Alles fing an mit dem schicken E-Buch-Lesegerät, das Oma zu Weihnachten bekommen sollte. Ihre Augen spielen nicht mehr mit und bei diesem moderne "Elektrozeugs" kann man die Schrift so groß einstellen, dass auch sie noch bequem lesen kann. Also auf die Webseite eines großen Internethändlers geschaut, das neueste Modell in den virtuellen Einkaufkorb gelegt und noch bevor der Bezahlen-Button gedrückt ist, macht mir der Online-Händler ein Angebot.

30 Euro Gutschrift, wenn ich mir die hauseigene Kreditkarte kostenfrei für ein Jahr aufschwatzen lasse. Das machte das Lesegerät einen ganzen Batzen billiger und man hat weiter keine Mühe als rechtzeitig bevor sich der Kartenvertrag verlängert, den Kündigungsbrief zu verschicken. Gedacht, geklickt.

Und so begann der Sog der Kreditkartenindustrie, der mir schon aus Studienzeiten in den USA bekannt war. Dort haben sich bereits Millionen Privathaushalte, nicht zuletzt aufgrund der horrenden Kreditkartenzinsen, ver- und überschuldet. Der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen: Wer verschuldet ist, kann die Schuldsumme zurückzahlen. Wer überschuldet ist, dessen Schuldenberg ist so groß, dass er ihn wahrscheinlich nicht mehr zurückzahlen kann. Erfunden hat die Kreditkarte ebenfalls ein Amerikaner: Frank McNamara. Der Geschäftsmann ging in New York oft mit Kunden und Kumpels in Restaurants und begann in den Fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, kleine Kärtchen mit seinem Namen zu verteilen.

Die Restaurants buchten alle Rechnungen auf die Karte und am Ende des Monats bekam McNamara eine Gesamtrechnung. So funktioniert die Kreditkarte noch heute: Der Verkäufer erhält sein Geld sofort von der Bank und der Bankkunde erhält am Monatsende eine Komplettrechnung. Was nur, wenn diese nicht bezahlt werden kann? Wenn das Konto zu mager ist, die Kreditkarte ab zu bezahlen? Dann bleibt der Betrag stehen. Zu einem jederzeit durch die Bank veränderbaren Zinssatz.
Deutschland ist ein vergleichsweise kleiner Markt für die Kreditkarten-Geber: Während hier, laut dem Bundesverband deutscher Banken, nur rund 24 Millionen Kreditkarten im Umlauf sind, werden in den US-Staaten jedes Jahr allein rund eine Milliarde neuer Karten verschickt. Diese erhalten die US-Bürger meist ungefragt, denn Adresshändler sind auch in den Staaten rege. Kaum hat man in einem Laden oder online seine Adresse preis gegeben, flattert ein Brief mit einem lustig-bunten Plastikkärtchen herein, auf dem der eigene Name gestanzt ist. Dazu ein freundlich formuliertes Anschreiben des Bankhauses, das “eine Beziehung zu Ihnen als Kunde”, wie es schreibt, aufbauen möchte. Wie? Auf dieselbe Weise wie überall: Mit kostantem Anbiedern. Dieselbe Masche läuft nun auch in Deutschland. Sie beginnt, in meinem Fall, mit einem Brief – wie in den USA – der das Kärtchen und ein Anschreiben enthält. Und darin die Bitte, doch sofort anzurufen, damit die Karte als eingerichtet gilt. Gelesen, gewählt.

Und die nette Dame mit starkem polnischen Akzent am Telefon bittet mich, den eigenen Kreditrahmen festzusetzen. Es geht also darum, mit wie viel Geld das Kreditkartenkonto belastet werden kann. Ich reduzierte den vor eingestellten Betrag um 60 Prozent. “Warum wollen Sie das?”, fragte die Telefonstimme. Weil ich mehr sowieso nicht zahlen könne. “Aber den Betrag später wieder anzuheben, wird schwierig. Sie müssen ihn doch nicht ausreizen. Und wenn Sie möchten, können Sie sich jederzeit den Maximalbetrag als Kredit auf ihr Girokonto holen und bequem in Raten zurück zahlen.” Dieses Angebot sollte mir nun öfter begegnen. Aber monatelang blieb alles ruhig. Dann kam eine E-Mail. Mit der Erinnerung die Kreditkarte doch als Standardzahlungsmittel beim Online-Händler einzustellen. So könne man Punkte sammeln und dieses “gegen viele spannende Prämien eintauschen”, so der Wortlaut. Gelacht, gelöscht.
Dann die Briefe: “Holen Sie sich Tausend Euro auf ihr Konto. Zahlen Sie sie bequem zurück, wann es Ihnen recht ist”, so oder ähnlich stand es in den Schreiben, die sofort in die blaue Tonne flogen. Dann die Anrufe: “Frau … möchten Sie Tausend Euro auf ihr Konto haben?” Nein. “Warum nicht?” Weil ich nicht dumm bin, hätte ich gerne gesagt, blieb dann aber doch nett. Auch die Telefonstimme gehörte schließlich einer Callcenter-Mitarbeiterin, die sich wahrscheinlich einen besseren Job wünscht.

In allen Finanzfragen gilt für mich nämlich die Regel: Wenn es zu gut klingt um wahr zu sein, dann ist es zu gut um wahr zu sein. Und der Blick in die Geschäftsbedingungen des Kreditkartenvertrags offenbart, dass es so ist: Wenn der Betrag nicht am Ende des Monats zurückgezahlt wird, kostet es 1,17 Prozent Zinsen im Monat. Klingt nicht viel, macht aber 14,04 Prozent auf das gesamte Jahr. Bei Tausend Euro macht das 140 Euro und 40 Cent. Und der Zinssatz ist variabel. Das heißt, sobald die Bank neue Bedingungen aufsetzt, gelten diese. Gut möglich, dass es bald 20 Prozent sind – so hoch sind sie durchschnittlich bei den Amerikanern. Und dort schlagen sie kräftig zu Buche: 15.000 US-Dollar schuldet der US-Bürger im Schnitt. Und das nur in Kreditkarten. So besagt es der jüngste US Zensus aus dem Juli dieses Jahres.

Kein Wunder, dass nun auch die deutschen Banken versuchen, den Fuß in diese Gewinn verheißende Tür zu stoßen. Und der Gewinn ist mein Geld, die Welle rollt gerade erst so richtig an. Die Plaste-Kärtchen sind mir zu teuer, ich bleibe lieber beim guten alten Hartgeld und setze den Kündigungsbrief an die Kreditkarten-Bank auf. Geschrieben, geschickt.

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