Schon mehrfach stand in verschiedenen Forschungsprojekten des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften die Frage im Mittelpunkt: Wie funktioniert Empathie? Kann soziale Kompetenz gelernt werden? Eine nicht ganz unwichtige Frage in Zeiten, in denen sozial sichtlich inkompetente Leute immer öfter in Regierungsverantwortung gewählt werden. Aber die Nachricht lautet tatsächlich: Soziale Kompetenz kann trainiert werden – und man hat dann weniger Stress.

Denn augenscheinlich ist ja vieles von dem, was wir rings um uns erleben, Ausdruck von Stress und Überforderung. Menschen, die zunehmend vereinsamen und nur noch mit technischen Geräten kommunizieren, verlieren ihre Fähigkeit, sich unter anderen Menschen zu bewegen, Konflikte im Gespräch zu lösen oder gar sich in andere hineinzufühlen.

Man muss diese Fähigkeiten erleben und trainieren. Das wissen eigentlich ErzieherInnen und LehrerInnen. Bei Eltern wird es schon schwieriger. Und wo es Erwachsenen an diesen Fähigkeiten mangelt, sind sie logischerweise stressanfälliger.

Aber welche mentalen Trainingsmethoden besonders geeignet sind, um Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf der einen Seite und soziale Fähigkeiten wie Mitgefühl oder kognitiven Perspektivenwechsel auf der anderen Seite zu fördern, war bislang noch unklar. Deswegen untersuchten Forscher am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig in einem großangelegten Projekt, wie sich verschiedene Meditationstechniken auf Gehirn, Körper, geistige und soziale Fähigkeiten auswirken.

Eines war vorher schon klar: Auch Erwachsene können soziale Fähigkeiten wie Mitgefühl und Perspektivenübernahme trainieren.

Aber: Welche Trainingsmethode hilft wirklich?

Die drei getesteten Module

Für das ReSource-Projekt entwickelte Tania Singer zusammen mit internationalen Experten drei jeweils dreimonatige Trainingseinheiten, in denen der Fokus stets auf einem bestimmten Fähigkeitsbereich lag. Das erste Modul konzentrierte sich besonders auf die Faktoren Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Die Teilnehmer übten während der hier angewendeten klassischen Meditationen, sich rein auf ihre Atmung, ihre Sinneseindrücke oder einzelne Bereiche ihres Körpers zu konzentrieren, jeder für sich allein.

Ein zweites Modul stand ganz im Zeichen von sogenannten sozio-affektiven Fähigkeiten wie Mitgefühl, Dankbarkeit und den Umgang mit schwierigen Gefühlen. Das Besondere dabei: Im Gegensatz zum Aufmerksamkeitstraining kam hier eine neue Technik zum Einsatz, bei der zwei Personen gemeinsam trainieren. In Partner-Übungen, sogenannten kontemplativen Dyaden, tauschten sie sich hochkonzentriert über ihre Gefühle aus, um so Nähe, Dankbarkeit, den Umgang mit täglichen Stressoren sowie ihr Einfühlungsvermögen zu schulen.

Im dritten Modul kultivierten die Teilnehmer ihre sozialen, genauer gesagt ihre sozio-kognitiven Fertigkeiten, insbesondere die Fähigkeit zur Perspektivübernahme, das heißt die Vogelperspektive auf eigene und fremde Denkmuster einzunehmen. Auch hier trainierten die Teilnehmer zusätzlich zu den klassischen Meditationen in Dyaden. Dazu schlüpften sie gedanklich in die Rolle eines ihrer inneren Persönlichkeitsanteile – sei es die innere besorgte Mutter, das neugierige Kind oder der strenge Richter – und schilderten eine Situation aus deren Perspektive. Während also der Sprecher sich darin schulte, sich selbst besser zu verstehen, übte der Zuhörer sich darin, sich in die Perspektive und Gedankenwelt eines anderen hineinzuversetzen. Das Konzept der inneren Anteile bezieht sich hier auf die Arbeit von Richard Schwarz im Modell des „Inneren Familien-Systems“, das von einer Vielzahl innerer Persönlichkeitsanteile bei jedem Menschen ausgeht. Die Teilnehmer der Studie erarbeiteten sich unter Anleitung der Trainer ihre jeweiligen Anteile als notwendige Übungsgrundlage.

Geübt wurde an sechs Tagen pro Woche, 30 Minuten täglich. Nach jeder der drei Einheiten untersuchten die Forscher trainingsbedingte Veränderungen der Teilnehmer mithilfe von Verhaltenstests, sowie in der Hirnstruktur durch Magnetresonanztomographie (MRT) und des Stresssystems anhand zahlreicher Biomarker wie etwa der Menge des Stresshormons Cortisol im Speichel.

Jede Technik hat ihre eigenen Effekte auf die Gehirnplastizität

Und tatsächlich: „Je nachdem, welche mentale Trainingsmethode über drei Monate angewendet wurde, veränderten sich sowohl die Hirnstruktur in den assoziierten Bereichen als auch die dazugehörigen Verhaltensweisen. Das heißt, die Testpersonen zeigten nach dem ersten Trainingsmodul einen Zuwachs der Großhirnrinde, dem Cortex, in den Bereichen, die für die Aufmerksamkeit zuständig sind. Gleichzeitig hatte sich auch ihre Aufmerksamkeit in Computertests erhöht, hingegen ihr Mitgefühl oder ihre Fähigkeit zum Perspektivwechsel nicht. Dafür bedurfte es der sozialen Trainingsmodule“, erklärt Sofie Valk, Erstautorin der zugrundeliegenden Publikation, die gerade im renommierten Fachmagazin Science Advances erschienen ist.

„Bei den beiden anderen Modulen, die entweder sozio-emotionale oder sozio-kognitive Fähigkeiten trainierten, beobachteten wir, dass sich in der Tat selektiv das Mitgefühl oder die kognitive Perspektivübernahme steigern ließen und dass diese verbesserten Sozialkompetenzen mit erhöhter Dicke des Cortex in den Regionen einhergingen, die Mitgefühl oder Perspektivwechsel verarbeiten“, so die gebürtige Niederländerin.

„Obwohl die Erforschung von der Trainier- und Veränderbarkeit des Gehirns, der sogenannten Plastizität des Gehirns, in den Neurowissenschaften schon immer eine zentrale Rolle spielte, wusste man bisher kaum etwas über die Plastizität des sozialen Gehirns“, erklärt Tania Singer, Leiterin des ReSource-Projekts. „Unsere Befunde zeigen nun eindrücklich, dass kurzes und gezieltes tägliches mentales Training bei erwachsenen Menschen noch strukturelle Veränderungen im Gehirn bewirken kann, und dies wiederum zur Steigerung der sozialen Intelligenz führt. Da Eigenschaften wie Empathie, Mitgefühl und Perspektivwechsel essenziell für gelungene soziale Interaktionen sowie Konfliktlösung und Kooperation sind, könnten diese Befunde eine hohe Relevanz für unser Bildungssystem haben.“

Achtsamkeit allein reicht nicht, es braucht das tägliche Training mit anderen Menschen

Die verschiedenen Formen mentalen Trainings scheinen sich dabei nicht nur unterschiedlich auf unser Gehirn sondern auch auf unser Stresslevel auszuwirken. „Wir entdeckten, dass die Teilnehmer in einem Test, bei dem sie einer für sie stressigen Leistungssituation ausgesetzt sind, bis zu 51 Prozent weniger des Stresshormons Cortisols ausschütteten – jedoch in Abhängigkeit von der zuvor trainierten mentalen Technik“, erklärt Veronika Engert, Erstautorin einer weiteren aktuellen Publikation in Science Advances, die sich mit dem Zusammenhang zwischen mentalem Training und der akuten Stressreaktion beschäftigte.

„Die beiden, auf soziale Fähigkeiten fokussierten, Trainingsmodule senkten die Cortisol-Konzentration deutlich. Das allein praktizierte Modul zur Steigerung der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit verminderte sozialen Stress auf hormoneller Ebene hingegen nicht. Wir vermuten, dass das Stresslevel besonders durch die täglichen 10-minütigen sozialen Interaktionen in den Dyaden-Übungen gesenkt wurde. Sich regelmäßig einer fremden Person gegenüber zu öffnen und zu lernen, vorurteilsfrei einem anderen zuzuhören, hat wahrscheinlich zu einer Art sozialen Stress-Immunisierung geführt, da sozialer Stress ja vor allem durch die Angst vor negativer Fremdbeurteilung zustande kommt. Das gezielte Trainieren gesteigerter Aufmerksamkeit scheint diese Art des sozialen Stresses hingegen nicht zu reduzieren.“

Das Interessante dabei: Subjektiv betrachtet, empfanden die Probanden nach eigenen Angaben nach jedem der drei dreimonatigen Trainingseinheiten weniger Stress. Objektiv gesehen, das heißt gemessen an ihrem Cortisol-Spiegel, ist ihr Stresslevel jedoch lediglich signifikant gesunken, wenn die Teilnehmer im Rahmen der sozialen Trainingseinheiten in Interaktion mit anderen traten und intersubjektive Fähigkeiten schulten.

„Der Blick ins Gehirn, auf das Verhalten und auf die Stressantwort der Teilnehmer zeigt nicht nur, dass sich soziale Fähigkeiten üben und Stress reduzieren lassen. Er offenbart auch, dass sich unterschiedliche Formen des mentalen Trainings ganz unterschiedlich auf Gehirn, Gesundheit und Verhalten auswirken können“, erklärt Tania Singer. „Wenn wir genau wissen, welche Meditationen und mentalen Techniken welche Effekte haben, können wir sie viel präziser in Trainingsprogrammen einsetzen, um unsere geistige und körperliche Gesundheit zu fördern.“

So würden die Ergebnisse etwa zeigen, dass derzeit oft angewendete basale Achtsamkeitstechniken zwar die geeignete Methode sind, um die eigene Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit in verschiedenen kognitiven Bereichen zu steigern. Wem es jedoch darum geht, im Alltag weniger anfällig auf sozialen Stress zu reagieren oder aber seine Sozialkompetenzen wie Empathie, Mitgefühl und Perspektivübernahme zu steigern, der sollte andere mentale Trainingstechniken anwenden, die einen stärkeren Fokus auf das „Wir“ und die soziale Verbundenheit von uns Menschen setzen.

Das ReSource-Projekt untersucht, wie verschiedene Formen mentalen Trainings dazu beitragen können, soziale, emotionale und geistige Fähigkeiten zu fördern, und wie sich das wiederum auf Gesundheit, Körper und Gehirn auswirkt. Es ist das weltweit größte Projekt seiner Art.

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Es gibt 3 Kommentare

Heeeeey. Von Alter war hier nicht die Rede, bis dahin haben wir noch mindestens 50 Jahre Zeit.^^
Aber ja, da ist was dran. Bei solchen Exemplaren wie Gauland (und Trump) ist dann wohl die Eigenwahrnehmung gründlich verlorengegangen. Freude hätte dem wahrscheinlich auch mal ganz gutgetan.

Da sagt die Sabine was 😉 Nur geht es offenbar bei manchen „Alten“ so weit, dass sie nach Jahrzehnten des Wohlstandes auf Steuerzahler-Ticket für die CDU am Ende im neuen Rassenhass eine witzige Wahlstrategie oder gar ihr Alterswerk sehen. Ja, ich meine Gauland. Aber ansonsten, ja: möge Gelassenheit und tägliche Freudeverbreitung uns den Weg ins Alter leiten …

“da sozialer Stress ja vor allem durch die Angst vor negativer Fremdbeurteilung zustande kommt”
Da ist was dran, wenn einem diese Fremdbeurteilung erst mal egal ist, ist das Leben echt toll. Einer der wenigen Vorteile, wenn man “älter” wird.^^

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