Am 27. Januar wählt Leipzig wieder seinen Oberbürgermeister/ seine Oberbürgermeisterin. Zeit für diverse Verbände und Interessengruppen, ihre Fragen zu stellen. Man will ja wissen, wer da mit welchen Ideen das Amt anstrebt. Auch der Branchenverband Kreatives Leipzig e.V. hat den Kandidaten "auf den Zahn gefühlt" und ihnen jeweils fünf Fragen gestellt.

Auch die Kreativen beschränkten sich bei ihren Anfragen auf jene sechs Kandidaten, die am 27. Januar mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Wahlzettel stehen werden: Burkhard Jung (SPD), Horst Wawrzynski (parteilos), Barbara Höll (Die Linke), Dirk Feiertag (parteilos), René Hobusch (FDP) und Felix Ekardt (Bündnis 90/Die Grünen).

Fünf Fragen hat der Verein an die Kandidaten geschickt. Drei sind heute online als Antwort zu finden. Wenn man auf der Website des Vereins weiter klickt, findet man auch den Resümee-Beitrag zur Abschlusskonferenz der “Creative Cities” am 29. und 30. November in Leipzig “Licht am Ende vom Tunnel? Internationale Konferenz diskutierte Kreativität und Innovation in Leipzig “.

Das ist das Bezaubernde an Leipzigs Kreativen: Sie lassen sich nicht entmutigen. Sie schöpfen selbst nach einem so ergebnislosen Ende eines EU-Projektes noch Hoffnung. “Viele der Teilnehmenden vertraten Einrichtungen der Wirtschaftsförderung oder Forschung – es bleibt zu hoffen, dass die Konferenz bei Ihnen dazu beiträgt, künftig die Hebel so zu legen, dass die Kreativwirtschaft von der Innovationsförderung stärker profitieren kann oder gar als innovative Entwicklung an sich gesehen wird”, schreibt – ja wer eigentlich? Ein Autorenkollektiv?

Aber natürlich ist diese Hoffnung sehr christlich gedacht: Auf dass sich die Herren, die sich eigentlich um Wirtschaftsförderung und Strukturförderung kümmern sollen, mal bemüßigt sehen, ihre Arbeit zu tun.

Kann man dran glauben und hoffen und beten.

Was stimmt: Ja, die Kreativwirtschaft ist durch das EU-Projekt mal wieder über die Wahrnehmungsschwelle der Stadtentscheider gekommen. Mehr nicht. Wäre es anders, der Kreatives Leipzig e.V. hätte den OBM-KandidatInnen andere Fragen stellen können. Die Fragen konterkarieren die Hoffnung aus dem Artikel vom 15. Dezember zu den “Creative Cities”.

Die fünf Fragen, die man sich bei Kreatives Leipzig e.V. ausgedacht hat:

– Welchen Stellenwert nimmt Kreativwirtschaft in ihrer Politik ein?

– Wie wird das Wachstum der Branche gefördert?

– Wie bleibt Leipzig als attraktiver Raum zum Leben und Arbeiten erhalten?

– Schlagwort Gentrifizierung – wie geht Leipzig damit um?

– Und: Wie stellt sich der künftige Oberbürgermeister die Zusammenarbeit mit der Branche vor?

Die erste Frage wurde am Montag beantwortet. Es ist so eine typische Talkshow-Frage, mit der man auch unbeliebten Kandidaten die Chance einräumt, mal was Löbliches zu sagen. Mutig wäre der Bursche gewesen, der hier Klartext geantwortet hätte. Oder der mal gegen den Stachel gelöckt hätte. Dass die Branche einen “hohen Stellenwert” hat und “eins der wichtigsten Cluster” ist – geschenkt. Das wissen wahrscheinlich selbst die hartleibigsten Kandidaten, dass ohne diese Tatsache in Leipzig längst die Lichter aus wären. Keine andere Branche lebt so von Selbstbegeisterung und Selbstausbeutung wie diese.

Und das ist das Problem.

Taktet man sie dann einfach ein in die Mittelstandsförderung und erhöht das Budget dort um 500.000 Euro, wie Burkhard Jung betont? Wieviel davon kommt dann eigentlich bei den Kreativen an? Und was wird gleich wieder von der Verwaltung aufgefressen? Oder landet dann doch wieder bei Leuten, die alles Mögliche sind, nur keine Kreativen?Natürlich hängt alles mit allem zusammen. Ohne ordentliches Einkommensniveau gibt es in Leipzig nicht genug Käufer kreativer Leistungen. So gesehen stimmt die Frage schon, die am Dienstag beantwortet werden sollte: “Wie möchten Sie die Nachfrage nach kreativwirtschaftlichen Leistungen und damit die Konsolidierung und das Wachstum der Branche fördern?”

Aber geht es nur um Marktbedingungen und Angebot und Nachfrage? Ist das Cluster überhaupt ein Cluster? Und wer vertritt es?

Ohne Struktur keine Handlungsfähigkeit, keine sinnvollen Strukturfonds, keine sinnvollen Förderstrukturen. Die meisten Akteure haben nicht die Kraft, das auch noch zu stemmen. Gleich zwei Fragen beschäftigen sich mit der Verdrängung der Kreativen aus bisher von ihnen besiedelten Stadtgebieten. Gentrifizierung heißt das für die einen, Verlust von Proben- und Atelierraum heißt das für die anderen. Eine Verdrängung, die die Stadt wohlwollend begleitet. Denn sie weiß mit diesem bunten Myzel in wertvollen Stadträumen eigentlich nichts anzufangen. Deswegen war das vierte Handlungsfeld für die “Creative Cities” 2011 auch die “Stärkung des Profils des Leipziger Westens als Standort der Kreativwirtschaft”. Man weiß im Planungsdezernat sehr genau, dass ohne die Pionierarbeit der Kreativen, die eben nicht nur Bilder malen und Musik machen, ein Fördergebiet gar nicht erst auf die Beine kommt. Sie hauchen dem Ganzen mit ihren Verrücktheiten erst Leben ein.

Aber nur im Westen?

Das fünfte Handlungsfeld war übrigens die Optimierung des Zugangs von Unternehmen der Kreativwirtschaft zu Krediten und Investitionszuschüssen. Was immer das heißen soll. Vielleicht hat da ein bedenklicher Banker mit am Tisch gesessen und gesagt: Den Leuten können wir doch kein Geld geben! Die verprassen es doch nur! – Und ein Stadtangestellter hat gesagt: Das können wir so doch nicht sagen! Da reißen die uns den Kopf ab! – Mögliche Antwort des Bankers: Schreiben wir einfach “Optimierung” hin, machen wir immer so, wenn wir genau wissen, dass wir das Ding nicht gebacken kriegen.

Was sowieso egal ist. Denn man kann auch die Antworten der OB-Kandidaten lesen: Sie sind genauso wenig konkret. Kooperation? Marketing? Kreativ-Messen? – Jottchen: Das machen die Kreativleute doch schon alles. Das bringt in Leipzig jedes Jahr volle Hallen und einen Ruf, den selbst die “New York Times” nicht mehr ignoriert.

Nein, die Lösung ist wirklich eine andere.

Ohne einen handfesten Forderungskatalog bekommt die Kreativbranche in Leipzig keine Stimme, kein Geld und keinen Fuß auf den Boden.

Nicht ein einziger verantwortlicher Politiker hat es in den letzten 22 Jahren fertiggebracht, “Danke!” zu sagen für diese ganze bunte Szene, ohne die Leipzig so verschlafen wäre wie Ribnitz-Damgarten im Winter. Gute Finanziers würden das sogar in Heller und Pfennig oder Drachme und Euro beziffern können. Leipzig hat aber nur einen guten Finanzer. Und der hat genug zu tun.

So lange sich die Branche anbiedert, als wäre eine ordentliche Förderung und Unterstützung mit allem, was eine Stadt selbstverständlich zu bieten hat, nicht selbstverständlich, wird sich nichts ändern.

Das könnte man eigentlich mal alles auflisten. Da würden sich erstaunliche Handlungszwänge ergeben. Oder Handlungsmöglichkeiten, weit über das Cluster hinaus.

Die Antworten werden seit Montag täglich veröffentlicht auf: www.kreatives-leipzig.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar