Jedes Jahr im Frühling legt die Verbraucherzentrale Sachsen (VZS) ihren Jahresbericht zum Vorjahr vor, zieht Bilanz, hinterfragt sich auch selbst. Was hat es gebracht? Wo gab es Erfolge? Wo hat sich wenig bis nichts verändert? Denn eins würde Joachim Betz, Geschäftsführer der VZS, so richtig freuen: Wenn er durch seine Arbeit die Verbraucherzentrale überflüssig machen könnte.

Wenn nämlich Politik und Gesetzeslage in Deutschland tatsächlich einmal verbraucherfreundlich werden. Das sind sie nicht. Das bekommt jeder zu spüren, der in Deutschland Dinge bestellt oder kauft, reklamiert oder umbuchen will. Überall trifft er immer wieder auf Unternehmen, die Dienstleistung eher für etwas Lästiges halten oder überzogene Gebühren für selbstverständlich, die über ihre Geschäftspraktiken lieber gar nichts sagen oder gleich mit dem Anwalt drohen, die Kosten beglichen haben wollen, die sie den “Kunden” aufgetrickst haben, oder Produkte verkaufen, die nicht halten, was die Werbung verspricht.

Der Katalog der Themen, mit denen sich die Verbraucherschützer herumschlagen, ist lang. Die Erfolge sind dünn gesät. Einer ist: Die hohe deutsche Politik nimmt Abschied von einem falschen Verbraucherbild, dem so genannten “mündigen Verbraucher”, der sich über alles kundig macht, das Kleingedruckte liest und sich von dubiosen Unternehmen nicht über den Tisch ziehen lässt. Dieser Mensch ist eine Fiktion. Und es sieht – so Betz – ganz so aus, als ob nun auch die zuständigen Politiker im Land so langsam akzeptieren, dass die meisten Menschen zwangsläufig eher zur Gruppe der “vertrauenden Verbraucher” gehören, jenen, die gar keine Zeit und Geduld haben, sich mit allen möglichen Tricks der Anbieter zu beschäftigen. Sie gehen davon aus, dass der Gesetzgeber schon alles geklärt hat und dass sich die Anbieter auch an die Gesetze halten.

Die zweite große Gruppe sind die “verletzlichen Verbraucher”, die sich nicht einmal wehren können, wenn sie über den Löffel balbiert werden – entweder weil sie krank sind oder finanziell schwach. Und die kleinste Gruppe sind dann die “verantwortungsvollen Verbraucher”, die sich informieren und ihr Wissen auch mit anderen teilen. Was sie nicht vor der Heimtücke einiger Anbieter schützt. Der von der Politik gepflegte “mündige Verbraucher” war schon immer eine Fiktion und diente (und dient) vor allem auch dazu, Verbraucherrechte einzuschränken und einigen wirtschaftlichen Lobbygruppen Spielräume zu öffnen. Das nennt sich dann zuweilen “Marktliberalisierung”. Oder “Deregulierung”.

Wenn Menschen dann ratlos vor der Katastrophe stehen, rufen sie dann meist bei der Verbraucherzentrale an. Im Beratungsbild spiegeln sich all die Konfliktfelder, mit denen der Alltag des sächsischen Verbrauchers vermint ist. Das geht bei “Allgemeinen Dienstleistungen” los (worunter alles Mögliche gesammelt ist vom Ärger mit Mietverträgen, Inkassodiensten, Steuerberatungen usw., 27 % aller Beratungen bei der VZS), lässt die Finanzdienstleistungen logischerweise nicht aus (15,3 %), die Postdienstleistungen samt der elektronischen Kommunikation (14,9 %) auch nicht und geht dann weiter über Energie und Wasser (8,1 %), Konsumgüter (7,9 %), Freizeit (6,3 %) bis ins kleinste Ärgernis.

Die Liste, die hier nach den Standards des “EU-Verbraucher-Barometer” sortiert ist, ist vertrackt. Denn kein Bereich, in dem es im Leben eines Europäers um Geld geht, bleibt tatsächlich verschont. Oft ist es die EU-Ebene selbst, die wichtige nationale Standards aufweicht, mal unterm Label “Deregulierung”, mal unterm Label der Auflösung nationaler Sonderwege. Und statt tatsächlich einfache, überall gültige Standards zu schaffen, werden dem Wildwuchs Tür und Tor geöffnet.Oft sind es dann erst Firmenpleiten, die der Öffentlichkeit die windigen Finanzkonstrukte hinter eben noch gefeierten Marktteilnehmern zeigen. Einige Stromanbieter haben ja in letzter Zeit derart von sich Reden gemacht. Marktakteure, die noch vor gar nicht langer Zeit von der Politik gefeiert wurden als Beispiel für die Segnungen “liberalisierter Märkte”. Der “vertrauende Verbraucher” ist ein leichtes Opfer für diese Art des Kundenfangs. Das Wörtchen “billig” zieht noch immer.

Immerhin stimmt es ja: Strom wird immer teuer. Da kann man doch nur wechseln, oder? – Aber selbst das ist so simpel nicht. Denn nicht alles, was man als “Energiewende” verkauft, ist auch ihr Ergebnis.

Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif, betont die Verbraucherzentrale. Insbesondere durch die stetige Erhöhung der EEG-Umlage stiegen die Preise für den Endverbraucher immer weiter. Die Verbraucherzentrale Sachsen bekennt sich eindeutig zur Energiewende, betont aber auch: Damit die Verbraucher sie akzeptieren, muss sie allerdings effizient, gerecht und transparent gestaltet werden. Solange die Hauptlast für die höheren Stromkosten von den privaten Endverbrauchern getragen wird und teilweise nicht nachvollziehbare Befreiungen von stromintensiven Unternehmen beispielsweise von der Zahlung der EEG-Umlage existieren, verletzt dies das natürliche Gerechtigkeitsempfinden der Konsumenten und birgt die Gefahr, die Energiewende als Ganzes zu diskreditieren.

Deutliche Worte, die aber auch deutlich machen, dass die aktuelle deutsche Politik Teil des Problems ist, nicht Teil der Lösung. Denn die Befreiungen von der EEG-Umlage und vor allem auch von den Netzgebühren hat die deutsche Politik beschlossen. Wissend darum, dass die Kosten nicht verschwinden, sondern direkt auf der Stromrechnung der kleinen Unternehmen und der Privathaushalte landen.

Die steigenden Stromkosten dann der Energiewende allein zuzuschreiben, das ist schon eine manifeste Diskreditierung. Verantwortliche Politik ist es nicht.

Das direkte Ergebnis: Immer mehr Haushalte können ihre Stromrechnung nicht bezahlen.

Die steigenden Kosten für den Strombezug bereiten auch einigen sächsischen Verbrauchern immer mehr Probleme. Die so genannte Energiearmut wurde 2012 so richtig zum Thema. Eine Erhebung der Verbraucherzentrale zeigte, dass die Zahl der im Jahre 2011 gegenüber 2010 verhängten temporären Stromsperren um rund 17 Prozent gestiegen war. Von 17.000 auf über 21.000.

“Nur mit einem Bündel an Maßnahmen in Kombination mit Energieeffizienz, Energieeinsparung und einer regelmäßigen Anpassung von Transferleistungen an die Stromkostenentwicklung lassen sich Stromschulden dauerhaft vermeiden”, so Joachim Betz. Der gern auch schon Zahlen für 2012 nennen würde. Aber die Zahl von 24.000 Stromsperren in Sachsen 2012, die das Wirtschaftsministerium genannt haben soll, wird heftig kritisiert. Selbst einigen Stromversorgern erscheint sie als zu niedrig. Allein in Leipzig soll es über 8.000 Stromsperren gegeben haben.

Im 4. Quartal will die Verbraucherzentrale, um wirklich belastbare Zahlen zu bekommen, eine eigene Erhebung starten.

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Über Dinge wie den Kampf gegen überhöhte Kosten für Pfändungsschutzkonten, Telefonterror, irreführende Kennzeichnung von Lebensmitteln hat die L-IZ schon mehrfach berichtet. Manche Unternehmen zeigen sich regelrecht hartleibig, wenn es um das Abstellen von Unarten geht. Und selbst Joachim Betz und seine Kollegen und Kolleginnen müssen sich immer wieder mit diversen Anbietern vor Gericht streiten, weil diese die berechtigte Kritik der Verbraucherschützer als Verleumdung und üble Nachrede empfinden. Statt die Übelstände im Sinne der Konsumenten abzustellen, reichen sie Klagen ein und überschütten frustrierte Kunden und Verbraucherschützer mit Unterlassungserklärungen.

Die Gesellschaft, die den Verbraucher tatsächlich schützt vor Abzocke, Betrug und Nötigung, die ist noch weit weg. Selbst beim Kampf gegen die Telefonabzocke gab es 2012 nur einen Drittel-Erfolg – nur bei Telefonanrufen zu Glücksspielen und Lotterien soll es künftig auch eine schriftliche Vertragsverpflichtung geben. Zumindest hat sich die Bundesregierung zu so einem Gesetzentwurf durchgerungen und wird ihn vielleicht noch vor der Bundestagswahl im September beschließen. Aber was ist mit all den anderen Nötigungen am Telefon, bei denen überrumpelten Verbrauchern Verträge untergeschoben werden, ohne dass eine Unterschrift notwendig ist? – Eine Umfrage der Verbraucherzentrale im letzten Jahr ergab, dass bei den 8.900 befragten Bundesbürgern durchschnittlich 13 unerbetene Werbeanrufe pro Woche einliefen. Das nervt nicht nur, das zeigt auch, mit welcher Penetranz einige Unternehmen ihre in der Regel völlig überflüssigen Dienstleitungen an die Leute bringen wollen.

Die Verbraucherzentrale kann in ihrer Jahresauswertung immer nur einen kleinen Teil dessen beleuchten, was an Ratsuche und Ratlosigkeit jedes Jahr bei ihr ankommt.

www.verbraucherzentrale-sachsen.de

Der Jahresbericht 2012 als pdf-Datei: www.verbraucherzentrale-sachsen.de/media222008A

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