Schon im ersten Teil von "Auf Wiedersehen, Bastard! Die Schlacht von Magnitogorsk" zog Tino Hemmann alle Register des Action-Thrillers. Weit weg von Magnitogorsk, wo er die Liebe seines Lebens verlor, hat sich Sorokin in Leipzig eine neue Existenz beim SEK aufgebaut, hat neue Freunde gefunden und für seinen blinden Sohn Fedor eine neue Heimat geschaffen. Aber dann holten den starken Mann die Schatten seiner Vergangenheit ein.

Und ganz war die Sache dann mit dem schießpulverhaltigen Showdown von Magnitogorsk nicht beendet. Sorokin und sein Sohn Fedor kehrten zwar unbeschadet nach Leipzig zurück. Aber seinen schlimmsten Feind ließ Sorokin zwangsläufig in Moskau zurück. Denn es war niemand anderes als der mächtige Präsidentenberater Jerchow.

Eigentlich kein Thema für Sorokin. Was schert ihn die russische Klüngelei? Hat er nicht Freunde in Leipzig? – Wäre da nicht jene herzbewegende Begegnung mit Katie gewesen bei seinem letzten Moskau-Aufenthalt, der Mutter zweier Kinder, die ihren Ehemann durch einen Unfall verlor. Den kein anderer verursachte als just der mächtige Präsidentenberater Jerchow. Auch das eigentlich kein Thema. Eigentlich will Sorokin ja nur Katie besuchen bei einem Moskau-Urlaub mit Fedor. Aber dann geraten sie mitten hinein in den Moment, da Jerchow selbst Probleme bekommt, das Vertrauen des Präsidenten verliert und sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu wehren beginnt.Und es wird brandgefährlich, nicht nur für Sorokin und seine Moskauer Freunde, sondern auch für Fedor, der auf einmal zum Faustpfand in einer Auseinandersetzung wird, bei der nicht mehr so recht klar ist, wer hier nun auf welcher Seite steht und welche Interessen verfolgt. Der Leser bekommt es mit einem ganzen Netz der Interessengegensätze zu tun, bei dem Geheimdienst nicht gleich Geheimdienst ist, Sonderkommando nicht gleich Sonderkommando. Und was für ein finsteres Kinderheim ist das eigentlich, in das Fedor da verfrachtet wird? Es erinnert an finsterste Zeiten sogar weit vor dem Zeitalter des gestrengen Makarenko.

Aber Hemmann wäre nicht Hemmann, wenn nicht auch dieses Buch zu einem Plädoyer für die Achtung vor den Kindern werden würde und Fedor im grausigen Kinderheim “W. I. Lenin” nicht neue Freunde finden würde. Nicht die einzigen übrigens, die in diesem Buch zeigen können, dass sie mutig und verantwortungsvoll sind. Es sind nicht die Kinder, die versagen, sondern stets die Erwachsenen – in diesem Fall eine ganze habsüchtige Bande, die glaubt, aus Fedors Unglück Kapital schlagen zu können.

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Das wird für viele Protagonisten in diesem Buch besonders gefährlich, denn wenn Geheimdienste, Einsatztrupps wie die OMON, waidwunde Minister und nationalistische Ballermanns in Aktion treten, dann gibt es Mord und Totschlag. In diesem Buch ganz geballt. Und auch die Freunde Sorokins bleiben nicht ungeschoren.

Glück hat er nur, weil er auch diesmal – wie im ersten Band – unerwartete Partner findet. Bis hin zum Präsidenten, der am Ende gar noch einen märchenhaften Auftritt mit Fedor bekommt. Filmreif, möchte man sagen, wenn denn ausgerechnet Hollywood Interesse an so einem Filmstoff finden würde.

Ein wenig steckt auch Tino Hemmanns ganz eigene Sicht auf das heutige Russland mit drin in dieser Geschichte, die sich stellenweise erheblich unterscheidet von den üblichen Interpretationsmustern in deutschen Medien. Und vielleicht hat er Recht. Vielleicht sollte man den Interpretationsmustern wirklich misstrauen. Nicht weil es in der russischen Politik vielleicht nicht so befremdend zugeht, wie es in der deutschen Presse zu erfahren ist – sondern weil der einseitige westliche Blick auch einengt: Man sieht nur, was zu den eigenen Interpretationsmustern passt. Und will es am liebsten mit Gewalt sofort ändern.Wohinter der durchaus westliche Glaube steckt, man könne die Welt und die anderen Nationen zu Glück, Gerechtigkeit und Demokratie nach europäischem Muster zwingen.

Das aber überspannt die Kräfte und Möglichkeiten der westlichen Demokratien bei Weitem. Und es verhindert auch all jene kleinen, so mühsamen Schritte, mit all den unverständlichen Nationen “da hinten hinter den Bergen” in einen Dialog zu kommen. Hinter dieser Überheblichkeit steckt auch ein wenig Verachtung. Als wäre man nun der weise Mann der Welt und brauche all diese dubiosen Leute da hinten nicht wirklich ernst zu nehmen. Doch das seit 1990 so gründlich veränderte Gleichgewicht in der Welt zwingt genau dazu.

Ob es so weit gehen muss wie im Finale dieses Buches, ist dann eher eine literarische Frage.

Aber wie sehr diese Welt-Fremdheit in uns sitzt, demonstriert Hemmann an den Leipziger Szenen in diesem Buch. Denn Kriminalkommissar Plattner, mit dem Sorokin befreundet ist, bekommt seinen eigenen kleinen Kriminalfall: Er ertappt zwei Rumänen mit Sorokins rotem BMW! Da ist der Jagdinstinkt geweckt und er setzt alles daran, die Burschen dingfest zu machen und den roten BMW zurückzuholen … wäre da nicht so eine kleine Note von Ungewissheit, die sich am Ende als entlarvendes Handlungsmuster erweist. Unsere Interpretationsmuster zu all den Menschen aus anderen Ländern haben wir ja verinnerlicht. Sie sind sofort präsent, wenn nur die Stichworte dazu geliefert werden. Da geht es Rattner wohl nicht anders als dem Leser.

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Auf Wiedersehen, Bastard! 2
Tino Hemmann, Engelsdorfer Verlag 2013, 12,00 Euro

Hemmanns Bücher sind ein fortgesetzter Versuch, solche Muster zu hinterfragen. Immer steht die eine Frage dahinter: Sind wir nicht genauso? Was unterscheidet uns denn wirklich von all den Menschen, auf die wir in unserem geschenkten Wohlstand so gern herunterschauen? Werden sie nicht von den selben Träumen und Leidenschaften getrieben wie wir selbst?

Uralte Fragen, die Hemmann gern mit jugendlichen Hauptdarstellern in actionreichen Büchern durchexerziert. Immer wieder gern ergänzt um durchaus ungewöhnliche erwachsene Charaktere wie den vierschrötigen Sorokin. Aber ein anderer würde solche Abenteuer wohl auch nicht heil überstehen.

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