Seit dem 24. April ist im Ariowitsch-Haus in der Hinrichsenstraße 14 eine besondere Ausstellung zu sehen: "Israel". Mit rund 80 Fotografien der jungen Leipziger Fotografin Michaela Weber. 80 Bilder von einem zweieinhalbmonatigen Israel-Aufenthalt, bei dem die Fotografin Land und Leute kennenlernte, den Alltag in den Familien und das Leben auf den Straßen. "Israel ist mir ans Herz gewachsen", schreibt sie am Ende ihres Vorworts zu diesem Buch, das noch viel mehr Fotos bietet.

8.000 Aufnahmen hat Michaela Weber mitgebracht, Straßenszenen, spielende Kinder, Bilder von der Klagemauer und von den Märkten, von jungen Frauen, Menschen am Strand und in den Zügen. Dem Betrachter geht es wie der Fotografin: Manches wirkt so exotisch, wie man es vom Nahen Osten erwartet. Vieles aber wirkt auch vertraut, könnte sich so hundertfach auch tagtäglich in einer Stadt wie Leipzig abspielen.

Wer sich wie Michaela Weber so intensiv auf ein Land einlässt, der lässt auch die Nähe zu, die der normale Tourist nie erlebt, weil eine Pauschalreise das Eintauchen in den Alltag des fremden Landes gar nicht einplant. Aber erst da lernt man die Menschen kennen, die das scheinbar so exotische Land bevölkern – mit ihren Freuden, Alltagssorgen, ihrer Lust am Leben, den kleinen und großen Ritualen und den kleinen Familienszenen, die schon beim Zuschauen so vertraut wirken.

Vielleicht ist der Rhythmus ein wenig anders, nicht ganz so hektisch wie in Leipzig. Auch ist die latente Bedrohung allgegenwärtig. Soldaten gehören zum Straßenbild. Wenn sich die politische Lage verschärft, werden die Reservisten eingezogen. Die Gasmaske im Schrank gehört dazu. Es ist normal – und wird doch nicht als normal empfunden. Generation um Generation wünscht sich ein Ende der schwelenden Konflikte. Und weiß doch, dass auch die eigene Gesellschaft noch zerrissen ist zwischen Offenheit und orthodoxem Glauben. Die tanzenden Frauen auf dem Platz, die für eine freiere Gesellschaft demonstrieren, gehören dazu.

Denn unter der nachrichtentauglichen Politik geht das Leben weiter, trägt auch Israel die Konflikte eines modernen Landes aus, leben junge Menschen den Gegenentwurf zur regierenden Strenge.

Auf ihrer Reise begegnete Michaela Weber der Dichterin Varda Genossar. Sie ist Kunst- und Kulturdirektorin der Künstlerresidenz in Herzliya, das seit 2011 Partnerstadt von Leipzig ist. Sie hat sich bereit erklärt, Gedichte zu den Bildern zu schreiben. Was die Perspektive noch einmal verändert. Denn für sie sind es ja Landschaften, die sie kennt. Doch indem sie sich die Perspektive der Fotografin zu eigen macht, kann sie auch das Allgemeine in den Bildern thematisieren. Sie kann damit spielen. Ihre Verse wirken fast nüchtern, hingehaucht wie Tagebuchnotizen, Gedanken beim Betrachten, die trotzdem das Poetische bündeln.Und sie hat richtig viele Gedichte geschrieben, so dass der Fotoband eigentlich auch ein Gedichtband ist, der den Herzschlag des Lebens einfängt. Das Wesentliche, was ein Land eigentlich ausmacht – die Familie, das gemeinsame Mahl, die Reinigung des Hauses für den Sabbat, das Gespräch auf der Straße, die Ausgelassenheit der Jugendlichen beim Pfadfindertreff.

Varda Genossar hat ihre Gedichte auf Hebräisch geschrieben. So sind sie neben den Fotos auch abgedruckt. Daneben die deutsche Übersetzung – über den Umweg aus dem Englischen. Genossar reichert die Bilder an, tippt mit Stichworten an, was sich für den einheimischen Betrachter mit den abgelichteten Situationen verbindet. Immerhin ist auch Israel zwar ein junges Land – aber schon wieder vollgestopft mit Geschichte. “Die ersten Pioniere sitzen nun wie Indianer in ihren Häusern. / suchen nach Familienfotos, / um sie an die Zimmerwände zu hängen …” Denn um das Land kümmern sich längst die Kinder und Enkel. Auf den Spielplätzen toben die Urenkel.

Was man sieht, ist “ein flatternder Code im salzigen Wind”. Ein Land zwischen Erinnerung und Moderne. Die jungen Mädchen von Rahat stehen für das junge, noch suchende Israel: “Wie erfahrene Spurenleser, wissen sie neue Spuren zu verfolgen / in den Weiten der einsamen Wüste …” Eine junge Frau mit umgehängter MPi steht lässig mit gekreuzten Beinen im Gespräch. Flüchtlinge stranden auf den Baustellen Herzliyas. Die Bilderkundung wird zur Beschreibung eines Landes, dessen Ungewissheiten auch seine Bewohner nur zu genau kennen. Doch das “Murmeln des Lebens” ist allgegenwärtig. Über den meisten Fotos liegt ein goldenes Licht. Und selbst in der grauen Abendstraße schillert es bunt: “Die Seifenblasen eines Straßenkünstlers werden zur Magie, die man in den Händen halten kann. Und der Mann, den man da hingestürzt liegen sieht auf einem uralten Stück Mauer, genießt nur die Wärme, hält als Cowboy der Gebete ein Schläfchen”.

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Israel. Normalität eines Landes
Michaela Weber, Hentrich und Hentrich Verlag Berlin 2013, 24,90 Euro

Es sind diese kleinen Seitenblicke, die das Land und seine Bewohner fassbarer machen. Ertappt bei ihrem Ganz-Mensch-Sein abseits der offiziellen Berichte aus diesem Land, das andernorts polarisiert und “zu heftigen Diskussionen” führt. Doch die Wenigsten kennen es wirklich oder waren so mittendrin wie Michaela Weber. “Dabei ist es der Alltag, der das Leben der Menschen bestimmt. (…) Der ganz normale Alltag mit seinen Herausforderungen und Sorgen. Und Momenten von Zufriedenheit und Glück.”

Auf dieser Ebene, weit weg von den hohen Tribünen der Besserwisser, sind sich Menschen sehr vertraut und sehr ähnlich. Nur die großen hebräischen Buchstaben in den Fotos erinnern beim Umblättern immer wieder daran, dass man trotzdem mit den Augen der Fotografin unterwegs ist in einem fremden Land.

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