Am 8. März wurde im Museum der bildenden Künste die Ausstellung "Es drängt sich alles zur Landschaft ..." eröffnet. Der Spruch stammt aus einem Brief des Malers Philipp Otto Runge von 1802. Den hat sich Ausstellungskurator Frédéric Bußmann zum Maßstab gemacht, als er die Landschaftsbilder des 19. Jahrhunderts aus dem Fundus des Museums holte. Oder besser: holen ließ.

Denn wenn man solche Ausstellungen aus eigenen Beständen macht, dann müssen in der Regel erst einmal die Restauratoren ran. Viele Bilder sind seit Jahrzehnten nicht mehr gezeigt worden, viele seit ihrer Spende ans Museum oder ihrem Ankauf restauratorisch nicht mehr angefasst worden. Manche haben auch bei diversen Umzügen oder den Auslagerungen im 2. Weltkrieg heftige Schäden erlitten. Deswegen ist Vieles von dem, was da nun bis zum 22. Juni im Untergeschoss des Museums zu sehen ist, erstmals in dieser Farbenpracht zu sehen. Farbenpracht, die einst bürgerliche Wohn- und Repräsentationsräume erfüllte. Fast wünschte man sich, der Bürgerverein im Waldstraßenviertel hätte nun endlich doch sein ewig geplantes Gründerzeitmuseum zustande gebracht. Dann könnte man vielleicht in einem originalgetreuen Interieur sehen, wie so ein Bild wirkte in hochherrschaftlichen Räumen.

Denn auch wenn Leipzigs Kommerzien-, Hof- und sonstigen Räte, wenn sie nicht gar eine der eindrucksvollen Villen an der Weststraße besaßen, zwar zur Miete – ahmten aber bewusst den luxuriösen Lebensstil des Adels nach. Das mit dem Streben nach Höherem hatte das Leipziger Großbürgertum tief verinnerlicht (das Kleinbürgertum auch, aber das spielt hier mal keine Rolle), und dieses Streben zielte immer auf die höhere Klasse, den nach wie vor dominierenden Adel. Da strebten die Herren Kommerzienräte nicht nur nach Titeln und Ehrenämtern, sondern waren auch glücklich, wenn sie ein von und zu verliehen bekamen.

Die Welt der großbürgerlichen Salons im 19. Jahrhundert war eine Übergangswelt. Auch in den Bildmotiven. Gesammelt hatten Leipzigs reiche Bürger auch schon früher. Doch im 19. Jahrhundert änderte sich die Auswahl der Bilder. Man kaufte nicht mehr drauflos, was der Markt so an alten Niederländern, gefälschten Italienern und Franzosen zu bieten hatte, sondern schaffte sich Kunst im Salon auch an, um Bildung zu zeigen. Frei nach Goethe, Schiller und Winckelmann. Es dominierten antike Landschaften mit Schäfern, Psychen und sonstigen Gestalten aus der Literatur der Griechen und Römer. Einiges davon ist auch in der Ausstellung zu sehen.Doch es kündigte sich ein neues Zeitalter an. Das steckt in dem ausgewählten Runge-Spruch, der in etwas ausführlicherer Form so lautet: “bey uns geht wieder etwas zu Grunde, wir stehen am Rande aller Religionen, die aus der Katholischen entsprangen, die Abstractionen gehen zu Grunde, alles ist luftiger und leichter, als das bisherige, es drängt sich alles zur Landschaft …” – Das ist schon ein paar Jährchen vor Nietzsche geschrieben. Und ein paar Jahre vor Heine. Man muss es mitbedenken, was das für eine neue Welt ist, die sich da herantrommelte und frühzeitig Leute zum Nachdenken brachte. Was ist das für eine Welt, in der es keine Götter mehr gibt?

Runge selbst und seine Malerkollegen aus dieser Zeit, die man für gewöhnlich Romantik und Spätromantik zuordnet, verließen zwar zum Malen ihre Ateliers noch nicht. Aber ihre Bildmotive begannen sie draußen in den realen Landschaften zu suchen. Die ab und zu noch zu “idealen Landschaften” gerannen auf der Leinwand. Aber tatsächlich erzählt dieser frühe Aufbruch ins Offne (der parallel auch in der Literatur geschah) vom Versuch, die reale Welt in ihrer Faszination und emotionalen Gewalt zu erfassen. Nicht zu vergessen: Die Romantik war immer eine Erscheinung des Übergangs. Sie will zwar auf die Götter und die ganze antike Ästhetisierung verzichten, aber sie kommt noch nicht ohne das verklärende Verhältnis zur Natur aus. Die gesehene Landschaft wird zur großen Bühne. Und das wird sich ein Jahrhundert lang nicht wirklich groß ändern.

Auch wenn im frühen 19. Jahrhundert noch die italienischen Landschaften dominieren und sich ganze Malerkolonien aus Deutschland im Sehnsuchtsland der Deutschen niederließen. Doch schon mit Caspar David Friedrich beginnt die Entdeckung der mitteleuropäischen Landschaft. Auch als Bühne für die hineingelegten emotionalen Deutungen. Das, was dann die bärtigen Denker der Nation so gern als Innigkeit und Innerlichkeit sehen wollten, als es darum ging, der zusammengeflickten Nation eine Art besonderen Charakter zuzuschreiben, der sie von anderen – zum Beispiel den “oberflächlichen Franzosen” – unterschied. Deswegen wimmelt es von Burgen, Klüften, tosenden Wasserfällen, Stürmen und Unwettern, Mondscheinspiegelungen und verträumten Sennerinnen.

Es dauerte ein Weilchen, bis sich die Landschaftsmalerei gegen die zuvor gepflegte Historienmalerei durchsetzte. Aber spätestens Mitte des 19. Jahrhundert hatte sie die Salons des aufstrebenden Bürgertums erobert und wurde für eine ganze Reihe von Malern zu einem einträglichen Erwerb. Der nicht immer nur die marktgängige Idylle schuf. Es gibt auch in diesem Katalog einige Künstler zu entdecken, die ihre Arbeiten in und nach der Natur wie wissenschaftliche Studien betrieben, sich intensiv mit Wetter, Wolken, Lichtphänomenen beschäftigten und Gemälde schufen, die wie moderne Fotografien wirken.
Bußmann hat die Bilder im Katalog nicht in chronologischer Reihenfolge und auch nicht nach Schulen geordnet. Das ist schwer möglich. Die Übergänge waren fließend. Weder verschwand das Romantische völlig, noch die theatralische Inszenierung von Landschaft.

Dem umfangreichen Tafelteil, in dem die Landschaftsbilder farbig zu sehen sind, folgt ein genauso ausgiebiger Kommentarteil, der zu jedem einzelnen Bild noch ein Glossar liefert mit den Lebensdaten der Künstler, von denen viele heute vergessen sind, und ihre Bedeutung in der Kunstentwicklung der Zeit. Es gibt kleine Analysen zu den Bildern und da und dort Hinweise darauf, wie das Bild in die Sammlung des Leipziger Kunstvereins und später ins Bildermuseum gelangte. Ganz am Ende gibt es auch noch einen kleinen Abschweif zur französischen Landschaftsmalerei des späten 19. Jahrhunderts, die im Leipziger Bildermuseum jahrzehntelang ignoriert worden war – übrigens genauso wie die Entwicklung des deutschen Impressionismus. Aber durch diverse Schenkungen kamen auch Beispiele aus dieser parallelen Kunstentwicklung ins Haus und zeigen jetzt, wie unterschiedlich Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert interpretiert werden konnte. Da und dort sieht man aber auch ähnliche Entwicklungen.

Die Italienbilder verschwanden nie völlig aus dem Repertoire der deutschen Landschaftsmaler. Auch wenn sich der Blick auf das Land völlig wandelt. Denn mit der Entwicklung moderner Transportmittel und dem modernen Tourismus, veränderte sich auch der Blick auf Ruinen, idyllische Städtchen und Einheimische. Jetzt suchte man nicht mehr die Landschaft der Antike, sondern das Exotische und Frappierende. Es steckt schon viel vom heutigen touristischen Voyeurismus in einigen Bildern. Bis hin zum Blick des Abenteuerreisenden, dem die erwanderten Landschaften gar nicht bizarr genug sein können.

So gesehen ist es eben nicht nur die theoretische Beschäftigung der Künstler mit dem Medium Landschaftsmalerei, wie es bei Bußmann im Mittelpunkt steht, sondern auch eine in Öl gefasste Weltsicht des sich etablierenden Großbürgertums. Die durchaus ihre Spannbreite hatte von der Sensationslust bis hin zur Böcklinschen Überhöhung. Brennendes Dampfschiff versus Toteninsel. Zwei Extreme, die einem im Medienspektrum des 21. Jahrhunderts durchaus vertraut vorkommen. Auch wenn das heute alles im Stakkato konsumiert wird und diese großen, farbenprächtigen Landschaftsbilder in den Büros moderner Manager geradezu fehl am Platz wirken würden.

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Es drängt sich alles zur Landschaft
Kerber Verlag 2014, 32,00 Euro

So gesehen steckt in vielen der hier versammelten Bilder auch die Sehnsucht ihrer Besitzer nach einem anderen, ruhigeren Tempo, nach einem Ankerpunkt außerhalb des jagenden Geschäfts. Gerade zu dem Zeitpunkt, als Landschaft in den Kreislauf der kompletten Verwertbarkeit geriet, schuf sich so der rackernde Bürger ein Bild von Unzerstörtheit und kosmischer Weite, schön gerahmt im Wohnzimmer. Erstaunlich, dass zum Ende des 19. Jahrhunderts parallel auch die Bilderwelt der rauchenden Schlote entstand – aber auch sie findet sich nicht in dieser Ausstellung und in diesem Katalog.

Die Sehnsucht des Bürgers ging sehr wohl weiter in unversehrte Fernen, während über Leipzig hunderte Schlote qualmten. Weltflucht in Öl. Auch das eine Art Innerlichkeit, die mal bezaubert, bei einigen Malern aber auch beeindruckt. Da möchte man den Klimbim einfach liegenlasen und losfahren – in der Hoffnung, dort auf keine Touristen zu treffen und auf echte, wilde, unberührte Natur. Die seitdem wie ein großer Traum über uns schwebt. Während wir sie Stück um Stück verwerten.

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