Der Österreicher Paul Braunsteiner ist Maler, Musiker, Filmemacher, Schauspieler und auch Autor. Einer, der sich in seiner Lust am Kunstmachen nicht bremsen mag. Und der ein mittlerweile sehr angespanntes Verhältnis hat zu dem, was einem in deutschsprachigen Landen so als Krimi vorgesetzt wird, egal, ob als Buch oder als Abendfilm, wo Kommissare auch noch in der entlegendsten Provinz agieren, als wären sie ein Klon von Inspektor Columbo, mufflige Supergehirne, die mit stereotypen Sprüchen davon ablenken, dass sie den Täter längst im Visier haben.

Vielleicht ist das so. Aber Braunsteiners Krimigroteske, die er im Leipziger Einbuch Verlag veröffentlicht hat, spielt eindeutig mit diesem Überdruss an den Tatorten und Sokos, mit denen öffentlich-rechtliche Sender die Pantoffelkinos beglücken. In denen die Drehbuchschreiber immer wieder dieselben Phrasen verwenden, dieselben Dramaturgien, dieselbe Dramatik, gern auch mit dramatischer Orchestermusik unterlegt, sodass man durchaus das beklemmende Gefühl bekommen kann, in einem Land finsterer Mächte und allgegenwärtiger Todesgefahr zu leben.

Und die Leute ziehen sich das Zeug rein, die großen Magazine schreiben dramatische Besprechungen, die ahnen lasen, dass die hochbezahlten Redakteure wohl tatsächlich ganze Abende vor der Glotze verbringen.

Das verändert natürlich die Weltsicht. Auch die auf das, was man so Provinz nennen kann, in der Krimis schon mal zum Heimatfilm werden und die dort Lebenden zu Exoten mit komischer Sprache. Stereotype funktionieren im Fernsehen immer wieder. Sie sind so schön zum Bedudeln. Also setzte sich Braunsteiner hin und schrieb das absolute Gegenteil eines üblichen Krimis. Er bezeichnet das, was er den zum Urlaub in einem Nest namens Untergestäng weilenden Oberhauptkommissar Brunzer erleben lässt, als Kriminalgroteske.

Und er verzichtet auf keine Gelegenheit, seine ermittelnden Polizeier – neben Brunzer auch noch die beiden Dorfpolizisten mit den sprechenden Namen Festnehmer und Einbuchter und seine beiden herbeizitierten Assistenten aus der Stadt – zu überzeichnen und die allwissende Klugscheißerei aus den Gutenachtkrimis zu persiflieren.

Insbesondere seinen Oberkommissar lässt er sich aufplustern wie ein Pfau, dem die eigene Genialität zu Kopf gestiegen ist. Und die Autorität seines Titels erst recht. Immer wieder kombiniert er vor versammelter Mannschaft gnadenlos logisch, wer jetzt gerade der Täter gewesen sein musste und mit welchem üblichen Mordinstrument er zu Werke gegangen sein muss (weil das so im Polizeihandbuch steht).

Und eigentlich liegt er jedes Mal gründlich daneben, wird aber für seine genialen Zirkelschlüsse allseits bewundert. Was echten Kommissaren im normalen Polizeialltag in der Regel nicht geschieht. Berühmt und bejubelt werden nur Fernsehkommissare. Meistens für ihre Kauzigkeit und ihr misstrauisches Grunzen.

Die meisten der von Brunzer als Täter Identifizierten liegen dann ein wenig früher oder später tot in der Gegend herum. Auf die meisten Anforderungen, die man bei der Tatortuntersuchung erwartet, verzichtet der urlaubende Kommissar kurzerhand, der die Ermittlungen an sich zieht, aber über seine Ansichten und Einsichten am liebsten vor großem Publikum im Dorfgasthof räsoniert, ohne dass auch nur ein Fünkchen mehr Erkenntnis über die jeweils zu Tode Gebrachten dazukommt.

Und man stolpert auch noch über einen zweiten Effekt, mit dem schlechte Drehbuch- und Krimischreiber versuchen, ihre lahme, weil nicht erlebte Geschichte mit Dramatik aufzupeppen. Denn für gewöhnlich droht der Täter ja der Polizei durch die Lappen zu gehen, weil sie zu langsam ermittelt. Die Zeit läuft, die Filmminuten schmelzen weg.

Aber in Untergestäng geht alles geruhsamer zu. Der Tagesablauf ist streng geregelt. Mittags und abends findet sich das halbe Dorf pünktlich im Dorfgasthof ein, lässt alles stehen und liegen, was eben noch getan wurde. Und auch Brunzer und seine anbetenden Helferlein handeln genau so. Kaum haben sie sich bemüht, einen der Tatorte aufzusuchen, läutet schon wieder die Mittagsglocke.

Sie reden jede Menge, all dieses besserwisserische Zeug, mit dem Krimi-Publikum meist beeindruckt wird und das Expertentum vortäuscht, wo die Autoren in der Regel null Ahnung haben. Und kaum haben sie sich – gern auch im Dialekt – allerlei raunzige Phrasen an den Kopf geworfen, müssen sie schon wieder zur Abendtafel in den Gasthof. Kein Wunder also, dass die Tage verfliegen, Brunzers Urlaub sich abspult, die Leichen sich häufen und am Ende nicht mal mehr einer die Lust verspürt, sich die Hingemeuchelten überhaupt noch näher anzuschauen.

Braunsteiners Geschichte wird eine Art Reigen, in dem immer neue Gestalten mit sprechenden Namen auftauchen – und alsbald wieder aus der Handlung fallen, weil sie von einem Dorfbewohner tot aufgefunden werden. Gestandene Krimileser wird diese Geschichte regelrecht in den Wahnsinn treiben, vielleicht aber auch ermuntern, die geliebten Krimihelden mal mit etwas kritischerem Blick zu betrachten, all diese Superhirne, die selbst die vertracktesten Fälle mit ein paar logischen Kombinationen und Geistesblitzen lösen. Was in der Regel nicht funktioniert, weil auch Ganoven wissen, wie man trickst, falsche Fährten legt und die Gesetze so anwendet, dass emsige Polizisten hilflos vor verschlossener Tür stehen, weil sie keinen Durchsuchungsbefehl bekommen haben.

Und ein paar dieser cleveren Ganoven tauchen dann am Ende der Geschichte auch auf, ziemlich überraschend. Es sind ausgerechnet die cleveren Neureichen im Dorf – der Oberlehrer, der Versicherungsvertreter und der braungebrannte Bürgermeister – von denen die Dorfbewohner eigentlich wissen, dass sie nicht mit rechten Dingen zu ihrem Reichtum gekommen sein können.

Dabei spielt ein in Untergestäng beliebtes Kultur- und Sammelgut namens Gestänge eine Rolle, das auch gern gestohlen und auf dem Flohmarkt unter der Hand weiterverkauft wird. Selbst international, womit man dann fast schon am Ende der irre walzenden Geschichte auch noch die im Titel erwähnte „fremde Ausländerin“ kennenlernt, die hinter einigen der dubiosen Vorgänge zu stecken scheint, auch wenn man bis zum Schluss nicht erfährt, wer nun eigentlich wen umgebracht hat.

Zwischenzeitlich hat der so gründlich von sich eingenommene Oberhauptkommissar nicht nur den alten Gasthof aus lauter Unaufmerksamkeit abgefackelt, sondern auch die Polizeiwache samt Gemeindeamt. Nur sind die Bauleute in der Gegend von Untergestäng noch fixer als anderswo: Beide Gebäude entstehen quasi über Nacht in viel größerer Pracht. Das kleine Urlaubsdorf mausert sich (da fühlt man sich glatt an Sachsen erinnert) im Handumdrehen zu einer touristischen Destination, die von Busladungen von Besuchern überlaufen wird.

Was dann wieder die richtige Kulisse für die Ausländerin wird, die das Dorf und die von den entfleuchten Ganoven so gründlich übers Ohr gehauenen Naiven von Untergestäng mit Wohltaten und Geld überschüttet. Klar: Sie hat einen reichen Scheich geheiratet.

Was dann schon ein bisschen nach trauter deutsch-österreichischer Gegenwart riecht, dem aufgeblasenen Feiern touristischer Destinationen und stinkreicher Investoren, all der Leute, die ihre seltsamen Fernsehrollen genauso aalglatt spielen wie die Provinz-Promis in Heimat-Krimis. Was dann die banalen Märchen von heute sind, die in den bunten und grauen Gazetten alleweile die Titelseiten bekommen.

Lauter angeschminkte Helden, die aber, wenn man es recht bedenkt, mit dem, was einem bei Ausflügen ins verschlafene Land begegnet, so gar nichts zu tun haben. Eine Welt der studiogebräunten Masken und falschen Prinzen.

Aber manche halten das tatsächlich für ein wahres Abbild ihrer Heimat. Braunsteiner freilich nicht. Er lässt in diesem Buch seine Lust und seinen Frust aus an diesen heimeligen Vorstellungen von Hiesigkeit, die sich in Hiesigkeit geradezu badet, obwohl man eigentlich auch nur fleißig mauschelt und andere über den Löffel balbiert, wenn man die Gelegenheit (oder das Amt) dazu bekommt.

Diesmal mit einem kurzatmigen und etwas überlastigen Oberhauptkommissar mittendrin, der eher bemüht ist, das Wohlgefallen der Untergestängler zu bekommen, als sich diesem elenden Kleinkram ernsthafter Ermittlungen zu widmen. So werden Leute zu Legenden, indem sie einfach die erwartete Rolle spielen. Was übrigens unter Mannsbildern leichter ist, weil Mannsbilder einander permanent versuchen mit ihrer Grunzfähigkeit zu beeindrucken. Das ersetzt die halbe Arbeit und bringt die Leute zum Staunen oder Kopfeinziehen. Je nachdem.

Auch in dieser Geschichte, die übrigens ohne die Ausländerin am Ende ausgegangen wäre mit einer völlig ungelösten Mordserie in einem Dorf, in dem man sich auch ohne fremden Besuch nur zu gern der Illusion hingab, dass Honoratioren ehrenwerte Leute sind und ihr protzig ausgestellter Reichtum mit Fleiß zusammengetragen wurde, es also auch nur Seppln sind wie unsereiner, nur halt ein bisschen braungebrannter und ehrenwerter.

Ihnen kommen natürlich gemütliche Polizeier, die auch erst morgen vorbeischauen, wenn der Überbeschäftigte vielleicht mal Zeit hat für ein Gespräch wie gerufen. Wer wird es sich als braver Polizist schon mit der Obrigkeit verscherzen, wenn es um ein paar geklaute Gestänge und ein paar tote Dorfbewohner geht? Eine verärgerte Obrigkeit ist ja viel schlimmer. Gar heute, wo wir doch gar keine mehr haben.

Paul Braunsteiner „Die fremde Ausländerin“, Einbuch Buch und Literaturverlag, Leipzig 2020, 14,40 Euro.

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