Er gab sich ganz souverän und zufrieden an diesem 10. Juli 2013, als die Stadtholding LVV ihre Jahresbilanz für 2012 vorlegte. Dabei hatte man die Journalisten extra lange warten lassen, denn zuvor war noch eine Entscheidung zu fällen, die Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) auf Biegen und Brechen durchbringen wollte: eine neue Führungsstruktur für die LVV und eine endgültige Verabschiedung von beiden Stadtwerke-Geschäftsführern.

Beides Entscheidungen, die vorher schon umstritten waren. Das neue Führungsmodell, das Jung sich für die Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (LVV) ausgedacht hatte, erinnerte zu fatal an die alte Struktur, die man mit der Doppelspitze Rahmen / Kruse erst abgeschafft hatte. Und warum gleich beide Geschäftsführer der Stadtwerke Leipzig (SWL) gehen sollten, konnte Jung auch am 10. Juli beim besten Willen nicht erklären.

Mit einem Plus von über 70 Millionen Euro hatten die Stadtwerke das beste Ergebnis in ihrer Geschichte abgeliefert. Ohne eine professionelle Arbeit in der SWL-Geschäftsführung wäre das so nicht möglich gewesen. Da hätte schon jemand erklären müssen, warum Jung sich gleich von beiden Männern trennen wollte.
War es der interne Clinch zwischen Raimund Otto, dem kaufmännischen Geschäftsführer der SWL, mit seinem Geschäftsführer-Kollegen Prauße, der in den Folgewochen für eine ganze Artikelserie in der LVZ sorgte? Gab es Unregelmäßigkeiten, Ungehorsam, zu viele falsche Entscheidungen? – Das hätte zumindest Erklärungen verlangt. Es ist nicht geschehen. Im Gegenteil. Nach der Entscheidung im Aufsichtsrat der LVV wurde die Entscheidung auch am 29. August im Personalausschuss durchgedrückt.

Schon am 10. Juli war aber auch klar, dass hinter der fröhlichen Umgestaltungs-Idee auch noch eine andere Aversion stand. Die betraf die Beziehung zwischen OBM Burkhard Jung und SWL-Geschäftsführer Thomas Prauße. Der Zwist loderte schon länger. Und brach erstmals offen aus, als Prauße in der Diskussion um die Stadtwerke-Töchter Perdata und HL komm öffentlicht deutlich machte, dass er als verantwortlicher Geschäftsführer die beiden Unternehmen nie verkauft hätte. Sie gehörten für ihn zur langfristigen Unternehmensstrategie.

Das sagte er auch zur großen Diskussion um die geplanten Verkäufe im Neuen Rathaus. Es kam nicht zum offen ausgetragenen Streit. Aber es wurde für alle sichtbar, dass hier ein Geschäftsfährer saß, der sich nicht sagen ließ, was er zu tun hatte, sondern selbst Stategien entwickelte. Der sich auch überregional im Verband der großen Stadtwerke engagierte und vor allem auch politisch wurde. Denn das, was die Bundesregierung aus der Energiewende gemacht hat, geht auch auf Kosten der Stadtwerke.

Am 10. Juli hatte Prauße noch einmal ein großes Interview in der LVZ. Es war eine Herausforderung und ein letztes Angebot. Die Mitglieder des LVV-Aufsichtsrats hätten noch einmal das Ruder herumreißen können. Haben sie aber nicht. Im Gegenteil. Am Ende verkündete Burkhard Jung frohgelaunt, er habe seine Vorstellungen durchsetzen können: keine Vertragsverlängerung für Otto und Prauße. Es werden zwei neue Geschäftsführer ab 2014 für die Stadtwerke gesucht, einer davon sollte zugleich Chef der LVV werden, denn 2014 geht auch Josef Rahmen in den Ruhestand.

Die Situation also: ein völlig leerer Tisch. Einzig die Optierung jeweils eines Geschäftsführers aus LVB und Wasserwerken in das neue LVV-Dreier-Gremium schien klar. Und: Keiner von ihnen sollte den Chefposten im LVV-Konzern bekommen.

Wie nennt man das? Hasard? Poker?

Oder Angst vor der größten Herausforderung? Nämlich einen wie Thomas Prauße, der nicht nur in Leipzig bewiesen hat, dass er seinen Job beherrscht, zum neuen LVV-Vorsitzenden in der Geschäftsführung zu machen? Das Modell, das Burkhard Jung sich da ausgedacht hatte, beinhaltete erstaunliche Handlungszwänge. Und verriet mehr über seine Personalauswahl, als er je zugeben würde. Denn auch das eindeutige Votum, dass keiner der Manager aus LVB und Wasserwerken, die alle unter seiner Ägide eingestellt wurden, neuer Vorsitzender der LVV-Geschäftsführung werden sollte, zeigte: Er traute es ihnen nicht zu. Das kann täuschen. Möglicherweise haben sie allesamt das Zeug, so eine Position auszufüllen.

Aber die Gestaltungshoheit hat sich Burkhard Jung auf den Tisch gezogen. Und eindeutig traut er keinem der in seiner Amtszeit eingestellten Mäanger der Kommunalbetriebe zu, die LVV zu lenken. Das spricht Bände.

Warum blieb er dann bei diesem Konstrukt? Hatte er einen Kandidaten in der Hinterhand, der das Zeug zum General-Manager mitbrachte? Ist der Markt der Geschäftsführer-Aspiranten so reich bestückt?

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Das neue, alte Konstrukt für die LVV scheint erledigt zu sein. Vielleicht, weil der wichtigste Hinderungsgrund vom Tisch ist, das jetzige Modell mit zwei verantwortlichen LVV-Geschäftsführern fortzuführen.

Am 24. Oktober gab die Stadt Greifswald bekannt, dass die Stadtwerke Greifswald Thomas Prauße zum alleinigen Geschäftsführer berufen haben. “Die Entscheidung für Thomas Prauße als neuen Geschäftsführer der Stadtwerke Greifswald fiel im Aufsichtsrat am Montag. Zuvor hatte ein Auswahlverfahren stattgefunden, zu dem mehrere Bewerber eingeladen waren”, teilt Greifswald mit.

Und das Erstaunliche: Prauße macht dort genau das, was er in Leipzig auf keinen Fall machen sollte. Er leitet den städtischen Gesamtkonzern – mit Wasser, Energie und Verkehr.

Oberbürgermeister Dr. Arthur König (CDU) – gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Greifswald: “Mit Thomas Prauße haben wir uns für einen ausgewiesenen Energieexperten mit hohem Branchen-Renommee entschieden. Wir freuen uns, dass Herr Prauße seine energiewirtschaftliche Expertise mit den Schwerpunkten Vertrieb und Marketing in Zukunft für die Stadtwerke Greifswald einsetzt.”

Das kann man auch ein bisschen Schadenfreude nennen. Greifswald hat sich genau den “ausgewiesenen Energieexperten” geholt, den Burkhard Jung für die LVV-Spitze erst noch finden will.

Das Ergebnis für Leipzig? – Chaos bei den Stadtwerken, wo nun keiner mehr so recht weiß, wohin die Reise geht. Thomas Prauße bereitet sich auf den Absprung vor. Raimund Otto wird 2014 ebenfalls das Unternehmen verlassen. LVV-Chef Josef Rahmen geht 2014 auch in Ruhestand. Es werden also drei neue Leute gesucht.

Aber ob sich die Richtigen bewerben, die bereit sind, ihre fachliche Strategie auch gegen die Sensibilität eines dünnhäutigen Oberbürgermeisters durchzusetzen, das ist wohl eher nicht zu erwarten.

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