Sicher wird es noch viele Diskussionen geben um den am Donnerstag, 24. August, vorgestellten Aktionsplan der Leipziger Wirtschaftskammern. Nicht weil er umsetzbar wäre. Der Traum vom Mittleren Ring ist schon 2014 gescheitert, als der Stadtrat mit der Neufassung des Flächennutzungsplanes auch das Aus für zwei große Teilstücke des Mittleren Ringes beschloss. Ein wesentlicher Grund: der Naturschutz.

Ein Thema, das natürlich auch den Ökolöwen bewegt. Denn sowohl ein weiterer Ausbau des Mittleren Ringes als auch eine Aufweitung des sogenannten Tangentenvierecks würde wertvolle Naturschutzgebiete in Leipziger dezimieren.

Logisch, dass die Umweltschützer regelrecht entsetzt sind.

„Leipzigs Wirtschaftsverbände blasen wiederholt zum Angriff auf Leipzigs Grüne Lungen. Diesmal wollen sie mit einem 2-seitigen Papier in modernem Anstrich längst eingemottete Schnellstraßenpläne quer durch den Auwald, den Clara-Zetkin-Park, das Rosental und weitere Parkanlagen reaktivieren. Mit einem Fond, gespeist aus den Zwangsgebühren der Mitglieder, wollen sie die Planungen vorantreiben“, warnt Tino Supplies, verkehrspolitischer Sprecher des Ökolöwen, vor der sogenannten „Initiative Mobilität 700plus“, die die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer und die Ingenieurkammer diese Woche gestartet haben.

Die Summe aus Ökolöwen-Sicht: „Konkret fordern die Verbände eine Schnellstraße quer durch das Naturschutzgebiet im Auwald südlich des Wildparks sowie eine Verbreiterung der Karl-Tauchnitz-Straße durch den Clara-Zetkin-Park zwischen Musikviertel und Bachviertel. Des Weiteren wollen die Verbände eine Schnellstraße als Tangente durch das Rosental nördlich des Waldstraßenviertels. Darüber hinaus fordern sie eine weitere Schnellstraße durch den Stünzer Park und den Wilhelm-Külz-Park im Leipziger Osten. Auch im Naturschutzgebiet im Nördlichen Auwald neben dem Auensee wollen die Kammern von Leipzigs Steuerzahlern eine Schnellstraße gebaut bekommen. Letztere soll weiterführend mitten durch das Wohngebiet an der Auenseestraße in Leipzig-Wahren geschlagen werden. Die Hauseigentümer sollen dort enteignet werden. Gleiches gilt für die gesamte Kleingartenanlage entlang der S-Bahn in Lößnig. Auch diese grüne Oase soll aus Sicht der Kammern einer Schnellstraße weichen.“

In Teilen bauen die Pläne für ein Leipziger Ringsystem auf Plänen der 1920er Jahre auf, in denen damals für eine Millionenstadt geplant wurde. Mit einem wesentlichen Unterschied, der den heutigen Akteuren gar nicht mehr bewusst ist. Denn damals befand sich die komplette Messe noch im Innenstadtbereich – mit den beeindruckenden Messehäusern in der City und dem Gelände der technischen Messe. Man musste also schon deshalb innerstädtisch eine enorme Logistik bewältigen. Dazu kam, dass sich auch die komplette Industrie noch im städtischen Bereich befand – im Leipziger Westen genauso wie im Norden und Osten. Heute sind gerade diese Areale der ideale Bauplatz für neue Wohnungen, auch wenn viele dieser alten Industriebrachen tatsächlich noch brachliegen. Damit aber ist spätestes mit dem Verlust von 90 Prozent der Leipziger Industrie auch der innerstädtische Wirtschaftsverkehr verschwunden. Der – auch das ist ja schon fast vergessen – auch zu großen Teilen über die damals noch existierenden Schienensysteme lief.

Heute befindet sich Leipzigs Industrie fast komplett am Stadtrand und hat dort beste Verbindungen zum Autobahnring. Die Verlagerung der großen Unternehmensansiedlungen in den Nordraum wird auch von den dort tätigen Unternehmen als kluger Schachzug gewürdigt.

Deswegen entstehen die Leipziger Verkehrsprobleme auch nicht durch Wirtschaftsverkehr, sondern durch ein überproportionales Wachstum des privaten Autoverkehrs. Ein Problem, das sämtliche deutsche Großstädte haben – die westdeutschen noch viel mehr als die ostdeutschen. Dass man dafür Lösungen braucht – keine Frage. Denn die Grundfrage lautet: Wie kommen die Großstadtbewohner möglichst barrierefrei, schnell und sicher ans Ziel? Egal, ob es Arbeitsplatz, Wohnung, Kita oder Kultur ist. Wie kommen möglichst viele Großstadtbewohner auch in Rushhour-Zeiten möglichst schnell und sicher da hin, wo sie hinwollen?

Und – auch die Kammerpräsidenten betonten es ja: Wie bewahrt man trotzdem noch die Lebensqualität in einer Stadt?

Die Antwort ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das private Automobil, sondern ein klug ausgebautes ÖPNV-System, das in vorhandenen Trassen wächst und vor allem dichter und leistungsstärker ist als das heutige.

„Wir fordern den Oberbürgermeister auf, den erneuten Angriff der Kammern auf Leipzigs Grüne Lungen nicht mitzutragen und der Initiative eine klare Absage zu erteilen“, sagt Supplies. „Bei allem Verständnis für die berechtigten Interessen der Wirtschaftslobby, an dieser Stelle ist der Spaß vorbei.“

Man ahnt, wie anders eine nachhaltige Stadt (wie im Stadtentwicklungskonzept gewollt) aussehen muss, um den wichtigen Spagat zwischen Lebensqualität, Wirtschaft und Mobilität hinzubekommen. Eine Lösung drängt sogar: Die Industriegebiete – vor allem das im Norden – müssen mit Nahverkehr deutlich besser angeschlossen werden, als das heute der Fall ist. Das ist tatsächlich das Versäumnis der vergangenen Jahre.

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Es gibt 2 Kommentare

Meines Erachtens war schon vor Jahren (damals der BUND) kontroverse Diskussionen und bürokratische Auseinandersetzungen bezüglich der Tangente am Auensee (entlang der Bahnstrecke) gefochten wurden.
Zum Glück konnte damals die Schnellstraßenpläne durch den „grünen Gürtel“ erfolgreich für ein „noch grünes“ Leipzig erfochten werden und die einmaligen Naturerlebnisse (auch für internationale Gäste) gewahrt werden.
Ich wünsche mir als Leipziger, das diese Oasen auch weiterhin seinen Erholungsfaktor für uns alle in Fauna und Flora weitestgehend erhalten bleibt. Kaum vorstellbar, wenn eine Schnellstraße mit Lärmschutzwänden und Wildfanggitter (mit Umsiedlung seltener Tier und Pflanzen) auf dem Reißbrett gezogen, einer betonierten Schneise, ähnlich einer Landebahn gleichend, die Attraktivität von zuträglich ist. Nur um schneller von A nach B zu kommen. Da sind meineserachtens, andernorts weitaus wichtigere Problemfelder im Verkehrskonzept zu bügeln. (z.B.Baustellenkoordinierungen / Umleitungen/ intelligente Ampelkonzepte auch während der Bauarbeiten uvm).
Etwaige Sonderkosten könnten ja auch von Radfahrern, welche nächtlich ohne Licht unterwegs sind und plötzlich auf einer Straße auftauchen, mit einem Ordnungsgeld das Stadtsäckel unterstützen. Ob dann, bei der nächsten massiven Waldrodung weniger Kahlschlag-Schneisen mal den Auenwald verschonen? Aber das nur am Rand.

An einer wesentlichen Stelle zeigen die Autoren des “Kammer-Reports” zur Situation der Schnellstraßen in Leipzig, dass sie nicht auf dem Laufenden sind: Die Brücke über dem Agra-Park wird dort nicht als problematisch eingestuft, obwohl sie wohl nicht mehr allzu lange stehen wird. Die Probleme an dieser Stelle werden derzeit nur ausgesessen und keine ernsthaften Lösungen angesprochen. Nur an diesem Deaill kann man zeigen, dass der Grundsatz “Vorrang von Reparatur vor neuen Trassen” auch in Leipzig gelten sollte.

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