Es wird wohl als eine der kleinen und letztlich kuriosen Scharaden im Leipziger Stadtrat im Gedächtnis bleiben. Am 9. Dezember hatte der Wirtschaftsausschuss den Stadtentwicklungsplan Verkehr (STEP) in erster Lesung in der Runde. Seit drei Jahren in allen verfügbaren Gremien besprochen, mit Bürgerbeteiligung verfeinert und seit Anfang des Jahres in seinen Ergebnissen bekannt, befasste sich spät aber immerhin auch dieser Ausschuss mit den Unterlagen und stellte fest, dass weiterer Redebedarf besteht.

Nach Jens Herrmann-Kambach (Linke) ein schlichtes Bubenstück und ein Schlag ins Gesicht der am Prozess beteiligten Bürger, Verbände, Stadträte und Verwaltungsmitarbeiter.

Der Gesprächsbedarf – letztlich der Vollversammlung der IHK und der CDU – über die Ziele im STEP kann nun am 6. Januar bei der nächsten Sitzung befriedigt werden, nachdem am 10. Dezember der Beschluss im Rat deshalb vertagt wurde und sich am 18. der neue Stadtrat und damit auch neue Ausschüsse konstituieren. Der Grund für all das?

Nach Herrmann-Kambach gibt es keinen. “Die jetzt von der CDU-Fraktion aufgeführten Gründe für die Absetzung der Vorlage sind schlicht Heuchelei.

Statt den Kammern und Wirtschaftsvertretern den STEP Verkehr sachlich zu erläutern und darzustellen – so z. B., dass die im Rahmen des Klimaschutzprogramms der Stadt Leipzig schon beschlossene Zielstellung des Modal-Split für 2025 eben nicht den Wirtschaftsverkehr beinhaltet – wurden bewusst Unsicherheiten bestärkt und Unruhe erzeugt.”

Übersetzt, die CDU scheint gerade den verlängerten Arm einer verunsicherten IHK-Vollversammlung zu spielen, welche wiederum aus der LVZ erfuhr, dass man im STEP Speditionen und andere Unternehmen offenbar in der Geschäftstätigkeit via Automobil behindern möchte. Befasst haben sich einige mit der Frage offenbar auch erst recht spät und in hoher Eile. Und so verknüpfte man den sogenannten “Wirtschaftsverkehr” mit der privaten Autonutzung. Auf den ersten Blick logisch – fahren doch beide auf den Straßen der Stadt. Nur diese sind eben auch dann nicht dehnbar, wenn die Gesamtmasse des Verkehrs weiter ansteigt.
Der Salto kurz vor der Beschlussfassung am gestrigen 10. Dezember kann für Herrmann-Kambach nur einen Grund haben: “Man will keine Stärkung des Umweltverbundes, keine Klima- und Lärmschutzprogramme, man will eine autogerechte Stadt!”

Vielleicht aber ist es auch ganz anders und die CDU sucht gerade verzweifelt nach einem Weg, wie man im Modal Split die private Pkw-Nutzung noch mehr zugunsten der Rad- und Straßenbahnnutzung verschieben kann, um mit attraktiven Angeboten die eine oder andere Strecke im Privat-Pkw überflüssig zu machen? Damit die Straßen endlich freier werden für die Leipziger Unternehmer unter Zeitdruck? Man weiß es nicht, dies wird sich erst in der nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses zeigen müssen.

Bis dahin bleibt die eher naheliegende Vermutung des Linken-Stadtrats (seit gestern A.D), eine “autogerechte Stadt” durchdrücken zu wollen. “Das Resultat einer (…) ungebremsten Zulassung des individuellen Autoverkehrs bei einer anvisierten Einwohnerzahl von 600.000, sind hoffnungslos verstopfte Straßen, die Belegung jeder freien Parkfläche, verschlechterte Umweltbedingungen und Lebensqualität. Wie sich unter diesen Bedingungen die Wirtschaft entwickeln kann, erschließt sich wohl nur der Kompetenz von CDU, FDP und SPD.” Letztere Fraktion war kurz vor der Ratssitzung am 10. Dezember eingeschwenkt und kurzfristig auch für eine Verschiebung der Abstimmung.

Doch was Jens Herrmann-Kambach fast noch mehr aufzuregen scheint, ist der damit sichtbar werdende Umgang mit den anderen Verbänden und ehrenamtlichen Teilnehmern an den verschiedenen Gesprächsrunden und dem Bürgerwettbewerb “Ideen für den Stadtverkehr”.

So sei “die Absetzung des Stadtentwicklungsplanes Verkehr und öffentlicher Raum in der gestrigen Stadtratssitzung für die Fraktion Die Linke ein Schlag ins Gesicht all jener Bürgerinnen und Bürger, welche sich im Rahmen des Bürgerwettbewerbs `Ideen für den Stadtverkehr` mit über 600 Hinweisen, Vorschlägen und Ideen eingebracht haben. Seit 2011 haben zahlreiche ehrenamtliche Teilnehmer ihre Ideen am Runden Tisch Verkehr eingebracht und gemeinsam um Kompromisslösungen gerungen. Gutachter haben mit fundierten Beiträgen die Diskussion zum neuen STEP Verkehr begleitet und immer wieder angestoßen. Zahlreiche Bürger haben ihre Zeit an Samstagen `geopfert`, um aktiv an Workshops zu einzelnen Themen des STEP beteiligt zu sein.”

Auch die mitwirkenden ehrenamtlichen Stadträte und Mitarbeiter der Verwaltung, welche ” … sogar teilweise ihre Freizeit für diese aktive Bürgerbeteiligung eingebracht …” haben, können nun gebannt auf den Ausschuss am 6. Januar blicken. Denn dann scheinen einige wenige Interessenvertreter quasi auf der Zielgeraden noch eine Richtungsänderung zu versuchen.

Vielleicht sogar zum Schaden der Unternehmer, welche auch zukünftig darauf angewiesen sein werden, ihre Zeit in den kommenden Jahren nicht im Stau zwischen Wahren und Meusdorf zu verbringen. Aber vielleicht sitzen die nächsten Stadträte dann schon wieder zusammen und denken über den STEP Verkehr nach, welcher irgendwann mal beschlossen werden sollte …

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