Mit der Verknüpfung zweier eigentlich unvereinbarer Philosophen - Marx und Nietzsche - hat der einst in Ushgorod/Ungvar geborene Almos Csongár zumindest ein Kunststück fertiggebracht. Hinter dem natürlich auch ein kleiner, auch für Philosophen so wichtiger Geistesblitz steckt: Marx und Nietzsche sind die beiden modernsten Philosophen der deutschen Industrialisierung. Was aber hat ein Kater damit zu tun?

Das erklärt Csongár, dessen Geburtsstadt 1920 noch zur CSR gehörte, später zu Ungarn, dann zur UdSSR und heute zur Ukraine, und der nach der Niederschlagung des Faschismus seinen Lebensmittelpunkt in Ostberlin fand, in diesem Buch nicht. Der Grund ist simpel: Seine intensive Beschäftigung mit Nietzsche reifte erst nach diesem Kater-Buch zu Essays und durchaus mutigen Diskussionen in der DDR. Denn Nietzsche war bis weit in die 1980er Jahre hinein dort des Teufels, von den Nazis missbraucht und damit Müll der Geschichte.

Da ging es Nietzsche nicht besser als Marx, der in der DDR ein steinernes Denkmal war, aber keiner, den man wirklich ernsthaft zitieren durfte, wenn man seinen Posten als Dozent behalten wollte. Marx war kanonisiert – und darunter leidet die Marx-Rezeption bis heute. Dabei eint ihn mit Nietzsche tatsächlich der universale Versuch, der Geschichte wieder einen Sinn geben zu wollen, das Handeln und Sein des Menschen in der neuen Industriegesellschaft, die gerade zu ihrer Zeit erst zur Blüte heranreifte, begreifen zu wollen. Mit unterschiedlichen Ansätzen. Und unterschiedlichen Ergebnissen.

Heute stehen beide in den Regalen, noch immer in weiten Teilen kanonisiert – nur nicht darüber reden, welche Abgründe und Zwänge eine von der Massenproduktion und der Entfremdung des Menschen vom eigenen Selbst bestimmte Gesellschaft erzeugt. Zwänge, die nicht nur den Menschen krank machen, sondern auch die Erde gefährden mit all ihren einmaligen Ressourcen. Die Diskussion ist nicht ausgestanden. Bis heute nicht.

Sie wurde nur für fast 100 Jahre abgewürgt. Im Osten wurde sie durch einen Vulgär-Marxismus ersetzt, der sogar jedes Nachdenken über die heilige Moskauer Interpretation des Karl Marx untersagte. Das ganze Leben der Staatsbürger war mit Phrasen durchtränkt, die irgendwie an Marx erinnerten, aber nichts anderes mehr waren als geheiligte Makulatur. Was dem Leser dieses Katzenbuches durchaus auch auffallen wird. Selbst der doch eigentlich mit Nietzsche und dessen farbenfreudigen Stil aufgewachsene Csongár kann diesen Sprachmüll nicht ganz vermeiden, der von der bis heute so gern gedankenlos kolportierten Phrase “Das Sein bestimmt das Bewusstsein” bis zum staatsparteilichen Blödsinn von Basis und Überbau reicht.
Auch die Parteistrategen Ost ließen in dem Marx-Zitat vom Bewusstsein gern das wichtigste Wort weg: gesellschaftlich. – “Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.” Das hat dann nämlich viele und sehr wirksame Folgen – bis hin zu einem Herbst 1989. Denn dieser Satz von Marx bedeutete auch für die Gerontokratie Ost: Wenn die Gesellschaft verkorkst ist, ist auch das Bewusstsein verkorkst. Wenn falsches Denken regiert, führen alle Versuche, den Laden zu retten, zu falschen Ergebnissen. Oder um ein Adorno-Zitat, das 1989 gern verwendet wurde, zu bringen: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.

Das gilt immer. Auch heute.

Man muss es gar nicht so groß aufziehen. Es fängt auch schon im Kleinen an. Das ist dann eigentlich Csongárs Kater-Geschichte. Gewollt hat der der Philosoph, Dozent und Übersetzer eigentlich kein Tier in der Wohnung. Die treibende Kraft war, wie das oft so ist, seine Tochter. Die wollte eigentlich erst einen Hund, aber dann wurden es zwei Katzen, die sie eines Tages anschleppte und den kopfarbeitenden Vater vor vollendete Tatsachen stellte. Aber wie erzählt man das? – Csongár versucht etwas ganz Verrücktes: Er versucht diese Begegnung mit dem unbekannten Lebewesen Katze aus der Sicht seiner Tochter zu erzählen. Was eh schon eine Herkulesarbeit für einen männlichen Autor ist – nur den Besten gelang es bislang wirklich mit ganz viel Einfühlungsvermögen, auch eine weibliche Hauptgestalt zu erschaffen, aus der heraus sie ihre Geschichte erzählten. Nächste Hürde: der Generationenunterschied, der auch in den 1960er Jahren in der DDR spürbar und deutlich war.

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Und da ist man beim nächsten Spaß an diesem Buch: Es hätte eigentlich 1966 schon erscheinen sollen und lag wohl die ganzen vier Jahrzehnte in der Schublade des Autors. Es ist nicht nur die naive Haltung des Staatsbürgers zu seinem Staat und der Staatsmacht, die die Zeit und die kleinbürgerliche Idylle durchscheinen lassen, die das zweite Ulbricht-Jahrzehnt ausmachten. Es sind auch Daten, die Csongár so beiläufig einstreut. Die Schwärmerei für die sowjetischen Lunik-Raketen zum Beispiel oder den fast burschikos anmutenden Freudentanz über den ersten Weltraumausstieg eines Kosmonauten. Das war im März 1965.

Kleine Sentenzen, die auch zeigen, wie gesellschaftliche Propaganda das Bewusstsein selbst ihrer klügsten Denker beeinflusst und formt. Den meisten Menschen ist nicht wirklich klar, welche Macht mediale Ikonen und Stereotype tatsächlich haben.

Dass der große Philosoph Csongár in die Haut der Erzählerin geschlüpft ist, kann er nicht verbergen. Es sind seine Gedanken, die das 17-jährige Töchterlein denkt – lauter Philosophengedanken über das Leben, die Kopfarbeit und die seltsame Rolle der Tiere in unserem Leben. Denn als die Katzen erst einmal da waren, änderte auch Papa Philosoph nicht nur seine Meinung, er änderte auch sein Leben. Nicht nur, was die körperliche Bewegung betrifft, sondern auch, was seinen eigenen Umgang mit den Lebewesen um ihn herum betraf. Wozu dann auch Frau und Tochter gehören.

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Mein Kater der Philosoph
Almos Csongár, Patchworldverlag 2013, 18,00 Euro

Allzu viel Philosophisches gibt der Kater zwar nicht von sich – er lebt sein zum Teil recht rebellisches Katerleben, auch mit zum Teil gravierenden Folgen. Es streunen ja nicht nur zeugungsbereite Katzenexemplare durch die Nächte Berlins, es sind auch Menschen mit Luftgewehren unterwegs, die Katzen gern als Zielscheibe benutzen. So leidet dann eine ganze Familie mit, lernt aber auch wieder miteinander zu kommunizieren und am gemeinsamen Essenstisch diese Gemeinsamkeit zu genießen. Es sind nicht die Tiere, die philosophieren, sondern die Menschen, die durch die Gegenwart der Tiere zum Nachdenken gebracht werden.

Auch und gerade über das, was ihnen selbst im Leben wichtig ist. Indem Csongár in die Rolle seiner Tochter schlüpft, belichtet er im Grunde sich selbst – als Stubengelehrten des Jahres 1965, der erst wieder Lebenszeichen zeigt, als ein selbstbewusster Kater beginnt, die Regeln zu hinterfragen.

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