Natürlich ist die Leipziger Grafikerin Miriam Zedelius mit ihrem Bilderbuch auch zur Buchmesse unterwegs, lässt kleine Leser und ihre Eltern mit eintauchen in die Welt des ersten Buches. Das nun einmal meist ein Bilderbuch ist. Wer mit Büchern aufwächst, erlebt viel mehr Welt. Denn Bücher sind Tore in die Phantasie, und die besten geben der Phantasie des kleinen Zuhörers richtig Zunder.

Was in diesem Buch, dessen zugrunde liegende Geschichte Lorenz Pauli geschrieben hat, nicht erst auf Seite 1 beginnt, sondern schon viel früher – auf der Innenseite des Buchdeckels. Denn hier geht es los. Bei jedem Buch. Jeder Leser weiß das. Man öffnet ein Buch wie eine Schatzkiste. Man weiß, dass was drin ist – aber nicht, was. Man liest den Buchtitel, Autoren- und Verlagsname und versucht sich schon mal vorzustellen, was das für eine Geschichte sein könnte, in der eine kleine Maus einem großen grünen Drachen ein dickes blaues Buch in den Rachen schmeißt.

Aber tatsächlich ist das schon die Geschichte in der Geschichte. Denn alles beginnt damit, dass Juri angehüpft kommt und Frau Asperilla sein Geschenk zeigt. Das hat er vom Herrn Schnippel bekommen.

Und oha, sagt sich der Leser: Die kenn ich doch! Im letzten Kinderbuch von Lorenz Pauli und Miriam Zedelius musste doch der Herr Schnippel auf den Juri aufpassen und am Ende hat Juri eher auf den Herrn Schnippel aufgepasst und ihm erklärt, wie man sich als ordentlicher Aufpassberechtiger zu benehmen hat.

Aber der Herr Schnippel hat es augenscheinlich nicht krummgenommen und Juri jetzt ein Buch geschenkt – mit einem Drachen drauf, der von einer kleinen weißen Maus ein blaues Buch in den Rachen geschmissen bekommt. Alles klar.

Alles klar?

Nicht unbedingt.

Denn bei Pauli und Zedelius geht es eigentlich immer um die Abenteuer, die Kinder mit ihren Erwachsenen erleben. In diesem Fall also Frau Asperilla, die mit Büchern so ihre eigene Art hat umzugehen. Vielleicht, weil sie so erzogen wurde, alle Dinge so zu nehmen, wie sie gesagt werden oder geschrieben sind. Solche Menschen gibt es. Eigentlich sind sie meistens klein, haben Stupsnasen und große Ohren und lassen sich was vorlesen.

Aber wie man sieht, sind die Rollen verkehrt und zwischen Juri und Frau Asperilla entwickelt sich eine ganz eigene Geschichte, weil Juri nun erklärt, wie man Bücher lesen muss. Und dass Frau Asperilla augenscheinlich etwas völlig missverstanden hat, weil sie versucht, die Seiten zu scrollen, die Bilder großzuziehen mit zwei Fingern und fürs Weiterlesen mit dem Finger über die Seiten wischt. Was ja nun wirklich nicht funktioniert. Kinder wissen sowas.

Aber Pauli und Zedelius wollen noch viel mehr mit der Geschichte. Denn selbst erfahrene Bilderbuchbenutzer wie Juri machen sich eher gar nicht bewusst, was eigentlich beim Buchblättern passiert, wie schon das Umschlagen einer Seite den Leser in eine völlig neue Geschichte stürzen kann. Man weiß ja wirklich nie, was jetzt gleich passiert. Und die Bücher, bei denen man das vorher weiß, die kann man nehmen und zur Blauen Tonne bringen. Die sind langweilig. Die sind von Leuten geschrieben, die keine Phantasie und keine Ahnung haben. Und meist auch nichts zu erzählen.

Echte Langweiler, die besser Fußballspieler geworden wären.

Es kommen zwar logischerweise keine Fußballspieler vor in dem Buch, aber wo man so einen Gedanken schon mal hat: Warum tauchen lauter langweilige Fußballspieler eigentlich als überbezahlte Kommentatoren in unserem Fernsehen auf? Aber keine Kinderbuchautoren oder Kinderbuchmalerinnen? Die ja nun einmal viel lustiger, phantasievoller und lebendiger sind? Warum nicht? Kann es sein, dass unsere Fernsehmacher dumm sind und glauben, man müsse langweiligen Balltretern viel Geld dafür geben, dass sie ein langweiliges abgefilmtes Fußballspiel auch noch mit rasenkurzem Gesülz bereichern?

Nur so als Frage.

Ich weiß, dass ich von unseren Fernsehmachern nie eine Antwort bekommen werde. Das ist unter ihrer Würde. Und unter ihrer Einkommensstufe.

Deswegen empfehle ich ja jedem, die Quatschkiste schleunigst zu entsorgen – sie sorgt nur für unterirdische Langeweile. Und das Geld stattdessen lieber für Bilderbücher auszugeben. Zumindest wenn ein kleiner Juri in der Nähe ist – oder eine Julia. Die Kleinen werden sich diebisch freuen und bei jeder Vorlesestunde richtige Abenteuer im Kopf erleben. Wenn sie nicht gerade wie Juri draußen herumtoben und Herrn Schnippel zeigen, wie man auf kleine Jungen aufpasst.

Oder mal so gesagt: Wer Kinder vor den Fernseher setzt, stiehlt ihnen die Phantasie.

Musste jetzt mal gesagt sein. Hat nichts mit Old Knasterbart-Sarrazin zu tun. Der hat ganz bestimmt zu viel deutsches Fernsehen inhaliert und ganz bestimmt zu wenige Kinderbücher gelesen. Da wird man so. So knasterig.

Sie sehen schon: Kaum blättert man um, geht die Phantasie mit einem durch.

Was auch Juri und Frau Asperilla immer wieder passiert. Da muss Juri seine Vorleserin schon mal zurechtstutzen, damit sie nicht aus lauter Schreck vor lauter schrecklichen Vorahnungen das Buch zuschlägt und nicht weiterliest. Denn in der Geschichte in der Geschichte im Buch geht es jedes Mal ganz anders weiter, als Frau Asperilla vorher gedacht hatte. So, wie das in guten Büchern ist. Vielleicht kennt sie ja wirklich nur schlechte. Aber mehr darf man eigentlich über dieses kess und frech von Miriam Zedelius bebilderte Buch gar nicht verraten.

Außer dass das „Oje“ im Titel nicht das geseufzte Oje aus Ojemine sein kann, sondern ein überraschtes „Oje!“. So, wie es richtige Leser ausstoßen, wenn sie das Papier vom Geschenk abgewickelt haben und den Inhalt in Händen halten. Und richtige Leser wissen, was das für ein Moment ist, wo man das Buch mit seinem Einband in der Hand hält, noch ganz druckfrisch, noch ganz ungelesen. Und man weiß nur eins: Da steckt eine Geschichte drin – und erst hinterher, wenn man sich richtig gesonnt, gefreut, gefürchtet oder vollgesogen hat mit Dingen, die im Kopf passieren, weiß man, was es für eine Geschichte war.

Lesetermine zur Buchmesse:

  1. März, 16 Uhr, Umweltbibliothek Leipzig, Bernhard-Göring-Str. 152 (Haus der Demokratie)
  2. März, 16 Uhr, Kinderbuchladen Serifee, Karl-Liebknecht-Straße 36

Wenn der Herr Schnippel schon mal auf den Juri aufpassen soll …

Wenn der Herr Schnippel schon mal auf den Juri aufpassen soll …

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