Der große Streit um die Kanzel der einstigen Kirche St. Pauli tobte 2013, 2014, 2015, 2016. Dann war ein Weilchen Ruhe. Aber jetzt sorgen ganz simple konservatorische Gründe dafür, dass sie doch nicht im Paulinum angebracht wird. Der Akademische Senat der Universität Leipzig hat sich bei seiner Sitzung am Dienstag, 10. September, mit großer Mehrheit gegen die Aufstellung der historischen Kanzel im Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli ausgesprochen.

Klima-Messungen haben ergeben, dass das Raumklima deutlich zu trocken ist. Bei einer Aufstellung wäre mit massiven Schäden an der Kanzel zu rechnen.

In den vergangenen drei Semestern hatte ein Klima-Monitoring im Paulinum stattgefunden, da eine Aufstellung der Kanzel nur im hinteren, nicht klimatisierten Bereich des im Dezember 2017 eröffneten Paulinums möglich wäre. Das Klima-Monitoring hat zu eindeutigen Ergebnissen geführt: So ist das Raumklima insgesamt deutlich zu trocken und unterliegt zudem teilweise großen Schwankungen. Der konservatorische Referenzwert wird nur selten erreicht, meistens wird er deutlich unterschritten.

„Massive Schäden am Holz und den Farbschichten der Kanzel wären bei diesen Bedingungen unausweichlich und nicht zu verantworten“, sagte Prof. Dr. Rudolf Hiller von Gaertringen, Leiter der Kustodie der Universität, vor den Senatsmitgliedern. Über die nötige Klimatechnik verfügt nur der Altarbereich des Paulinums, in dem der Paulineraltar und ein großer Teil der 1968 ebenfalls vor der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli geretteten Epitaphien untergebracht sind. Hinzu kämen bei einer Kanzel-Anbringung nach Angaben der Universitätsverwaltung funktionale Beeinträchtigungen für Veranstaltungen im Paulinum, da ein Teil der fast 600 Sitzplätze nur noch eine eingeschränkte Sicht auf die Leinwand böte.

Ergebnisse der Messung der Luftfeuchtigkeit im Paulinum (vorderer Bereich). Foto: Universität Leipzig
Ergebnisse der Messung der Luftfeuchtigkeit im Paulinum (vorderer Bereich). Foto: Universität Leipzig

„Das Klima-Monitoring hat zu eindeutigen Ergebnissen geführt. Bei einer Anbringung der Kanzel im Aula-Bereich wären irreparable Schäden zu erwarten. Das kann niemand wollen“, sagte Rektorin Prof. Dr. Beate Schücking im Anschluss an die Senatssitzung. Die Rektorin leitet die Senatssitzungen, hat aber selbst kein Stimmrecht. „Die Senatsentscheidung ist daher folgerichtig“, erklärte Schücking. „Es ist eine verantwortungsvolle Entscheidung für die Kanzel und für das seit der Eröffnung des Paulinums erfolgreich gelebte Miteinander der verschiedenen Nutzer.“

Der Senat habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, teilt die Uni Leipzig mit. „Wir wissen um unsere Verantwortung für die wertvolle Kanzel. Sie wurde unter erheblichem Einsatz Leipziger Bürger gerettet. Sie braucht einen würdigen, gut zugänglichen Ort, der konservatorischen Belangen Rechnung trägt, an dem sie also nach ihrer vollständigen Restaurierung dauerhaft erhalten bleiben kann. Diesen Ort gilt es zu finden, und an diese Aufgabe werden wir uns nun machen, sicher gemeinsam mit Gesprächspartnern aus der Stadtgesellschaft. Wir werden darüber hinaus versuchen, weiter Geld für die Fertigstellung der Restaurierung einzuwerben“, erklärt Beate Schücking.

Der Entscheidung des Senats ging eine Begehung des Paulinums voraus, in dem für die Senatssitzung noch einmal das maßstabsgetreue Modell der Kanzel aufgestellt worden war. Die Senatsmitglieder ließen sich ausführlich informieren und tauschten sich insgesamt eineinhalb Stunden zum Thema aus. Elf Senatsmitglieder votierten dann für den entsprechenden Beschlussvorschlag, die Kanzel nicht im Paulinum aufzustellen. Es gab keine Gegenstimmen und eine Enthaltung.

Rektorin Beate Schücking betonte, sie stehe für die dreifache Nutzung als Universitätskirche, Aula und Konzertsaal. „Seit der Eröffnung wetteifern alle drei Nutzungsvarianten um das jeweilige Publikum, mit beachtlichem Erfolg: Wir haben sehr gut besuchte Gottesdienste, großartige Konzerte, und eine Fülle von akademischen Veranstaltungen erlebt, darüber hinaus auch speziell an eine breite Öffentlichkeit gerichtete Veranstaltungen wie das Format ‚Zur Sache, Leipzig!‘ mit der ‚Zeit‘-Stiftung. Jedes dieser Formate strebt nach weiterer Vervollkommnung, nach optimaler Nutzung der räumlichen Gegebenheiten.“ So werde die Tonanlage noch in diesem Jahr verbessert, und auch die Frage der perfekten Ausstattung für die kirchliche Nutzung werde weiter besprochen.

Kommentar: Macht die Kanzel das Paulinum christlich?

Kommentar: Macht die Kanzel das Paulinum christlich?

 

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Es gibt 2 Kommentare

Nun, hier geht es nicht um irgendeine ‘Bürokratie’.

Aus Sicht der Katholischen Kirche ist der Raum in sakral (“katholisch heilig”) und profan („sich vor dem Heiligtum befindend“) geteilt.
Der Kompromiss bestand ja wohl darin, an die zerstörte Kirche zu erinnern
und der weltlichen, dem Leben im Hier und Jetzt zugewandten Wissenschaft,
einen Raum zu geben.

Und eine kirchliche Kanzel im ‘profanen’ Raum ist einfach der Versuch einer Raumübernahme,
Deutungshoheit im Sinne von Machtdemonstration.

Und wenn über mir ein christliches Symbol thront, dann brauche ich keine Deutung zur ‘Beunruhigung’,
das Angesicht ist die Deutung.

Der Universität Leipzig wäre zu wünschen, dass sie zu ihrem weltoffenen Anspruch steht,
auch inklusive theologischen Wissenschaften, aber ohne die Dominanz einer religösen Institution.

Und es geht eben nicht um einen über Generationen gewachsenen Jahrtausendbau, einer, wie auch immer definierten Gemeinde,
sondern um das Ansehen einer weltlichen Universität.
Auch im Angesicht der weltoffenen ‘Mehrheits-Gemeinde’ der Stadt Leipzig.

Und der “Bettelorden der Dominikaner” sollte sich in Demut üben, hätte ich beinahe geschrieben..

PS:
Na und so persönlich bin ich ja der Meinung, dass die Katholische Kirche als Institution (nicht erst seit Tetzels Ablasshandel)
mit ihrer Frauen- bzw. Lebensentwurfs-, Sexualitäts-, Gesundheits- und damit Lebensverachtung,
ins Museum gehört.
Den positiven Beitrag zu Moral- und Ethikbildung unserer Gesellschaft sehe ich nicht gegeben,
auch da die sexuellen und körperlichen Übergriffe auf ihr Anvertraute seit Jahrhunderten strukturell begründet sind.
Und da sehe ich weder ‘Aufarbeitung’, geschweige denn irgendeine Form von lebensbejahender, menschlicher Änderung.

Mit der damaligen ‘Entscheidung’, eine Glaswand einzubauen, damit nur den Altarraum zu klimatisieren und die Betreibungskosten der Universität überzuhelfen, waren die Messen bereits gesungen.

Die im Harms-Kompromiss festgeschriebene “Einigkeit darüber, die vor der Sprengung 1968 geretteten Teile der Universitätskirche St. Pauli nach ihrer Restaurierung an den historischen Ort zurückzubringen, um sie dort auch der Öffentlichkeit in einem würdigen Rahmen zugänglich zu machen”, konnte man so wunderbar umschiffen.
Man musste nur noch die abzusehenden Messungen abwarten. Sonnenklar, dass ohne Klimatisierung der Raum Zustände annimmt, welcher jeglicher Restauration den Garaus machen wird. Dem Kustos ist kein Vorwurf zu machen.

Man hat die Kanzel von Anfang an nicht gewollt. Jegliches derzeitige Gelaber ist so überflüssig wie das armselige Reagieren / Taktieren der bislang an dieser Tragödie beteiligten Entscheidungsträger.
(Nach 3 Jahren mit 12 Senatsmitgliedern entschieden? Hat der Senat nicht 21 stimmberechtigte Mitglieder?)
Es wiehert der deutsche Bürokratie-, Amts- und Vorschriftenschimmel.

Wäre das schon immer so gewesen – es hätte nie die imposanten und historischen Vorgängerbauten gegeben!

Traurig.
Sehr traurig.

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