Im Jahr 2016 feierte das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Leipzig. Den 100. Geburtstag irgendwie, auch wenn das Ganze erst einmal als Institut für Zeitungskunde begann, gegründet mitten im Weltkrieg durch den Wirtschaftswissenschaftler Karl Bücher. Es gab eine Menge Gründe, sich dieser 100 Jahre zu erinnern – und auch noch ein ordentliches Buch draus zu machen.

Das Geburtstagsbuch sieht von außen nicht gleich wie ein Geburtstagsbuch aus. Aber die Autoren um Herausgeber Erik Koenen sind ja schon lesbar froh, dass es überhaupt noch zu einer Publikation gekommen ist. Denn auch wenn man sich 100 Jahre lang mit Kommunikation beschäftigt, heißt das nicht unbedingt, dass man zum Jubiläum schnell mal ein ordentliches Buch raushaut. Was auch daran liegt, dass Kommunikationswissenschaft ein ganz weites Feld ist mit Interessen, die ständig in alle Richtungen ziehen.

Nur für den Außenstehenden scheint die Sache einfach: Na, die bilden doch Journalisten aus. Das ist doch ihre Aufgabe, oder?

Aber so sah es auch Karl Bücher nicht, der 1909 – zum 500-jährigen Jubiläum der Universität – längst ein anerkannter Wirtschaftswissenschaftler war, als er die Ideen zu einer universitären Journalistenausbildung konkretisierte. Denn für ihn gab es dafür zwei gute Gründe: einmal das Wissen darum, dass Presse zuallererst einmal pure Wirtschaft ist und damit Journalismus auch immer den Prinzipien von Angebot und Nachfrage unterliegt – und damit immer im Konflikt steckt zwischen der (selbstgestellten) Aufgabe, für gesellschaftlich relevante Themen eine unabhängige Öffentlichkeit herzustellen, andererseits aber immer auch den Verkaufszwängen des Mediums unterliegt – ohne Leser (und damals war ja Presse = Print) keine Aufmerksamkeit. Es brauchte also eine journalistische Profession, die Leser auch gut zu unterhalten und den Stoff spannend und gut darzubieten.

Aber – und das war Büchers eigene Erfahrung aus früherer Journalisten-Tätigkeit: Journalisten brauchten auch wissenschaftlich fundierte Kenntnisse möglichst über die Bereiche, über die sie berichteten.

Und besonders entsetzt war Bücher dann über das, was in den deutschen Zeitungen nach Ausbruch des Weltkrieges geschah. Das war für den Mann, der sich neben seiner wirtschaftswissenschaftlichen Arbeit immer auch mit dem Pressewesen beschäftigt hatte, unter aller Kanone, ein Absturz der journalistischen Maßstäbe, dem man nur mit einer fundierten Hochschulausbildung gegensteuern konnte. So empfand es Bücher. Und so sahen es auch Universität, Bildungsministerium und Verleger. Denn die Einrichtung erst des Instituts und dann 1926 auch des ersten richtigen Lehrstuhls wurde auch deshalb möglich, weil der erfolgreiche Leipziger Verleger Edgar Herfurth (der die „Leipziger Nachrichten“ zu den „Leipziger Neuesten Nachrichten“ und damit zur erfolgreichsten Zeitung der Messestadt gemacht hatte) Geld für eine Stiftung gab. Vorbild war der amerikanische Verleger Joseph Pulitzer, genauso wie es Ideen aus den USA waren, die Bücher frühzeitig dazu brachten, über die Einrichtung einer akademischen Journalistenausbildung auch in Deutschland nachzudenken.

Die Autoren der Beiträge für dieses Buch gehen die ganzen 100 Jahre schön systematisch an und zeigen so auch, wie aus Büchers Idee mit der Berufung des ersten Lehrstuhlinhabers Erich Everth 1926 noch ein weiterer Aspekt gestärkt wurde: die Forschung. Auf einmal standen auch Soziologie, Ethik, Kommunikation auf dem Tableau, begann eine Wissenschaft, die eigentlich noch gar keine war und die auch in den nächsten 90 Jahren verzweifelt versuchen würde, sich zu konzentrieren.

Ihr Hauptproblem: Die Leute, die „was mit Medien“ studieren wollen, wollen in der Regel keine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen, sondern sich für ihren Job als Journalist fit machen, also vor allem Praxis lernen, nicht so sehr Theorie anhäufen. Und dazu kommen dann auch noch die Rahmenbedingungen. Denn wenn ein Metier wie der Journalismus als Hauptaufgabe begreift, eine unabhängige Öffentlichkeit herzustellen, dann sind die Politiker nicht weit, die darauf nur zu gern Einfluss nehmen möchten.

Und das war 1933 so weit, als gegen Everth ein regelrechtes Kesseltreiben veranstaltet wurde und der Lehrstuhl postwendend in den Dienst der NS-Ideologie gestellt wurde. Dass es auch solche obskuren Blüten am Zweig der Kommunikationswelt gab wie Propaganda, Werbung und PR, das hatte man auch in der Weimarer Republik schon begriffen. Und schon Bücher hatte sich besorgt gezeigt, dass zwischen Werbung und Berichterstattung keine Trennlinie existieren würde.

Fast wäre man nach den ersten Beiträgen geneigt, die ideologische Einvernahme des Lehrstuhls in der NS-Zeit und die in der anschließenden Re-Ideologisierung in der SBZ und der DDR gleichzusetzen. So ganz einig sind sich auch die Autoren dieses Bandes in dieser Einschätzung nicht.

Aber wenn sich das Institut unter Leitung von Hans Amandus Münster in der NS-Zeit völlig desavouiert hatte, so erweist sich die Zeit danach tatsächlich als durchwachsen. Und es stellt sich heraus, dass eigentlich immenser Forschungsbedarf besteht. Das einschlägige Werk zur Geschichte des Instituts in der DDR-Zeit ist 1992/1993 einfach nicht zustande gekommen. Und augenscheinlich hat sich auch in der Folgezeit niemand gefunden, der das Material einfach einmal unparteiisch und kritisch unter die Lupe genommen hätte.

Was teilweise damit zu tun hatte, dass die alte Sektion Journalistik mit der „Wende“ einfach komplett abgewickelt wurde, weil sie aus Sicht der neuen Regierung in Dresden zu sehr ideologisch belastet war, 1993 dann praktisch eine Neugründung erfolgte, die mit ihrer breiten Fächerung bis heute einzigartig in der Bundesrepublik dasteht. Zum Verhängnis der Sektion Journalistik wurde natürlich auch, dass sie eigentlich nach Willen der allwaltenden SED gestählte Kader für die sozialistische Presse formen sollte. Der Lehrplan war vollgestopft mit der verkopften Theorie des Marxismus-Leninismus. Und 1978 prägte Brigitte Klump für diese Lehreinrichtung den bis heute umgehenden Begriff „Das rote Kloster“. Ihr Buch erschien natürlich im Westen.

Wie sehr sie damit auch anderen Absolventen dieses Studiengangs aus der Seele sprach, erkundet diese Sammlung nun leider nicht. Denn es gehört auch zur Tragik des Journalismus in der DDR, dass der Leipziger Studiengang der einzige akademische Studiengang für Journalisten und artverwandte Berufe in der DDR war. Wer Karriere machen wollte, musste hier durch. Nur deuten gerade die Passagen zu den Professoren, die in der DDR-Zeit an der Sektion lehrten, an, dass es nicht bloß um lauter Rotlichtbestrahlung gegangen sein kann, sondern die journalistische Praxis eigentlich den Schwerpunkt bildete.

Nur erfährt der Leser nicht, ob dabei auch gute Journalisten herausgekommen sind oder nur die üblichen Leitartikelschreiber, die die Tagespresse im Osten so unlesbar machten. Dass es so ganz eindeutig nicht gewesen sein kann, zeigen schon die Passagen über Hermann Buzislawski, der als Professor und Direktor die frühen Jahre bis 1962 prägte und den einige seiner Schüler als durchaus kompetenten und praxiserfahrenen Mann erlebten, den sie zwar nicht als prägenden Wissenschaftler erlebten, aber als einen geachteten Publizisten, der vor allem Praxiserfahrung vermittelte und seine Karriere schon im liberalen Zeitungswesen der Weimarer Republik gemacht hatte. Später war er auch namhafter Herausgeber der „Neuen Weltbühne“ gewesen. Und einige Exkurse im Buch deuten darauf hin, dass er sich als Institutsdirektor immer unwohler fühlte und auf seine Abberufung drängte.

„Auch Hermann Buszislawski musste in der frühen DDR Anfeindungen und Eingriffe in seine Karriere erdulden“, schreiben Michael Theyen und Thomas Wiedemann. „Dies könnte einer der Gründe dafür sein, dass seine Studenten akademischen Ehrgeiz vermissten.“

Und sein Schüler Karl-Heinz Röhr, der selbst Professor an der Sektion wurde, wird mit den Worten zitiert: „Belesen, analytisch, kreativ, anregend, mehrsprachig. Ich habe ihn verehrt.“

Man spürt, dass nicht nur diese frühe Zeit (die ja auch von der Vertreibung von Ernst Bloch und Hans Mayer aus Leipzig geprägt war) nach wie vor nur punktuell erkundet ist. Bis hin zu den Absolventen von Institut und Fakultät. Denn unter Budzislawski studierte und assistierte auch ein gewisser Reiner Kunze, den man ganz gewiss nicht als unkritischen Parteisoldaten bezeichnen kann. Über ihn stolpert man zum Beispiel in einigen Texten des begnadeten Feuilletonisten Heinz Knobloch, der Kunze just bei einem Fernlehrgang an der Leipziger Journalistik-Fakultät kennenlernte und zum Schreiben von Feuilletons ermutigt wurde. Über diese Fernlehrgänge findet man im Buch genauso wenig wie über die Assistenten am Institut und Sektion oder die tatsächlich erfolgreichen Absolventen. Gab es keine?

Oder wie wirkte sich die Indoktrination des Faches tatsächlich aus? Man ahnt, wie groß die Lücke in der Forschung tatsächlich ist, die durch die nicht geschriebene Geschichte der DDR-Zeit tatsächlich klafft. Auch ein begnadeter Journalist wie Landolf Scherzer hat am „Roten Kloster“ studiert, der mit Reportagebüchern wie „Fänger und Gefangene“ (1983) und „Der Erste“ (1988) zeigte, was hochkarätiger Journalismus sein konnte.

So ganz daneben kann das Studium nicht gewesen sein. Eher wird es ein moralisches Dilemma gewesen sein – für Professoren wie Studierende. Aber damit wollte sich augenscheinlich nach 1990 niemand beschäftigen – und in der Gegenwart ist das Institut eher ein kleiner Kontinent von kleinen Königreichen, wo jeder um Ressourcen und Einfluss kämpft. Da bleibt für die Erforschung der eigenen Geschichte wieder keine Zeit. Obwohl diese  Sammlung natürlich ein guter Einstieg wäre, denn sie zeigt erstmals sowohl den Reichtum dieser 100 Jahre als auch ihre Verwerfungen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass auch die Zeit von Bücher und Everth lange Jahrzehnte regelrecht verschüttet war. Und die Autoren des Bandes stellen nicht unbedingt fest, dass das alles überholt ist. Manche der damals aufgeworfenen Themen sorgen noch heute für Diskussionen – in wesentlich breiterem Rahmen, denn es gibt ja nicht mehr nur die gedruckte Zeitung als einziges Leitmedium, sondern einen ganzen Strauß von konkurrierenden Medien, die alle um die Aufmerksamkeit der Nutzer und Leser buhlen. Und am leichtesten haben es die, die es ihrem Publikum auch am einfachsten machen, sich einfach einlullen zu lassen. Harte Zeiten für Journalisten, die noch wirklich hart daran arbeiten, Öffentlichkeit zu schaffen.

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