Irgendetwas ist da völlig schief gelaufen seit 2010, dem Jahr, in dem die eine Finanzkrise irgendwie endete und die Staatsschuldenkrise irgendwie begann. Und da ist nicht die Rede von Griechenland oder Spanien, sondern von Leipzig und Sachsen. Denn während die Börsenberichterstatter über die anziehende Konjunktur in Deutschland jubelten, rutschten die Leipziger und Sachsen wieder tiefer in die Schuldenfalle. So zeigt es auch der spezielle Schuldneratlas 2014 für Leipzig.

Die Überschuldung von Verbrauchern in Deutschland ist zum Stichtag 1. Oktober wieder gestiegen, teilt die Leipziger Niederlassung von Creditreform mit. Im Vergleich zum Vorjahr sind weitere 90.000 Personen von Überschuldung betroffen. Damit weisen in Deutschland 6,67 Millionen Privatpersonen über 18 Jahre nachhaltige Zahlungsstörungen auf. Die Schuldnerquote stieg von 9,81 Prozent auf 9,90 Prozent. Die aktuelle Quote errechnet sich auf der Basis von 67,43 Millionen Erwachsenen in Deutschland, darüber hat die L-IZ schon berichtet.

Doch jetzt liegen auch die regionalisierten Zahlen vor.

In Sachsen steigt die Schuldnerquote zum zweiten Mal in Folge und liegt 2014 bei 9,30 Prozent (2013: 8,96 Prozent). Dennoch zählt Sachsen hinter Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen noch zu den vier Bundesländern, die eine Schuldnerquote unterhalb des bundesdeutschen Durchschnitts aufweisen.

In der Region Leipzig, dazu zählen die Stadt Leipzig, der Landkreis Leipzig, der Landkreis Nordsachsen sowie ein Teil des Landkreises Mittelsachsen, steigt die Schuldnerquote auf 11,48 Prozent. Im Vorjahr waren es 11,25 Prozent. Somit sind im Raum Leipzig rund 103.000 Menschen überschuldet oder weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf – fast jeder 9. Erwachsene, stellt Creditreform fest.

Und die Stadt Leipzig bleibt weiter die Schuldnerhochburg – zumindest in der Region.Die Stadt Leipzig bleibt mit einer Schuldnerquote von 13,04 Prozent (2013: 12,91 Prozent) sowohl in der Region Leipzig als auch in Sachsen erneut das Schlusslicht. Auch im Ranking aller Großstädte über 400.000 Einwohner nimmt Leipzig, wie im vergangenen Jahr, Platz 4 unter den Großstädten mit dem höchsten Verschuldungsgrad ein.

Doch Verschuldung ist ja nicht gleich Verschuldung. Wenn Haushalte aufgrund ihrer desolaten Einkommenssituation in die Schuldenfalle geraten, ist das etwas anderes, als wenn sich jemand für ein teures Konsumgut kurzfristig überschuldet hat.

Innerhalb des Stadtgebietes gibt es im Vergleich zum Vorjahr mehr negative als positive Tendenzen. Die Schuldnerampel bleibt im Leipziger Osten und Westen weiter auf dunkelrot, stellt Creditreform bei der Auswertung der Zahlen fest. Trotz eines Rückgangs um 1,0 Prozentpunkte ist in Volkmarsdorf und Neuschönefeld die Schuldnerquote von 26,57 Prozent überdurchschnittlich hoch. Die gleiche Entwicklung kann auch in Lindenau festgestellt werden. Die Quote sinkt zwar um 1,97 Prozentpunkte, bleibt aber auf hohen 23,29 Prozent. Am geringsten fällt, wie im letzten Jahr, die Überschuldung von privaten Verbrauchern in Mölkau und Baalsdorf aus. Hier liegt die Schuldnerquote nach einem leichten Anstieg von 0,28 Prozentpunkten bei 5,77 Prozent.

Im Landkreis Nordsachsen steigt die Schuldnerquote ebenfalls an und liegt in diesem Jahr bei 10,32 Prozent (2013 waren es hier noch 10,14 Prozent), also deutlich über dem deutschen und sächsischen Durchschnitt. Schildau weist erneut die niedrigste Schuldnerquote mit 6,31 Prozent im Landkreis auf. Eine deutlich höhere Schuldnerdichte herrscht in Beilrode (12,28 Prozent), Torgau (11,89 Prozent), und Delitzsch (11,13 Prozent). Entgegen dem aktuellen Trend sinkt in Rackwitz die Schuldnerquote um 0,66 Punkte auf 10,80 Prozent.Das alles sind Zahlen, die zumindest darauf hinweisen, dass der seit 2010 wieder anziehende Arbeitsmarkt vielen Betroffenen nicht unbedingt Einkommen beschert hat, die dazu ausreichen, Miete, Energie, Kassenbeiträge und auch noch den monatlichen Einkauf zu sichern. Augenscheinlich liegen viele dieser Einkommen deutlich unter der Grenze des Notwendigen, denn die Arbeitslosenquote ist seit 2010 permanent gesunken – auch in den jetzt in Rot glühenden Leipziger Ortsteilen. Nur ist eben Erwerbstätigkeit nicht gleich Erwerbstätigkeit – erst recht dann nicht, wenn das monatliche Einkommen nicht mal zur Begleichung der Fixkosten reicht. Und die steigenden Schuldnerzahlen seit 2010 zeigen recht deutlich, dass viele der angebotenen Jobs kein Einkommensminimum garantieren. Inwieweit auch noch die wilden Sanktionen des Jobcenters eine Rolle spielen, hat Creditreform natürlich nicht ausfiltern können.

Und auch im Süden Leipzigs ziehen die Quoten an.

Die Schuldnerquote im Landkreis Leipzig beträgt 9,50 Prozent (2013: 9,32 Prozent): Damit liegt der Landkreis zwar unter dem deutschen Durchschnitt – im sächsischen Vergleich der Kreise allerdings im letzten Drittel. Die niedrigste Schuldnerquote im Landkreis und der gesamten Region Leipzig wurde in der Gemeinde Kohren-Sahlis mit 5,33 Prozent ermittelt. Die höchsten Schuldnerquoten wurden in Böhlen (13,76 Prozent), Rötha (11,65 Prozent) und Wurzen (11,44 Prozent) gemessen.

Die klare Botschaft von Creditreform: Die “harte Überschuldung” steigt.

Der Anstieg der Schuldnerzahlen beruht vorwiegend auf einer Zunahme der Fälle mit hoher Überschuldungsintensität (vereinfacht: juristische Sachverhalte). Dies ist in der Region Leipzig ebenso wie in Deutschland festzustellen. Die Zahl nahm in den letzten 12 Monaten in der Region Leipzig um rund 3.000 Fälle zu, während die Zahl der Schuldner mit geringer Überschuldungsintensität (vereinfacht: nachhaltige Zahlungsstörungen) um rund 500 Fälle zurückging.

Und davor ist dann auch der nicht gefeit, der in all den Jahren gelernt hat, mit den üblichen niedrigen Löhnen einigermaßen über die Runden zu kommen. Denn dieses “einigermaßen” bedeutet auch, dass es in der Regel keine Rücklagen für Krisenfälle gibt.Und so zählt denn Creditreform auch die häufigsten Ursachen für den Sturz in die Schuldenfalle auf: Rund 70 Prozent aller Überschuldungsfälle wurden in den letzten Jahren durch fünf Faktoren ausgelöst – Arbeitslosigkeit (2014: 22 Prozent), Scheidung/Trennung (13 Prozent), unwirtschaftliche Haushaltsführung (12 Prozent) sowie Krankheit (13 Prozent) und gescheiterte Selbstständigkeit (8 Prozent).

Vorwiegend ökonomische Auslöser wie Arbeitslosigkeit (2008 / 2014: -23 Prozent) und gescheiterte Selbstständigkeit (- 14 Prozent) haben in den letzten Jahren auf Grund der insgesamt stabilen Konjunktur in Deutschland an Bedeutung verloren, betont Creditreform. Umgekehrt haben die Gründe unwirtschaftliche Haushaltsführung bzw. unangemessenes Konsumverhalten (2008 / 2014: + 20 Prozent) und der Auslöser Krankheit (+ 19 Prozent) spürbar zugenommen.

Die eingetrübten Konjunkturerwartungen seit Beginn des Herbstes werden Auswirkungen auf die Überschuldungssituation haben, wenn der Arbeitsmarkt schwächeln sollte, befürchtet Creditreform. Zusammen mit der rückläufigen Sparneigung könnte durch den Faktor Arbeitslosigkeit die Überschuldung weiter ansteigen, so das Unternehmen.

Was ja wohl im Klartext heißt: Die Zahlen belegen recht deutlich, dass sich viele Leipziger (trotz guter Konjunktur) keinen finanziellen Puffer zulegen konnten und bei kleinsten Ereignissen schon in die Schuldenfalle geraten. Und wenn gar wieder steigende Arbeitslosenzahlen kommen, wird das noch weit mehr Haushalte betreffen, die jetzt noch gerade so über die Runden kommen.

In Leipzig war die Schuldnerquote übrigens von 2007 bis 2009 mal deutlich gesunken von 14,44 auf 10,99 Prozent. Aber ab 2010 steigt sie wieder kontinuierlich an – von damals 11,63 Prozent auf heute 13,04 Prozent. Das hohe Lob der in Leipzig besonders stark ausgeweiteten atypischen Arbeitsverhältnisse hat also eine knallharte, für die Betroffenen sehr harte Kehrseite.

Und um das Feld Überschuldung noch einmal deutlich zu umreißen, noch einmal die grundlegende Definition von Creditreform: “Überschuldung liegt dann vor, wenn der Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann und ihm zur Deckung seines Lebensunterhaltes weder Vermögen noch Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen.”

Quelle: www.creditreform-leipzig.de

Die Verschuldungsquoten in den Leipziger Ortsteilen als PDF zum Download.

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