"Wahlkampfaktionismus" nennt Eva-Maria Stange, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, den neuesten Vorstoß des Kultusministeriums, dem Lehrermangel auf dem Land mittels Stipendienprogramm zu begegnen. Statt wirklich genug Lehrer einzustellen, um den Bedarf an Sachsens Schulen zu decken, hat das Kultusministerium wieder eine ziemlich seltsame Marketing-Aktion gestartet.

“Auch wenn es in erster Linie darum gehen sollte, die ausgebildeten Lehrkräfte hier in Sachsen zu halten, bekommen in diesen Tagen mehrere hundert ausgebildete Bewerber erneut eine Absage oder lediglich einen befristeten Arbeitsvertrag vorgelegt”, kritisiert Stange das eigentliche Grundproblem, das Kultusministerin Brunhild Kurth nicht lösen will – und wohl auch nicht darf, solange Tillichs “Generalrasur” von 2010 oberstes Gesetz für eine Regierung ist, die seit Jahren vom Finanzminister in finanzielle Panik versetzt wurde.

“Während andere Bundesländer längst mit unbefristeten, gut bezahlten Arbeitsverträgen locken und Kommunen Wohnungen, Kitaplätze und Arbeit für die Partner anbieten, verschreckt Sachsens Kultusministerium die jungen Lehramtsanwärterinnen”, benennt Stange das nächste Problem, das jetzt auf Sachsen zurollt: Die anderen Bundesländer beginnen den in Sachsen ausgebildeten Nachwuchs mit besseren Konditionen abzuwerben. “Viele gehen schon vor dem Referendariat, da sie in anderen Bundesländern mit zwei Jahren statt einem Jahr Referendariat mehr Praxiserfahrung sammeln können und weil sie dort auch mehr verdienen. Auf der einen Seite lockt man die Referendare nunmehr mit monatlich 500 Euro, um die Differenz zu anderen Bundesländern auszugleichen, auf der anderen Seite wird ihnen das Weihnachtsgeld gekürzt. Das ist purer Wahlkampfaktionismus, bei dem die finanzielle Deckung fehlt.”

Eine nachhaltige Personalstrategie ist nicht erkennbar. Stange: “Für den ländlichen Raum müssen die Landkreise und Kommunen mit ihren konkreten Möglichkeiten wie Wohnung, Kitaplatz und Arbeitsplatz für den Partner werben können. Dafür müssen allerdings erst einmal ausreichend junge Lehrkräfte in Sachsen bleiben und eingestellt werden. Zwei Tage vor Schuljahresbeginn zu erfahren, dass man dann doch für ein halbes Jahr in der Oberlausitz oder im Erzgebirge arbeiten darf, reizt keinen Absolventen.”

Ein bisschen mehr Wohlwollen für die Aktion zeigt zumindest der Landesschülerrat. “Diese Maßnahme ist der richtige Weg für uns. Über Fachkräftestrategien, die günstigen Wohnraum bereitstellen oder versuchen jungen Lehrern beim Anschluss zu helfen, wurde in den letzten Jahren viel versucht zu bewegen. Doch leider sind nicht die gewünschten Ergebnisse eingetreten. Deswegen sind neben diesen weichen Faktoren auch finanzielle Anreize ein wichtiger und richtiger Schritt”, sagt Patrick Tanzer, Vorsitzender des Landesschülerrats Sachsen. Hat aber auch so seine Bedenken: “Aber wir haben hier trotzdem keine Einbahnstraße und alle Probleme wären sofort behoben. Die Schaffung der besten Rahmenbedingungen muss weiter oberste Priorität für die Landkreise bleiben.”

Womit er erstaunlicherweise die falschen Ansprechpartner benennt. Denn die Kommunen – zu denen auch die Landkreise gehören – sind nur für die Gebäudehülle zuständige. Etliche Landkreise kämpfen seit Jahren – oft vergeblich – gegen die von der Landesregierung verordneten Schulschließungen. Und sie haben keinen Einfluss auf die Versorgung mit Lehrern. Unter dem Lehrermangel leiden kreisfreie Städte und Landkreise gleichermaßen. Wäre der Lehrermangel in den Großstädten nicht genauso groß wie auf dem Land, Brunhild Kurth hätte überhaupt keine Probleme, auch die Lehrerstellen in den Landkreisen zu besetzen.

Sie versucht nun, Versorgungsschwierigkeiten für den ländlichen Raum entgegenzuwirken, die es ohne die Sparorgie der Landesregierung gar nicht gäbe.

So sieht es auch Annekathrin Giegengack, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag: “Ich halte das ,Sachsen-Stipendium’ für den falschen Ansatz. Gegen eine Prämie auf dem Land arbeiten – was sagt das über Berufsethos und Motivation angehender Lehrkräfte?”

Sie glaubt nicht daran, dass dieser Landlehrer-Bonus funktioniert. “Hier werden Anreize gesetzt, die zu Mitnahmeeffekten führen. Das analoge Mediziner-Programm zeigt, dass nur wenige das Angebot nutzen. Man darf sich hier nicht in die Tasche lügen: Letztlich profitieren die, die ohnehin geplant hatten, sich im ländlichen Raum niederzulassen. – Die Arbeit als Lehrer in den ländlichen Gebieten bietet viele Vorteile: kleinere Klassen, familiäre Atmosphäre, eine weniger heterogene Schülerschaft. Das ist Werbung im besten Sinne, die gegen Geld nicht aufzuwiegen ist.”

Und Verena Meiwald aus der Linksfraktion bezweifelt den Erfolg des Ganzen grundsätzlich. “Der Erfolg dieses Projektes ist ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, ob es überhaupt finanziert werden kann – schließlich steht es unter Finanzierungsvorbehalt. Ich erwarte mit Spannung, was von der Idee übrig bleiben wird, wenn die Haushaltsberatungen innerhalb der Staatsregierung “ernst” werden. Bislang hat man jegliche Auskunft über konkrete Pläne verweigert”, sagt sie. “Ich bezweifle, dass die Aussicht auf Mehreinkünfte in Höhe von 250 Euro pro Monat, die noch dazu zeitlich begrenzt ausgezahlt werden sollen, ausreichend viele junge Lehramtsstudierende dazu bewegen kann, sich für eine Arbeitsstelle auf dem Land zu verpflichten. Das Problem Lehrermangel ist nicht mit symbolischen und befristeten Modellversuchen zu lösen. Der Staatsregierung müsste längst klar sein, dass es stattdessen langfristige Weichenstellungen braucht und sie im Haushalt eine bedarfsdeckende Ausstattung der sächsischen Schulen mit qualifizierten und motivierten Lehrkräften absichern muss. Dazu muss sie stärkere Anreize bieten als den nun vorgeschlagenen.”

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