Kirchen sind nicht nur Andachtsräume und Kunstkammern - sie sind auch Zeitkapseln. Bauwerk und Ausstattung erzählen eine Menge über ihre Entstehungszeit und ihre Entstehungsgeschichte, wenn sich mal jemand eingehend damit befasst. So, wie es Dr. Martin Petzoldt seit Jahren tut in Sachen Thomaskirche. Jetzt hat er sich die Altäre der Kirche vorgenommen. Vier Altäre sind die Stars seines Buches.

Zwar sieht der Besucher der Thomaskirche nur einen Altar im Chorraum stehen. Aber auch die Thomaskirche hat über die Jahrhunderte immer wieder ihr Innenleben verändert. Der Thomasgemeinde ging es stets wie anderen Leipzigern auch – man empfand das Gewohnte als alt, wollte mal was Neues haben im Stil der Zeit. Da änderte man dann nicht nur Ausmalung und Gestühl, sondern wechselte auch den Altar aus. Von den ganz frühen Altären in der Thomaskirche aus ihrer katholischen Zeit weiß man freilich nichts, außer dass es sie gegeben haben muss.

Der älteste Altar, der sich sogar erhalten hat, ist einer, der um 1490/1496 entstanden sein muss. Das Prachtstück steht heute in der Lutherkirche in Plauen. Mit Markus Eckardt, der die Fotos zu diesem Buch angefertigt hat, ist Martin Petzoldt natürlich auch extra nach Plauen gefahren, um den Alter und sein Bildwerk genau zu studieren. Einmal natürlich auf die möglichen Spuren der Entstehungszeit hin, einmal zur dargestellten Geschichte. Immerhin ist Petzoldt ja im Hauptberuf Theologe. Und auch die Bildgeschichten auf Altären verändern sich im Lauf der Zeit.Die Reliefs des Altars könnten auf einen Linhart Koenbergk zurückgehen, der um 1500 zahlreiche Altäre in der Region ausstattete – auch der Altar der Paulinerkirche wird mit ihm in Verbindung gebracht, der ähnlich alt ist wie dieser älteste nachweisbare Thomas-Altar. Der Paulineraltar steht heute als Leihgabe in der Thomaskirche – bis zu dem Tag, an dem die Universität Leipzig sich wieder zu ihrer Paulinerkirche bekennt und den Altar für Gottesdienste aufstellt. Der Paulineralter wird natürlich auch vorgestellt und beschrieben. 20 Jahre in der Thomaskirche sind schon eine eindrucksvolle Zeit.

Auch die Festtagsseite des Paulineraltars wird von gold-leuchtenden Reliefs dominiert. In der Mitte steht der Heilige Paulus mit dem Schwert. Und wahrscheinlich ist der Altar auch 1912 richtig zusammengestellt worden, als er seinerzeit neu gerahmt wurde, stellt Petzoldt fest. So haben die dargestellten Szenen von Mariä Verkündung, der Geburt Christi usw. einen Sinn. Auch in diesen Schnitzwerken entdeckt Petzoldt viele kleine Geschichten, in denen die Handschrift des Künstlers und die geistige Welt der Entstehungszeit sichtbar werden. Spannend ist auch die Passionsseite, die Christi Leidensweg zeigt. Und im Hintergrund auch einige Stadtlandschaften. Das ist natürlich eine Frage für die Historiker: Sind das idealisierte Stadtlandschaften oder wird dort in Details die Silhouette einer realen Stadt sichtbar? Manches erinnert natürlich an die älteste bekannte Stadtansicht von Leipzig aus dem Reisealbum des Pfalzgrafen Otheinrich von 1536/1537. Das kann Zufall sein.

“Für die Gemälde des Passionszyklus wurden offenbar Kupferstiche Martin Schongauers (um 1445 – 1491) als Vorlage benutzt”, schreibt Petzoldt. Und weist beiläufig auch darauf hin, dass Schongauer 1465 an der Universität Leipzig immatrikuliert war.

Der erste in diesem Buch beschriebene Thomas-Altar wurde 1721 abgebaut und 1722 nach Plauen verschenkt. Die Thomasgemeinde legte sich einen neuen, barocken Altar zu, den so genannten Bornschen Altar mit dem so genannten Löbeltschen Kruzifix in der Mitte. Dessen Besonderheit ist ein gekreuzigter Christus, der nicht in sein Schicksal ergeben den Kopf hängen lässt, sondern zuversichtlich in die Höhe schaut. Und das waren immerhin Altar und Kruzifix, wie sie Johann Sebastian Bach vor Augen hatte, der ja 1723 nach Leipzig kam – ein moderner Kantor für eine Kirche mit modernem Altar.

Der barocke Altar stand bis 1886 in der Thomaskirche. Dann passte er nicht mehr zum neogotischen Umbau der Kirche, wurde erst eingelagert und dann auf Wunsch von Stadtbaurat Hugo Licht in die von Licht umgestaltete Johanniskirche umgesetzt. Dort stand dieser Altar bis zur Zerstörung im Bombenhagel, 1943.Ein anderer Altar – der neogotische Altar, der 1886/1889 in die Thomaskirche kam, stand dort bis 1964, bis man mal wieder im Eifer einer Neuerung alles Neogotische aus der Kirche entfernen wollte. Und Vieles, so Petzoldt, ging dabei auch wirklich verloren. Der Altar aber überlebte in der Seitenkapelle und könnte, so Thomaspfarrer Christian Wolff, jederzeit wieder aufgebaut werden. Er erzählt auch wieder eine Geschichte, den sein Zentralmotiv ist das Abendmahl. Und er passt natürlich auch wieder zu den hohen Buntglasfenstern im Chor. Immerhin wurde er genau für diesen Chor so angefertigt.

Und so nebenbei weist Petzoldt auch darauf hin, dass das Löbeltsche Kruzifix in der Zeit von 1964 bis 1993 praktisch den abwesenden Altar ersetzte.

Man erfährt in seinem Buch die Beweggründe, die zu Kirchenumbauten und neuen Altären führten, lernt einige Künstler zumindest mit Namen kennen, aber auch die treibenden Köpfe hinter den jeweiligen Veränderungen. Nicht immer ist alles aktenkundig. Manchmal verweisen Inschriften ganz zurückhaltend darauf, wer hier für den Wandel zuständig war – beim Bornschen Altar der Bach-Zeit war es wohl der Bürgermeister und Kirchenvorsteher Gottfried Lange.

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Die Altäre der Thomaskirche
zu Leipzig, Taufstein und Kanzeln

Martin Petzoldt, Evangelische Verlagsanstalt 2012, 12,80 Euro

Und da neben den Altären auch Kanzel und Taufbecken wesentliche “Bauteile” einer funktionierenden evangelischen Kirche sind, widmet Petzoldt diesen Kunstwerken ein eigenes Kapitel, geht auch hier auf die Bildsprache ein, die nicht jeder moderne Kirchenbesucher entziffern kann. Kirchen sind auch noch heute Bilderbücher voller Geschichten und Botschaften. Und wer sie lesen kann, erfährt die Fülle der Gedanken- und Gefühlswelt ihrer Erschaffer. Die sich natürlich in Teilen sehr von unserer Gefühls- und Bilderwelt unterscheidet. Aber dies hier ist ein stoffreiches Lese- und Bilderbuch, das diese Welten erschließt. Auch wenn man, um den einen Altar zu sehen, nach Plauen reisen müsste, und den anderen sieht man vielleicht bald in der Paulinerkirche. Wenn sich die dortigen Verklemmungen im Umgang mit der eigenen Geschichte etwas gelöst haben.

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