Natürlich ist der deutsche Lyrik-Betrieb völlig gaga. Es gibt mehr Lyrikerpreise im Land als Dichter. Dafür haben etliche Lyriker mehr Preise abgeräumt als Gedichte geschrieben. Man kennt sich. Man trifft sich. Man posiert. Und eigentlich darf man da gar nicht mit Steinen schmeißen. Macht Ulf Stolterfoht aber trotzdem. Mit Stil natürlich.

Er selbst hat – zumindest soweit es Wikipedia ausweist – schon zehn solcher Preise bekommen. Und auch schon zehn Bücher veröffentlicht. Mit Gedichten vor allem. Er kennt sich da aus, kennt die Leute, die Posen und das Handwerk. Denn das ist es – auch nach der zehnten oder elften Post-Post-Moderne oder wie die Narren der Kritik das alles nennen, was sich da abseits der Wege im Dickicht verliert. Und was sich dann wieder, wenn’s mal wieder so weit ist, auf dem Podium spreizt. Der Dichter an und für sich. Das klassifizierbare Wesen.

2009 sendete der SWR das, was der 1963 in Stuttgart geborene Ulf Stolterfoht hier als Hörspiel geschrieben hat. Es hört sich auch ein bisschen an wie die Bilanz seiner zwei Jahre als Gastprofessor am Leipziger Literaturinstitut, das zwar ein neues ist, wie man weiß, neu gegründet nach den Wirren.Aber die Auszubildenden geraten auch im Jahr 2012 in die selben philosophischen Sackgassen wie einst die Poeten des Bitterfelder Weges. Denn die eine Frage ist zwar: Wie kann man davon leben? Und die andere: Was ist das da eigentlich?

Natürlich lässt Stolterfoht seine Sprecher hier nicht über das Eigentliche plaudern, das Entstehen von Gedichten. Das wäre ein anderes Buch geworden. Hier geht’s um einen eher mystischen Vorgang, der so mystisch nicht ist: Wie wird man eigentlich ein anerkannter deutscher Dichter? Was ja etwas anderes ist als wirklich ein Dichter. Kann man dazu irgendwo in die Lehre gehen – so wie Schlosser, Tischler oder Spengler? Welche Ausbildungsvoraussetzungen sollte man mitbringen? Vielleicht auch ein körperliches Normalgewicht?

Stolterfoht hat sichtlich seinen Spaß daran, die Werdung eines deutschen Norm-Dichters ganz ähnlich schildern zu lassen wie die Zucht eines ordentlichen Rennpferdes. Ein so fern liegender Gedanke ist es nicht. Denn der größere Teil des deutschen Lyrikbetriebes, der für den normalsterblichen Leser gar nicht sichtbar wird, spielt sich ungefähr so ab: Es ist ein Jagen nach Preisen und Würdigungen, ein Schaulaufen vor Jurys, die wieder mit gewordenen Dichtern oder schöngeistigen Theoretikern besetzt sind.

Man trainiert das alles – von der Leidensfähigkeit bis hin zur Bereitschaft, die Konkurrenz aus dem Felde zu beißen. Und geradezu Kapriolen schlägt Stolterfoht, wenn er die auftretenden Lyriker-Typen klassifiziert wie Hengste und Stuten beim Derby. Für Hörer ganz gewiss ein verwirrend-faszinierendes Erlebnis, denn so trocken wie die Sprecher hier über lyrische Distanzen, leichtfuttrige Arbeitstexte und nervöse Anmutungen reden, so frisch changiert das Hörspiel zwischen Lyrikwettbewerb und Pferderennen. Und das Spaßige dabei: Das Phrasendreschen der Derby-Kommentatoren ist dem Phrasendreschen der Lyrikrezensenten aufs Tiefste verwandt. Stolterfoht braucht die gelesene und gehörte Realität beider Genres nur anklingen zu lassen. Man weiß eigentlich gar nichts zu erzählen, weil man vom Thema eigentlich keine Ahnung hat. Aber man schwadroniert drauf los, als wäre man Adept einer Geheimwissenschaft.Dass die wirtschaftliche Situation der meisten Autoren trotzdem eine hundsmiserable ist – keine Frage. Das deutsche Preis-Unwesen ist ja nur Ausdruck dieses Dilemmas. Wer überhaupt ein paar Brosamen abhaben will vom Tisch, muss sich in diese Mühlen begeben – und muss auch die Erwartung all dieser seltsamen Leute erfüllen, die das antretende Starterfeld betrachten wie eine Herde Gnadenbrotempfänger. Das ist schon peinlich genug – aber es gibt genug Leute in Deutschland, kulturstiftende Unternehmen genauso wie aufgeblasene Kulturpolitiker, die genau diese Situation lieben: Über anderer Leute Professionalität befinden zu dürfen und dann fürstlich-gnädig Preisgelder ausreichen zu dürfen.

Dass es dann auch die üblichen Wettbewerbs-Dichter gibt, die genau das Zeug verzapfen, das von solchen Jurys erwartet wird – keine Frage. Junge und alte. Es treten ja Leute gegeneinander an mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen. Manche haben ihre Bühnentricks ausgefeilt, viele haben ihr Dichtwerk in den Poesiealben des 19. Jahrhunderts gefunden, andere sind so frisch und unverbraucht, dass sie das Nichts-Sagen zur Pose machen können. Amateure treten gegen Leute an, die sich extra (in Leipzig etwa) auf die Schulbank gesetzt haben.

Und die Text-Klassifikationen, die Stolterfoht hier durchexerzieren lässt, gibt es natürlich in den entsprechenden Lehrbüchern nicht. Aber wer schon einmal solche Wettbewerbe erlebt hat (in der manchmal auch Leute mit Stoppuhren dabei sitzen, manchmal aber leider auch nicht), der weiß, wie treffend hier beschrieben wird, was manches Publikum so zu ertragen hat. Was ja ein Grund dafür ist, dass viele Zeitgenossen angekündigte Lyriklesungen mittlerweile meiden. Und lieber eine Lesebühne besuchen.

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Das deutsche Dichterabzeichen
Ulf Stolterfoht, Reinecke & Voß Verlag 2012, 8,00 Euro

Und was auch Grund dafür ist, dass auch Stolterfoht, der heute in Berlin lebt, selbst Mitglied einer solchen nicht ganz ernst zu nehmenden ist – der Lyrikknappschaft Schöneberg. Was ihn nicht hindert, auch mal an olympischen Wettbewerben teilzunehmen. Er weiß ja, wie es geht und worauf ein leichtgängiger Dichter zu achten hat, wenn es um die Kür der Finalisten geht.

http://ulfstolterfoht.wordpress.com

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