Es schiebt sich was zusammen in Sachsen. Langsam, aber auch langsam spürbar. Ob es eine Titelzeile rechtfertigt, wie die der LVZ am 6. März "Bittere Pille bei der Wohnungssuche: Mieten in Leipzig steigen drastisch", darf bezweifelt werden. Dafür hat die LVZ in den letzten Jahren zu oft gerufen: "Der Wolf! Der Wolf!" Und auch das neue "Leipzig Residential City Profile" von Jones Lang LaSalle, das für die Zahlen Grundlage ist, gibt diese Aussage nicht her.

Natürlich ändert sich der Wohnungsmarkt in einer Stadt, die jedes Jahr um die 10.000 Bewohner Zuwachs hat. Das zehrt den einst üppigen Puffer der leerstehenden Wohnungen auf. Das verändert aber auch die Gewichte in der Stadt. Schon in historischen Zeiten von Besserbetuchten bevorzugte Stadtviertel sind auch jetzt wieder so attraktiv, dass sie von zahlungskräftigeren Mietern bevorzugt werden. Man denke an die Südvorstadt, das Musikviertel, Ost- und Westvorstadt.

Man darf aber auch nicht vergessen, dass es vor allem Firmen aus der Immobilienbranche sind, die immer wieder Meldungen zum Wohnungsmarkt verfassen. Nicht um Mietern eine Orientierung zu geben, da würde man sie missverstehen. Sondern um Immobilienkäufern den Markt Leipzig schmackhaft zu machen. Denn steigende Mieten bedeuten natürlich Wertanlagen. So zu sehen ist das, was Engel & Völkers am 23. Januar meldete, genauso wie das, was Jones Lang Lasalle am 20. Februar meldete. Die Musik hatte Engels & Voelkers am 23. Januar vorgegeben: “Deutliche Preisanstiege auf dem Leipziger Wohnimmobilienmarkt”.

Aber das sollte für eine Zeitung nicht der Anlass sein, ins selbe Horn zu tuten. Denn dass das Preisniveau in Leipzig statistisch steigt, hat vor allem damit zu tun, dass in den attraktiven Innenstadtlagen mittlerweile Mieten wie in westdeutschen Großstädten inseriert werden. Ob sie auch so gezahlt werden, ist wieder eine andere Frage. Aber es gibt ja in Leipzig auch eine gut bezahlte Schicht, für die Einkommen auf Westniveau ebenso das Normale sind. Aber: Sie sind nicht der Maßstab für ganz Leipzig.

Und die berechtigte Frage ist natürlich: Was passiert mit dem bezahlbaren Wohnraum für die Leipziger Normalverdiener? Sollten Stadt und Land nicht so langsam reagieren und auch wieder in sozialen Wohnraum investieren, bevor es zu spät ist?

Eins jedenfalls scheint längst im Gang: Die Abwanderung der nicht so gut Verdienenden aus dem Innenstadtbereich.

“Auch wenn das Mietniveau in der Messestadt im Vergleich zu anderen Städten niedrig ist, lassen sich innerstädtisch Segregationstendenzen erkennen”, sagt dazu die Stadträtin der Linken Juliane Nagel. “In bestimmten Vierteln haben einkommensschwache Haushalte kaum mehr eine Chance, neue Wohnungen anzumieten. Es darf nicht vergessen werden, dass Leipzig nach Dortmund die Armutshauptstadt Deutschlands und das allgemeine Einkommensniveau vergleichsweise niedrig ist. Vor diesem Hintergrund fallen Mietsteigerungen ungleich schwerer ins Gewicht.”

Auch im Bestand seien Mieterhöhungen zu beobachten, die zur Verdrängung von MieterInnen führen, wie auch Jones Lang LaSalle bekundet, so Nagel, schränkt aber ein: “Um hier tätig zu werden, braucht es jedoch detailliertere Daten. Es ist zu empfehlen, dass die Stadt kleinräumige Analysen in Bezug auf die Entwicklung von Bestandsmieten und Verdrängungseffekte vornimmt. Die Ergebnisse sollten in die Fortschreibung des Wohnungspolitischen Konzeptes einfließen, die ebenfalls auf Antrag der Fraktion Die Linke derzeit erfolgt. Wir dürfen nicht zulassen, dass Leipzig auseinanderdriftet – Wohnen muss für alle und im gesamten Stadtgebiet langfristig bezahlbar sein.”
Aber wie so oft steht Leipzig auch vor dieser Aufgabe so ziemlich allein. Der Freistaat sieht nach wie vor keinen Anlass, den Großstädten in irgendeiner Weise unter die Arme zu greifen.

“Dass der Freistaat jüngst der Förderung des sozialen Wohnungsbaus eine Absage erteilt hat, ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen in Leipzig nicht hinnehmbar. Soziale Wohnraumförderung mit langfristigen Mietpreisbindungen ist für die sächsischen Großstädte angesichts der Mietpreis-Aufwärtsspirale unabdingbar.”

Den Handlungsdruck sieht auch der Sprecher für Landesentwicklung und Infrastrukturpolitik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Enrico Stange, so: “Dass der sächsische Wohnungsmarkt entspannt ist, darf derzeit noch als Binsenweisheit gelten, wenn der Status quo abgebildet wird”, sagt er. Doch auch die Beschlüsse der Bundesregierung drohen aktuell, die Mietpreisentwicklung zu befeuern. “Besorgniserregend wird die Betrachtung vor dem Hintergrund der allgemeinen Einkommensentwicklung in Sachsen und der gesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Anforderungen an Wohnraum für die kommenden Jahre – energetische Sanierung und Verdopplung der Sanierungsquote, Barrierefreiheit, altersgerechtes Wohnen. In diesem Verhältnis entsteht die neue soziale Dimension des Wohnens. Denn die durchschnittlichen Arbeitseinkommen in Sachsen liegen knapp 700 Euro unter denen des Westens. Zunehmende Altersarmut, sich verfestigende Landzeitarbeitslosigkeit und der sich ausbreitende Niedriglohnsektor führen bei einem Großteil der Bevölkerung zu einem verfügbaren Haushaltseinkommen, das nicht ausreichen wird, um die Sanierungsmieten tatsächlich abzubilden. Deshalb können energetische Sanierung und barrierefreie bzw. altengerechte Gestaltung des Wohnungsbestandes kaum noch über Modernisierungsumlagen oder Förderdarlehen so realisiert werden, dass die Mieten hinterher auch vom Zielpublikum bezahlt werden können.”

Aber auch die Vermieter geraten in die Klemme. “Diese Mietpreisbremse ist der falsche Ansatz, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu erreichen”, betont Steffen Bieder, Geschäftsführer des Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) Landesverbandes Mitteldeutschland e.V. Er glaubt, dass die Politik derzeit dafür sorgt, dass Mieter, Vermieter und Bauherren gleichermaßen Schaden erleiden. Durch Mietobergrenzen wird das Problem der Wohnungsknappheit, die schon jetzt in bestimmten mitteldeutscher Ballungszentren wie Dresden vorherrscht, nicht gelöst. Investoren verzichten auf Neubau, wenn zum Beispiel dessen Zweitvermietung automatisch zu Verlusten durch die dann greifende Mietpreisbremse führt. Damit verringert sich das Wohnungsangebot für alle sozialen Schichten der Bevölkerung. Angebotsmangel aber führt nach den Gesetzen des Marktes zu Preissteigerungen. Die einzige nachhaltige Lösung für bezahlbares Wohnen sieht er in einer Angebotserweiterung. Der BFW Landesverband Mitteldeutschland empfiehlt deshalb statt Mietpreisbremse eine Intensivierung der Neubauförderung durch mehr Baulandausweisung, zügigere Baugenehmigungen und die Abgabe preiswerter Grundstücke.

Auch die sächsische Linke ist davon überzeugt, dass zur Dämpfung von Nettokaltmietpreisen nach Sanierung, Umbau oder Neubau auf ein Niveau, das für Familien, Rentner und Geringverdiener erträglich ist, Baukostenzuschüsse erforderlich sein werden.

“Meine Fraktion hat deshalb den Antrag ‘Schaffung barrierefreien Wohnraums durch Um- und Neubau bedarfsgerecht fördern’ (Drucksache 5/13743) in den parlamentarischen Geschäftsgang gebracht”, betont Stange.

Und auch die sächsische SPD sieht es nicht anders. Der Staat kann nicht einfach immer höhere Ansprüche an den Wohnungsbau definieren und dann erwarten, dass die Mieter am Ende die Zeche zahlen (können). Und während in zahlreichen sächsischen Landkreisen weiterhin genug preiswerter Wohnraum zur Verfügung steht, beginnt sich in den Großstädten der Leerraum zu fällen, Neubau wird Tagesthema und damit die Frage: Wer soll das künftig eigentlich bezahlen?

Auch Martin Dulig, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, fordert deshalb mehr Engagement des Freistaates für sozialverträgliches Wohnen. “In Sachsen gibt es trotz großen Leerstandes nach wie vor nicht genügend bezahlbaren Wohnraum für Familien und ältere Menschen”, stellt er fest. “Der Freistaat muss endlich selbst Geld in die Hand nehmen, um beispielsweise den barrierefreien Bau oder Umbau von Wohnungen zu fördern. Es reicht nicht, sich dabei allein auf die Wohnungsbaugesellschaften oder private Investoren zu verlassen. Und es reicht nicht, ausschließlich Bundesmittel für entsprechende Förderprogramme zu verwenden. Sachsen darf sich an diesem Punkt keinen schlanken Fuß machen”, erklärt Dulig zum am Donnerstag vorgestellten wohnungspolitischen Konzept der Regierung, das der SPD-Fraktion angesichts der ständigen Bewegung auf dem Wohnungsmarkt und den Unterschieden zwischen Stadt und Land zu unkonkret ist. “Es muss zielgenau beschrieben werden, wo welche Probleme in den kommenden Jahren angegangen werden müssen.”

Aber wie argumentiert man gegen eine Regierung, die sich den Freistaat einfach auf ministerieller Ebene schönredet? Mal abgesehen davon, dass die aktuelle Regierung noch immer in den demografischen Ängsten des Jahres 2004 feststeckt und als Vision für Sachsen nur ein schrumpfendes und heftig überaltertes Land sieht. Und darüber die Notwendigkeit für das junge, schlecht bezahlte Sachsen völlig ausblendet.

Martin Dulig: “Die Behauptung des für Wohnungsbau zuständigen Innenministers Ulbig, es gebe ausreichend preiswerten Wohnraum in Sachsen, muss nachdenklich stimmen. Da gilt der Satz: Der Teich ist im Schnitt 50 Zentimeter tief, trotzdem ertrank die Kuh. Durch steigende Preise bei Neuvermietungen werden vor allem einkommensschwache Bürger mittlerweile immer häufiger an den Rand der Städte gedrängt. Das befördert eine soziale Spaltung. Wir sehen das mit großer Sorge. Allein mit Heizkostenzuschüssen für Empfänger von Wohngeld kann es nicht getan sein. Sachsen braucht ein wohnungspolitisches Konzept, das diesen Namen auch verdient – zumal sich die Probleme in den nächsten fünf Jahren noch potenzieren werden. Deshalb muss jetzt schon umgesteuert werden.”

www.bfw-md.de

Die Meldung von Engels & Völkers vom 23. Januar 2014:
www.engelvoelkers.com/de/blog/2014/deutliche-preisanstiege-auf-dem-leipziger-wohnimmobilienmarkt/

Die Meldung von Jones Lang Lasalle vom 20. Februar 2014:
www.joneslanglasalle.de/Germany/DE-DE/Pages/NewsItem.aspx?ItemID=30286

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