Die Größten, die Romantischsten, die Schönsten. Sie sind alle drin. Vom Ulmer Münster, das mit 161 Metern den höchsten Kirchturm Deutschlands besitzt, bis zum Passauer Dom, wo die größte Kirchenorgel der Welt steht. Wer keine Ziele weiß für seine nächste Tour durch deutschsprachige Lande, der hat hier 100 Stück davon, eines so sehenswert wie das andere.

Natürlich gibt es mittlerweile reihenweise Bücher, die den Lesern allerlei Sehenswürdigkeiten derart kompakt bieten. Das kann man mit den schönsten Burgen und Schlössern und Rathäusern genauso machen. Sollte man auch. Es weitet den Blick dafür, was für eine reiche Kulturlandschaft da gewachsen ist zwischen Alpen und Ostsee. Denn auch Österreich und die Schweiz sind mit drin. Mit Kirchen und Klöstern an blauen Seen oder dem Wiener Stephansdom. Es sind jene Klöster drin, die im St. Benno Verlag immer wieder eine Rolle spielen – als Oasen der Ruhe oder als Heimstatt der Singenden Mönche.

Es sind aber auch die ganz Alten drin: Zeugnisse der frühen fränkisch-deutschen Geschichte. Die man zumindest mal gesehen haben sollte, weil dort anschaulich wird, aus welchen Wurzeln dieses Land gewachsen ist, in dem wir leben. Der Kaiserdom zu Speyer und der Dom zu Aachen als Krönungskirche der deutschen Könige gehören genauso dazu wie die Stiftskirche Gernrode. Womit man schon in Tagesausflugs-Nähe ist. Und gute Geschichts- und Kunstlehrer wissen das und bringen ihre Klassen zumindest mal mit einer Exkursion an solche Orte. Wenn ihre Stunden nicht dem sächsischen Rotstift zum Opfer fielen. Es geht gerade eine Menge kaputt an vermittelter Kultur. Und Fernsehen und neue Medien sind nicht schuld daran. Sondern – sagen wir es einmal so – bildungsferne Minister und kulturlose Ministerinnen. Die sich zwar gern ablichten lassen, wenn sie gnädige Schecks überreichen wie weiland die Gemahlinnen sächsischer Könige.Nur die Sorge um die jungen Köpfe im Land haben sie nicht mehr. Und es würde wohl auch nichts helfen, wenn man ihnen dieses richtig schöne Buch mit seinen 430 Seiten und genauso vielen Abbildungen überreichen würde. Vielleicht würden sie abschätzig sagen: Kenne ich schon. Als wenn es darum geht.

Aber es geht um die Künftigen, denen das alles einmal gehören wird. Und die damit sorgsam umgehen können. Oder gleichgültig. Das macht den Unterschied. Denn dass Kirchen zwischen Rhein und Elbe so prächtig dastehen, hat auch mit Sorge zu tun. Über Jahrhunderte wurden sie immer wieder saniert, umgebaut, ausgebaut. Manchmal leider auch gesprengt. Immer dann, wenn gerade neue Herrscher glaubten zu wissen, was nützlich ist. Oder um es mit dem neulichen Modewort zu bezeichnen: effizient.

Kirchen sind nicht effizient. Kirchen sind ein gebauter Versuch, der Gemeinde ein Schiff zu geben und den Blick ins Höhere zu wenden. Sie waren die Kulturbauten in allen Orten, bevor auch nur das erste Museum gebaut wurde. Sehnsuchtsorte. Das auch. Es sind etliche jener Klöster und Kirchen drin, von denen die deutschen Romantiker schwärmten, weil sie die Heile Welt in einer gottesfürchtigen Vergangenheit sahen – das Kloster Eldena zum Beispiel, das einst Caspar David Friedrich malte, oder das Wendelsteinkircherl.

Aber es sind auch jene Wahrzeichen drin, die heute noch immer für eine ganze Stadt zu stehen scheinen – der Kölner oder der Berliner Dom zum Beispiel. Oder die Quedlinburger Stiftskirche St. Severin, die für die sächsischen Könige und Kaiser so wichtig war wie der Magdeburger Dom. Man kann nicht weit von Leipzig eine ganze Menge Geschichte besichtigen, wenn man sich die großen Kirchen zum Ziel nimmt. Ostwärts nach Dresden: natürlich die Frauenkirche, das barocke Kleinod, das so unübersehbar für die Wiederauferstehung des alten Dresden steht.

Aber neue Kirchen gibt es ja auch. Auch die Gegenwart versucht immer wieder, eine neue Formensprache zu finden für ihre Beziehung zur Welt, zum All, zu Gott. Und die neu entstandenen Kirchen erzählen, wie sehr sich das in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Ob nun die berühmte “Hundertwasser”-Kirche in Bärnbach, die eigentlich der Heiligen Barbara geweiht ist, der Weidendom in Rostock oder in Leipzig gleich zwei Kirchen. Eine ist ja noch nicht fertig – die künftige Propsteikirche. Am Samstag, 27. April, wurde ja erst der Grundstein gelegt. Die andere ist eigentlich auch noch nicht fertig, obwohl sie schon 2009 hatte fertig sein sollen – die neue Paulinerkirche am Augustusplatz, die aus Universitätssicht so nicht heißen soll, sondern Paulinum. Was dann wieder für ein anderes, gebrochenes Verhältnis zu Kirche und Glauben steht.Auch zwei andere Kirchen aus Leipzig sind drin. Die Nikolaikirche als “historisch bedeutsame Kirche” – und die Thomaskirche als Heimstatt von Bach und Thomanern. Wobei die Nikolaikirche zwei Mal historisch bedeutsam ist – durch ihre Rolle in der Friedlichen Revolution und durch den Umbau im 18. Jahrhundert durch Friedrich Karl Dauthe, womit er aus der Leipziger Stadtkirche ein klassizistisches Kleinod machte. Die Säulen mit ihre Palmblättern stehen dafür. Und die einzeln vor die Kirche gesetzte Säule verbindet beides. Und das wieder in doppelter Weise, denn Palmblätter stehen im christlichen Kontext für die Begrüßung des “Friedenskönigs” Jesus und für den Triumph. Und nicht nur das: Die Palme steht auch für die Verwurzelung in den lebendigen Wassern.

Da kann man sich also eine Menge denken, wenn man in Leipzig auf dem Nikolaikirchhof steht.

Das Schöne an diesem wirklich faszinierend bebilderten Band ist: Er arbeitet mit erstklassigen Bildern. In den Texten werden die Baugeschichte und die wichtigsten Besonderheiten der Kirchen erläutert. Kleine Schätze werden extra dargestellt. Ein Info-Kasten gibt die wichtigsten Anreisedaten dazu. Es wird auch nicht nach Konfessionen sortiert. Es gibt opulente katholische Kirchen in Bayern genauso zu sehen wie die eher strengen protestantischen Kirchen des Nordens (unter denen auch die mit dem schiefsten Kirchturm der Welt ist) und auch Beispiele orthodoxer Kirchenbaukunst in Deutschland.

Für viele der ausgewählten Kirchen – für Holzkirchen zum Beispiel – gibt es genauso ein eigenes Kapitel wie für die Wallfahrtskirchen oder die romantischsten Kirchen … Da lohnt sich natürlich eine Reise, die einen längeren Aufenthalt vor Ort einschließt. Aber etliche Kirchen sind auch von Leipzig aus leicht binnen eines Tages zu erreichen. Das sind neben den oben Genannten unter anderem der Naumburger Dom (“Ach, Uta!”) oder die Dome in Halberstadt, Erfurt oder Freiberg. Oder das “Heilige Grab” in Görlitz.

Natürlich könnte man allein schon für Sachsen oder Mitteldeutschland einen solchen opulenten Band vorlegen mit den 100 schönsten Kirchen allein hier. Aber mit diesem handfesten Buch hat man zumindest schon einmal eine Ahnung davon, welche Kleinode da überall im Lande stehen. Man muss sich nur aufraffen und losfahren.

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