauf besinnen, die Finanzierung zu sichern”, erklärte Stange. “Dr. Grube von der Bahn und Arthur Stempel als sein Statthalter stehen in der Verantwortung über ein transparentes Stations- und Trassenpreissystem auch zu offenbaren, wie sie die Preise errechnen und mit welcher betriebswirtschaftlichen Begründung.”

2011 sorgte das Thema Stationspreise im Zweckverband Nahverkehr Leipzig (ZVNL) für Aufregung: Im Gefolge der Mittelkürzungen durch den Sächsischen Verkehrsminister sah sich der ZVNL gezwungen, mehrere S-Bahn-Angebote abzubestellen. Darunter war auch die S 1 nach Grünau. Im Gegenzug erhöhte die Deutsche-Bahn-Tochter DB Station und Service die Stationsentgelte in Leipzig, um das Geld auf diese Weise wieder hereinzubekommen.

Nicht der einzige Vorgang im deutschen Streckennetz. Ähnlich hatte die Bahn-Tochter seit 2005 an vielen Bahnhöfen Deutschlands agiert. Einige betroffene Unternehmen und Zweckverbände hatten daraufhin geklagt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin bestätigt, nach dem die überteuerten Entgelte zurückgezahlt werden müssen.

Die L-IZ fragte nach der Berichterstattung dazu in der “Süddeutschen Zeitung” vom 27. November direkt beim ZVNL an. Doch die Antwort war dann ziemlich lakonisch: “Nein, der ZVNL hat nicht geklagt.” Die logische Folge: Ein rückforderbarer Betrag kann nicht benannt werden, weil eine entsprechende Klage nicht erhoben wurde.

Und ob die Stationsentgelte nun, da wieder mehr Betrieb auf den Gleisen im ZVNL-Gebiet ist, gesenkt werden, könne man auch nicht sagen, “da dies eine Sache zwischen DB Station&Service und der Bundesnetzagentur ist. Aufgabenträger haben keinen Einfluss auf die Stationspreise.”

Womit man wieder eines dieser erfreulichen Spiele über Bande hat, bei dem die Bahnnutzer unten auf dem Bahnsteig wirklich nicht mehr wissen, wer hier für was zuständig ist und wem die ausufernden Kosten eigentlich anzulasten sind.Ungeklärt ist auch noch, ob der Freistaat Sachsen ab 2014 wieder einen größeren Anteil der so genannten Regionalisierungsmittel an die Zweckverbände weiter reicht. Man darf nicht vergessen: Mit den Doppelhaushalten ab 2010 wurden zweistellige Millionensummen aus diesen Regionalisierungsmitteln, die eigentlich dafür gedacht sind, den Schienennahverkehr zu bezahlen, im sächsischen Haushalt zurückbehalten.

“Und das Land muss selbstverständlich die Regionalisierungsmittel wieder in vollem Umfang an die Aufgabenträger durchreichen”, betont Enrico Stange. “Fakt ist aber, dass das S-Bahn-Netz und der Tunnel jetzt Realität sind, die S1 auch wieder in Betrieb gegangen ist – von den einstigen Stilllegungsgegnern übrigens mit keiner Silbe gewürdigt oder bedacht – und damit der S-Bahn-Verkehr ein tatsächlich deutlich besseres Niveau erreicht hat. Es ist müßig, weiterhin die Kostensteigerungen weiterhin im Fokus zu haben. Die Kritik war berechtigt. Allerdings geht es heute um ganz andere Fragen. Es bleibt auch Aussage gegen Aussage, ob nun die Milliarde gerissen wurde. Wen wird das in vier Monaten noch interessieren?”

Die Kürzung der Regionalisierungsmittel hat nicht nur den ZVNL in Bedrängnis gebracht. Im November wurde die Entscheidung der Verbandsversammlung des Verkehrsverbunds Oberelbe (VVO) bekannt, die Strecke Meißen – Nossen ab Dezember 2015 – aus Finanzierungsgründen – einzustellen. Enrico Stange: “Dieses Dilemma, in dem die SPNV-Macher in Sachsen stecken, kann nur politisch aufgelöst werden. Die falsche Verkehrspolitik des Freistaates und deren Umsetzung in der ab 2015 geltenden neuen Finanzierungsverordnung für den ÖPNV in Sachsen (ÖPNVFinVO) mit den darin enthaltenen verheerenden Zuschuss-Kriterien für den Zugverkehr in Sachsens Regionen gehört auf den Prüfstand und muss dringend geändert werden. Die künftige ÖPNV-FinVO muss revidiert werden. – Aber auch die Kommunale Ebene wird ihren Druck auf den Freistaat Sachsen und den FDP-Verkehrsminister erhöhen müssen, um eine Verbesserung der Finanzierungs-Rahmenbedingungen zu erreichen.”

“Die massiven Kürzungen im ÖPNV-Bereich, die die schwarzgelbe Regierung in Sachsen seit 2010 betreibt, fordern schon jetzt erste Opfer”, hat der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Mario Pecher, im Dezember festgestellt: “So wird der Personenverkehr auf der Strecke Döbeln – Meißen ab Ende 2015 eingestellt. Vielen weiteren Strecken in Sachsen droht ein ähnliches Schicksal. Folgt man dem Landesverkehrsplan 2025, stehen etliche Strecken in ganz Sachsen zur Disposition. Wenn wir jetzt nicht eingreifen, wird es einen Domino-Effekt geben, an dessen Ende der ländliche Raum komplett vom Schienenverkehr abgekoppelt sein wird.”

15 Linien listete er auf, die laut Landesplan bis 2025 von der Stilllegung bedroht sind. Und es muss noch einmal betont werden: Die Streckenstilllegungen in Sachsen erfolgen nicht wegen Nachfragemangels – das ist ganz ähnlich wie bei den Studienfächern, die an Sachsens Hochschulen gestrichen werden – sondern wegen der gekürzten Zuweisungen aus den Regionalisierungsmitteln.

Dass da am Projekt City-Tunnel einiges schlicht “vergessen” wurde, gehört dabei eher zu den kleineren Problemen. Enrico Stange: “Interessanter ist, wann der stadtwärtige Tunnelzugang in Leipzig barrierefrei sein wird. (Wer da nicht alles gepennt hat … Planung bei Deges, Stadt, Bauausschuss, beteiligte Betroffenenverbände …).”

Aber war da nicht eine verheißungsvolle Vision, Leipzig mit dem City-Tunnel ans Fernstreckennetz besser anzubinden? – Enrico Stange: “Ausschließlich der Sächsische CDU-Wirtschaftsminister Kajo Schommer fabulierte den Fernverkehr durch den Tunnel. Wegen der Konkurrenz zur VDE-8-ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse Berlin-Halle-Erfurt-Nünberg-München war der Tunnel von Anfang an als Nahverkehrstunnel geplant. Einzig Schommer hoffte und vermittelte den Eindruck, wenn der Tunnel fertig wäre, würde er schon Fernverkehr organisiert bekommen. Ein Trugschluss. Die Bedeutung des Tunnels hängt aber nicht am Fernverkehr. Es geht um die regionalverkehrliche Erschließung und den Zusammenhalt einer Region. Damit wird erstmals in Grundzügen ersichtlich, wie eine Metropolregion Mitteldeutschland verkehrlich organisiert werden kann/muss.”

Und weil das ganze Tarifdickicht so intransparent ist, hat Enrico Stange im Dezember schon mal zwei Anfragen dazu an die Sächsische Staatsregierung formuliert – eine zu den Trassenpreisen der Bahn und eine ganz speziell zu den Stationspreisen im Tarifgebiet des ZVNL.

Enrico Stanges Anfrage zu den Trassenpreisen in Sachsen: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=13172&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=201

Enrico Stanges Anfrage zu den Stationsentgelten im ZVNL: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=13173&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=201

Die “Süddeutsche” zu den überhöhten Stationsentgelten: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/entscheidung-des-bundesgerichtshofs-deutsche-bahn-muss-ueberteuerte-stationsentgelte-erstatten-1.1828979

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